Der letzte linke Kleingärtner, Teil 40: Arbeit, Arbeit, Arbeit

Die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings bringen den letzten linken Kleingärtner dazu, über Arbeitsorganisation, das Recht auf Faulheit und Bob Dylan zu sinnieren.

Die Hühner des letzten linken Kleingärtners wissen nichts vom „Recht auf Faulheit“ und arbeiten gleich fünffach. (Foto: „Run Chicken Run“ von Martin Cathrae, lizenziert unter CC-BY-SA 2.0)

Der Hühnerstall ist tagsüber verwaist. Nein, keine Sorge, es ist nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil, es gibt einen erfreulichen Grund. Das Wetter ist besser geworden ist, zumindest weniger frostig. Deswegen tummeln sich meine vier Hühner tagsüber im zwar immer noch kalten, aber sonnendurchfluteten Garten und bevölkern dort das mobile Hühnergehege. Da hüpft das Kleingärtnerherz, denn die Hühner entpuppen sich als hervorragende Mitarbeiterinnen. Wenn ich den Damen schon den ganzen Winter über das Fressen, sprich die Körner, bringe, dann sollen sie auch arbeiten. Wir sind hier schließlich in Deutschland. Einfach nur fressen und nichts tun akzeptiert weder die bürgerliche, noch die sozialistische Moral. Was habe ich ein Glück, dass meine vier Hühner noch nie in ihrem Hühnerleben etwas von Paul Lafargue und seiner legendären Schrift „Das Recht auf Faulheit“ von 1883 gehört haben. Damit hat der Schwiegersohn von Karl Marx der sozialistischen Bewegung und ihrem „Schaffe-schaffe-Häusle-baue“-Ethos und Blaumannkult ordentlich einen vor den Latz geknallt, was ihn wiederum im anarchistischen Lager bekannter und beliebter machte. Die Lohnarbeit trägt unsereiner so unhinterfragt wie die Christen ihr Kreuz. Die Lohnarbeit wie das Kreuz sind die offensichtlich ewig leuchtenden Fackeln aus den großen Erzählungen der Menschheit.

Man muss ja nicht alles ständig hinterfragen oder gar reflektieren. Das machen meine Hühner auch nicht. Sie machen das, was ich ihnen sage. Das glaube ich zumindest. Aber Glaube und Co sind genaugenommen gar nicht mein Spezialgebiet. Da bin ich lieber ruhig, sonst verletze ich wertvolle Gefühle.

Recht auf Faulheit hin oder her, meine Hühner sind gleich fünffach arbeitend am Start: Erstens legen sie Eier; zweitens scharren sie den Boden im Garten frei; drittens fressen sie Ungeziefer, das die Ökos zwar nicht so nennen, das aber nun mal stört, zum Beispiel Schnecken; viertens düngen sie den Boden mit ihren flüssigen und weniger flüssigen Ausscheidungen. Und dass sie bei all dem auch noch die Speisereste aus dem Haushalt herunterschlingen und zu frischen Eiern verarbeiten, ist ein weiterer Grund für die Hühnerhaltung.

Wer einmal als Kleingärtner erleben musste, wie so ziemlich alle Salatpflänzchen – die in ein paar Wochen wieder in den Garten kommen – von Schnecken aufgefressen werden, der weiß es zu schätzen, wenn nur noch wenige Schnecken da sind. Wunderbar. Für den Salat ist das wie ein Segen. Der blüht dann richtig auf, nur, um nachher von der Kreatur Mensch gefressen zu werden. Ob der Salat aus dem eigenen Garten eine Persönlichkeit hat oder gar sensibel ist, interessiert mich nicht.

Das Schöne bei meinen Hühnern: Ich bin der Big Boss, an mir führt kein Weg vorbei, ich schwinge das Zepter und brauche mich nicht mit Gewerkschaften oder irgendwelchen Arbeitsmarktreformen herumzuplagen. Bei mir herrscht Ordnung im Stall. Gearbeitet wird sieben Tage die Woche. Das nenne ich Reform, Fortschritt und Innovation. Wenn alle weltweit auf mich hören, wird an mir die Welt genesen. Versprochen. 
Das Eierlegen ging im Winter etwas zurück und zeitweise ganz auf null. Da wurde es mir zu bunt: Ich habe ein futtertechnisches Machtwort gesprochen und den Hühnern ordentlich Legemehl gegeben. Das ist in etwa das gleiche Futter wie die übliche Körnermischung, aber eben stark geschrotet. So können sie es schneller aufnehmen und im Ergebnis legen sie dann mehr Eier. Mehr als meine Familie essen kann, was dazu führt, dass ich Mitmenschen mit meinem Eiersegen glücklich machen kann. Da stehen viele drauf: frische Eier, nicht aus der Fabrik, quasi selbst von mir gelegt. Voll öko, voll bio, voll gesund, voll fitmachend, voll die leichte Kost, voll das gute Essen. Lecker. So viele Freunde hatte ich noch nie.

Und von wegen Eintönigkeit im Garten. Genauso wenig wie Eierlegen jedes Mal dasselbe ist – manche Hühner gackern vor Freude, wenn sie ein Ei gelegt haben – verhält es sich bei der Gartenarbeit. Klar. Von außen mag dies für den geistigen Durchschnitt meiner Mitmenschen so wirken. Aber das ist Quatsch. Das Leben ist ebenso wenig dasselbe, wie ein Song von Bob Dylan, auch wenn er ihn schon tausendmal gespielt hat. Die Eier, das Leben und Dylan sind immer wieder neu und überraschend. Einzigartig und schön eben. Apropos Dylan: Der hätte bei der hiesigen Linken mit seinen Avancen für die Heimat („Shelter from the storm“ etc.) schnell Auftrittsverbot. Ebenso einzigartig ist der Frühling, auch wenn er schon zig Mal da war. Er kündigt mir sein baldiges Kommen mit einem diskreten Lachen an. Die Saatguttüten im Supermarkt verkünden schon seit Februar das Unausweichliche im weiteren Fortgang des Jahres.

Drei Praxistipps:

1. Genieße die Songs von Bob Dylan. Sie sind einzigartig.
2. Genieße den Frühling. Er ist 
einzigartig und der letzte in diesem Jahr.
3. Genieße die Arbeit, solange es keine Lohnarbeit ist. Das Leben ist einzigartig schön.


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