Der letzte linke Kleingärtner, Teil 45
: Ein Sonnenstich

Wenn der letzte linke Kleingärtner nostalgisch wird, ist das nicht für alle schön. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur an der Hitze.

Auch bei unserem Kleingärtner wird es langsam eng: Wenn Sie diese Zeilen lesen, sind seine Wasservorräte wohl quasi aufgebraucht. (Foto: Pixabay)

Sind meine Hühner vielleicht „People of Colour“? Also PoC, wie die Apostel des „Kritischen Weißseins“ sagen? Als Kleingärtner kommt man auf Gedanken, die anderswo gerne zum Eklat führen. Deshalb bleibe ich lieber in meinem Garten. Da bin ich sicher, er ist mein „Safe Space“. Meine fünf Hühner haben fünf unterschiedliche Farben. Keine Ahnung, ob es fünf unterschiedliche Rassen sind, was mir im Grunde genommen egal ist. Hauptsache, sie legen Eier, fressen Speisereste und halten mir den Garten frei von Unkraut und Schnecken. Gut, Schnecken sind aktuell bei der Bruthitze kein Problem. Das ändert sich schnell, sobald es etwas ausgiebiger regnet.

Aber darf ich überhaupt Hühner mit Menschen gleichsetzen? Auweia, das ist heißes Pflaster. Da verbrenne ich mir womöglich die Pfoten. Anderseits, wenn ich die Tierrechtler, Veganer und Freunde der Identitätspolitik richtig verstehe, geht das klar. Tiere sind wie Menschen, da ist kein Unterschied. Wäre es dann okay, wenn ich meine Hühner als PoC oder als „Hühner of Colour“ (HoC) bezeichne? Oder vielleicht als „Chickens of Colour“ (CoC)? Das würde ich glatt machen, wenn sie bei einer solchen Respektsbekundung auch mehr Eier legten. Mehr ist immer gut in der heutigen Zeit.

Vom Standpunkt der Apostel des „Kritischen Weißseins“ – auf Englisch nennt sich diese Spezies „Critical Whiteness“ – aus besehen, wäre das natürlich nicht okay. Das ist nicht überraschend, weil bei denen eigentlich nichts okay ist, mit Ausnahme dessen, was sie selber festlegen. Wenn ich mir deren Welt so von meinem Kleingärtnerpodest aus anschaue, scheint mir die katholische Kirche ein Hort der Liberalität und der Papst ein halber Anarchist zu sein. Vor diesen Gedanken erschrecke ich und verliere meinen Kleingärtnerboden unter mir.

Was wäre erst, wenn Tierrechtler und Veganer sich mit den Aposteln des „Kritischen Weißseins“ um die richtige Interpretation meiner hühnerphilosophischen Abhandlungen duellieren würden. Das gäbe wohl Mord- und Totschlag, auf jeden Fall aber Blutvergießen. Und ich hätte das alles angezettelt und könnte die in Gang gesetzte Entwicklung nicht mehr aufhalten. Es ist besser, ich steige wieder hinab von meinem Kleingärtnerpodest und mache mich an die Gartenarbeit. Sollen die Apostel des „Kritischen Weißseins“ und des Veganismus selbst sehen, wie sie mit sich und ihrer Welt klarkommen. Ich betone „ihrer Welt“, denn ich habe damit nichts zu tun. Ich bin für meine Hühner verantwortlich und das reicht.

Da über uns Kleingärtner eh schon genug gelacht wird, vermeide ich die Nennung des Namens meines Fußballvereins.

Während aktuell die Gluthitze allerhand Lebensgefühle regelrecht wegsengt, trage ich schwer an gleich mehreren zwielichtigen Gedanken. Dachte ich noch in der letzten Saison, dass sich mein Lieblingsfußballverein, meine Hühner und mein Garten im Gleichschritt entwickeln – also steil nach oben –, muss ich nun zwei Drittel meiner Prognosen nach unten korrigieren. Zwar entwickelt sich das Federvieh wie prognostiziert und legt Eier wie blöd, doch mit meinem Lieblingsfußballverein ging es bergab. Zwar nicht steil nach unten, aber doch weit entfernt vom anvisierten Aufstiegsplatz. Da über uns Kleingärtner eh schon genug gelacht wird, vermeide ich die Nennung des Namens meines Fußballvereins.

Vielleicht schäme ich mich nur. Wer will, kann dies tiefenpsychologisch analysieren. Aber als Fußballfan mag ich keine Psychos und Sozialarbeiter, die mich permanent beobachten und mein Verhalten kategorisieren. Es reicht mir, wenn ich bei jedem Spiel – auch ein gewonnenes hätte verloren gehen können – Woche für Woche mein privates Tal der Tränen durchleide. Was ich da während 90 Minuten mitmache, können sich Außenstehende nicht vorstellen. Aber die neue Saison wird garantiert besser. Da geht es dem Morgenrot entgegen. Versprochen.

Im Garten geht es dank der brütenden Sonne und dem ausbleibenden Regen allerdings nicht voran wie geplant. Als großer Stratege und Planer – und auch ein profaner Gartenplan ist schließlich so etwas was wie ein Plan der Welten – hatte ich alles anders geplant. Doch meine optimistischen Prognosen endeten leider im Crash. Daher ist es ratsam, sich seinen gesunden Pessimismus zu bewahren. Dann fällt man nicht so tief. Meine Wasservorräte für den Garten reichen dank kluger Bevorratung noch für ein bis zwei Wochen. Ich bin mal wieder mein eigener Lichtblick.

Wenn der Tag sich mit einem satten Sonnenrot sanft dem Ende zuneigt, bleibt Zeit für ein bitteres Resümee. Alleingelassen von den Menschen, bleibt unsereinem nur noch der Blick in den Hühnerstall. Hier finde ich das gackernde Verständnis, das mir meine Kleingartenfreunde, die „People of Irgendwas“, die Tierrechtler und Veganer nie entgegenbringen. Es bleibt dabei: Egal was passiert, die Hühner lassen mich nicht im Stich. Sie sind einfach immer da. Manchmal regt sich in meinem Kopf ein Gedanke an bessere Zeiten, als genug Regen fiel und die Ernte nur so brummte. Damals und früher, als alles besser war.

Praxistipps:
Sei optimistisch und 
denke an früher. Da war 
alles besser.
Mach keine Pläne. 
Sie scheitern.
Sei vorsichtig, wenn Tierrechtler in der Nähe sind.


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