Der letzte linke Kleingärtner, Teil 52: Gramsci und Grünkohl

Manchmal übt sich auch unser 
letzter linker Kleingärtner in 
metaphysischer Spitzfindigkeit und entwickelt theologische Mucken. Doch wenigstens den Wasser-Wahn hat er mit dieser Kolumne – fast – überwunden.

Es gibt nichts schöneres im Garten: Der Grünkohl, aus dem die Kleingärtner-Träume sind. (Foto: pixabay)

Na also. Nachdem in der woxx zwischen Oktober 2022 und Januar 2023 vier Kolumnen ausschließlich zum Thema „Wasser“ erschienen sind, haben die außerirdischen Obrigkeiten ein Einsehen gehabt und es im März ordentlich regnen lassen. Darin zeigt sich die wahre Fähigkeit der woxx zur wirkungsmächtigen Entfaltung von Hegemonie. Wenn das der italienische Sozialist Antonio Gramsci (1891 – 1937) erfährt, der der politischen Linken den Impuls gab, im sozialen wie kulturellen Alltag um die Deutungshoheit, ergo Hegemonie, zu kämpfen, beschenkt er uns glatt mit seiner Auferstehung und weist uns als sozialistische Lichtgestalt den Weg zu einer wassergesättigten Zukunft.

So sehr Linke auch über den Niederungen der Religion zu stehen scheinen, so sehr gieren sie danach, einem religiösen Impuls folgend, Gutes für die Menschheit zu tun. Ein bisschen Religion ist eben in jedem von uns. Und ob der Regen tatsächlich dem Einfluss Gramscis zu verdanken ist, kann man wie ich glauben oder im Brustton der atheistischen Überzeugung ablehnen. Es hat jedenfalls ordentlich geregnet, was das Herz des letzten linken Kleingärtners hüpfen und frohlocken lässt. Nur reicht das immer noch nicht, da es in vielen Teilen Europas seit Jahren zu trocken ist.

Im deutschen politischen Gemüsegarten wurden übrigens Ende vergangener Woche die letzten drei Atomkraftwerke (AKW) stillgelegt. Das Beste an dieser Nachricht ist, dass nun in Deutschland kein zusätzlicher Atommüll mehr produziert wird. Die Kraftwerke selbst sind aber eben genau das: Atommüll, der jahrhundertelang „sicher“ gelagert werden muss. Zur Kühlung von AKWs in der Europäischen Union braucht man jährlich unfassbare 2,4 Milliarden Kubikmeter Wasser, was dem Wasserverbrauch in Österreich entspricht. Zum Vergleich: Gaskraftwerke brauchen in der Europäischen Union nur 530 Millionen Kubikmeter und Kohlekraftwerke nur 1,54 Milliarden Kubikmeter Wasser. Wer sich an die letztjährigen Bilder von europäischen Flüssen erinnert, auf denen Binnenschiffe ob des Niedrigwassers entweder gar nicht oder nur halb beladen fahren konnten, kommt jetzt bereits ins Schwitzen.

Während sich an der Front im Ukrainekrieg eher wenig bewegt und alles zunehmend den Charakter eines zermürbenden Stellungskrieges annimmt, sieht es an meiner Gartenfront anders aus. Getreu dem Motto „besser später als nie“, habe ich zu Beginn des Frühjahrs fast die komplette Gartenfläche von rund 300 Quadratmetern umgegraben, ordentlich Kompost eingearbeitet und glattgezogen. Das entspricht zwar nicht eins zu eins der guten kleingärtnerischen Praxis, weil dies bereits Ende Herbst hätte gemacht werden müssen. Aber der Konjunktiv des „hätte“ war noch nie der richtige Antrieb für mich.

Außerdem war ich von Herbst bis Winter mit dem Verfassen der woxx-Wasserkolumnen beschäftigt. Statt in meinen privaten Garten investierte ich meine Kräfte dort und verschaffte so der Menschheit in Teilen Europas – also Luxemburg und Umgebung – ein Aufatmen in den Jahren der Trockenheit. Als Linker hat man schließlich immer die Menschheit im Blick und will sie glücklich machen, mal mit Klassenkampf, mal mit Erlösung, und hier eben mit dem herbeigerufenen Regen.

So sehr Linke auch über den Niederungen der Religion zu stehen scheinen, so sehr gieren sie danach, einem religiösen Impuls folgend, Gutes für die Menschheit zu tun.

Jedenfalls sind jetzt schon rund 30 Meter Erbsen gelegt, davon das meiste als Zuckererbsen. Die mag ich besonders, da man sie mit der ganzen Schale kochen oder braten und schlussendlich essen kann. Ein Experiment sind dieses Jahr die dicken Bohnen. Eigentlich sollen die bis Mitte März unter der Erde sein. Doch sie kamen erst Anfang April auf den ihnen zugedachten Platz. Mal sehen, ob das noch etwas wird. Bis Ende Juni habe ich noch genügend Zeit, um mir eine Ausrede zu überlegen, woran es lag, falls das unfreiwillige Experiment schiefgeht. Wenn es gelingt, lag es an meiner Vorsehung und göttlichen Gabe, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu machen. Ansonsten schmiegen sich allerhand Salatsorten wie Pflück- und Kopfsalate sowie die unvermeidliche Salatrauke (Ruccola) sanft in einer lichtdurchlässigen Tiefe von einem Zentimeter im Erdreich. Einen Teil habe ich mit einem Vliestuch abgedeckt, damit sich darunter etwas mehr Wärme bildet und die Keimung wie der Austrieb beschleunigt werden.

Den Grünkohl – mein Lieblingsgemüse – sowie die sonstigen Kohlpflanzen ziehe ich in Kästen vor und pflanze sie später in den Garten. Die Kartoffeln müssen sich noch gedulden, für sie hat der allwissende linke Kleingärtner Ende April als Zeitpunkt fürs Legen festgelegt. In der Zwischenzeit kommen noch Mangold- und Rote Beete-Samen unter die Erde. Beide sind „treffsichere“ Gemüsepflanzen und haben mich in puncto Ertrag noch nie enttäuscht. Das stimmt zwar nicht ganz und müsste durch Verwendung des Wörtchens „eigentlich“ relativiert werden. Natürlich können auch widrige Umstände bei Rote Beete und Mangold zu Minderertrag führen. Aber ehrlicherweise muss ich dann hinzufügen, dass ich einen relevanten Teil dieser Umstände verursache, weil ich bei brütender Hitze nicht richtig gieße. Diese meine Fehlbarkeit ist jedoch so selten, dass sie nicht erwähnenswert ist.


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