Der letzte linke Kleingärtner, Teil 43: Von Winter und Wasserschlachten

Unser letzter Kleingärtner denkt perspektivisch, wo andere allenfalls taktisch überlegen. Das gilt nicht nur beim Gießen, denn er ist der Stratege des Gartens.

Wächst wie wild und schmeckt gut: Die Rote Beete macht sich auch gut auf dem Grill, in der Suppe oder im Salat. (Foto: pixabay)

„Gemeinsam“ klingt immer gut. Das hält die Gesellschaft zusammen. Keine Sonntags- oder Werktagsrede, die aus den Reihen der Parteipolitiker gehalten wird, in der diese Vokabel nicht rauf- und runtergenudelt würde. Da möchten wir Kleingärtner nicht abseits stehen: „Gemeinsam“ mit Bauern klagen wir wahlweise über zu viel oder zu wenig Wasser. Jedenfalls ist es nie die richtige Menge. Klagen schafft Erleichterung im harten Alltag des Kleingärtners. Etwa dann, wenn uns im Winter die Leitungen und die Wassertanks zufrieren, weil wir vor lauter Arbeit – immerhin ernähren wir die Menschheit – gar nicht dazu kommen, sie vernünftig gegen Kälte zu isolieren.

Zu viel Wasser ist auch schlecht, wie gesagt. Man kennt das vom Fußball: Selbst in den oberen Ligen kann es, aller technischen Finessen zum Trotz, bei starkem Regen zu Spielausfällen oder -unterbrechungen kommen. In den niedereren Klassen kommt dies häufiger vor, weil die Drainage die Wassermassen nicht bewältigt oder völlig fehlt. Fußballhistorisch fand einer der berühmtesten Kämpfe mit dem Wasser im WM-Halbfinale 1974 statt, in der legendären „Wasserschlacht von Frankfurt“. Der Platz stand unter Wasser und war eigentlich unbespielbar. Polen hatte die deutlich bessere Mannschaft und wäre unter regulären Bedingungen gegen die Westkrauts als sicherer Sieger vom Platz gegangen. Unter großem organisatorischen Aufwand gelang es dem Deutschen Fußballbund, den Anpfiff des Spiels dennoch zu erzwingen. Es kam wie es kommen musste: Gerd Müller erzielte irgendwie ein Tor, Polen keins. Westdeutschland kam ins Finale und siegte auch dort gegen die eigentlich besseren Niederlande.

Zurück zu meinem Kerngeschäft, dem Gemüsegarten. Als Kleingärtner muss man nur die Ruhe bewahren: Pflanzen reagieren durchaus entspannt auf zu wenig Wasser. Das gehört in die Wundertüte „Das geheime Seelenleben der Pflanzen“, worüber man recht voluminöse Texte und Bücher verfassen könnte. Denn was „geheim“ ist, findet immer viele Leserinnen und Leser und lockt auch minderbegabte Autorinnen und Autoren aus der Kategorie „Verschwörungstheorie & Esoterik“ auf den Plan. Aber als einfacher Kleingärtner ist mir das zu hoch. Ich muss mich an Fakten orientieren.

Was wäre eigentlich, wenn es gelänge, den Kreml unter Wasser zu setzen?

Pflanzen machen jedenfalls dicht, wenn der Boden trocken ist. Sie schalten auf Standby und verbrauchen wenig Wasser. Sie wachsen langsamer und schließen ihre Poren, damit weniger Wasser verdunstet. Mangold mit seinen Pfahlwurzeln ist dafür ein Musterbeispiel. Ich spiele nicht den trotteligen Kleingärtner, der bei ausbleibendem Regen täglich mit zwanzig Gießkannen durch den Garten hechelt. Selbstverständlich könnte ich mit so einem Aufwand in Zeiten saisonaler Trockenheit noch mehr ernten. Doch wozu? Sobald es wieder regnet, starten die Pflänzchen ihren Motor, wachsen wieder ordentlich und das Kleingärtnerherz hüpft.

Ich gieße also nur sehr gezielt, etwa beim Einsetzen neuer Pflanzen, die ich entweder vorgezogen habe oder wegen zu dichtem Stand vereinzele. Ich gieße dann so lange, bis die Wurzeln offensichtlich einen stabilen Kontakt mit dem Erdreich gefunden haben. Wenn ich mehr Zucchini ernten will – was aber eher selten der Fall ist, da die eh wie verrückt wachsen –, gebe ich etwas Wasser dazu. Aber das sind Einzelfallentscheidungen, die ich bei meinen täglichen Kontrollgängen treffe. Ein richtiger Kleingärtner ist eben auch ein richtiger Kontrollfreak.

Und was macht das Gemüse? Die Rote Beete wächst in diesem Jahr wie wild, Salat habe ich im Überfluss, die Zuckererbsen bekamen zum richtigen Zeitpunkt die richtige Dosis Regen ab und wachsen vor meinen Augen Zentimeter um Zentimeter. Und siehe da, auch die Kartoffeln strecken und räkeln sich gen Himmel. Nur vereinzelt streicht mal eine die Segeln und keimt nicht aus. Überraschenderweise habe ich bisher noch keinen Kartoffelkäfer oder seine Larven entdeckt. Dafür aber schon einige Wühlmauslöscher. Bevor jetzt hier jemand sentimental wird und jedem Tierchen seinen Platz auf Erden zuweist, spreche ich lieber ein mir eigenes Machtwort: Als Köder in der Stahlfalle verwende ich ein kleines Möhrenstück. Ich werde an dieser Stelle über meine Erfolge berichten oder schweigen.

Die Buschbohnen wachsen vorschriftsmäßig, die Stangenbohnen nur zum Teil, sodass ich Saatgut nachlegen musste. Die Kürbisse haben leichten Nachholbedarf, der Grünkohl, der erst im Winter erntereif ist, ging hervorragend auf und hat noch viel Zeit zum Wachsen. Ja, richtig gelesen. Während naturentwöhnte Metropolenbewohner die Vokabel „Winter“ für einige Zeit streichen, muss unsereiner den Nachhaltigkeitsexperten mimen und schon jetzt die kalte Jahreszeit in die Planung einbeziehen. Wir Kleingärtner kümmern uns schließlich um eure Ernährung.

Genauso wichtig wie die Ernährung ist bekanntlich der Frieden auf Erden. Was wäre eigentlich, wenn es gelänge, den Kreml unter Wasser zu setzen? Was gäbe das für ein skurriles Bild, wenn die meist missmutig dreinblickenden Putin und Lawrow an ihrem fürchterlich langen Tisch sitzen, ihre Füße in Gummistiefeln gehüllt und der Welt erklären, dass sie alles im Griff haben. Das Wasser ist die Lösung.

Praxistipps:



Setze den Kreml unter 
Wasser und der Friede wird dein Duzfreund.
Auch Tränen sind aus 
Wasser. Auf die richtige Dosis kommt es an.
Im Fußball siegt nicht immer der Bessere.


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