Der letzte linke Kleingärtner, Teil 54: Kampf um die Kartoffel

Unser letzter linker Kleingärtner ist in Sachen soziale Konflikte ein alter Recke. Manche davon, wie der um die Kartoffelsorte Linda, werden sogar erfolgreich im Sinne der Allgemeinheit ausgetragen.

Festkochend, gelbfleischig, gut: Die Kartoffelsorte Linda. (Foto: Alupus/Wikimedia/CC BY-SA 3.0)

Neulich erlebte ich eine Überraschung. Eigentlich weilte ich nur in einem Baumarkt, um mir ein paar Buschbohnen der Sorte „Delinel“ zum Nachlegen zu kaufen; Bohnen haben nämlich die Eigenschaft, nach dem Legen nicht alle aufzugehen. Entweder hat man dann noch einen kleinen Vorrat von nachgezogenem Saatgut – der Fachbegriff dafür lautet Nachbau – oder man muss sich wieder ins kapitalistische Räderwerk von Kaufen und Verkaufen begeben, mit dem unsereins normalerweise nichts zu tun haben möchte.

Die Bohnen waren schnell gefunden. Ebenso schnell gingen meine Blicke in die Runde, ob mich auch niemand erkannt hat, was schlecht für mein Image wäre. Dabei fiel mein Blick auf einen Karton mit ein paar Säckchen Kartoffel-Saatgut. Und dann auf den Sortennamen, der mich elektrisierte: „Linda“. Nun ist es nichts ungewöhnliches, dass Pflanzensaatgut irgendwelche wohlklingenden Namen hat, darunter oft Frauennamen. So baue ich beispielsweise seit Jahren als Stangenbohne die „Stuttgarter Neckarkönigin“ an. Durch meinen Nachbau ist sie in der Zwischenzeit bestens an meinen Boden angepasst und bringt Jahr für Jahr gute bis sehr gute Erträge. Letztes Jahr wurde es wegen der Trockenheit etwas eng, aber das habe ich durch regelmäßiges Gießen mit Regenwasser kompensiert. Schwieriger war da schon die Hitze, die auch anderen Pflanzen zu schaffen machte und den Ertrag drückte.

Der Konflikt um Linda machte Millionen Menschen klar, dass es um den Zugang zu Saatgut massive Kämpfe gibt.

Linda ist eine festkochende, gelb-
fleischige Kartoffel, die der Sorten-
schutzinhaber 2004 vom Markt nehmen und den Anbau verbieten wollte, nachdem er 30 Jahre lang Sortenschutzgebühr dafür kassiert hatte. Dieser Fall war in Deutschland einmalig und löste massive Proteste aus. Alle großen Medien berichteten darüber. Denn 30 Jahre nach dem erstmaligen Erheben der Gebühr wäre der gewerbsmäßige Anbau der Kartoffel erlaubt gewesen, ohne weiter eine Extragebühr dafür zu bezahlen. Die Kartoffelsorte Linda wurde für ihren Sortenschutzinhaber, die Firma „Europlant“ in Lüneburg, ein Kommunikationsdesaster, das sich gewaschen hatte. Obwohl das Unternehmen eine Linda-Nachfolgerin bereits marktreif hatte, die Sorte „Belana“, und obwohl es durchaus juristische Argumente gab, die seine Position unterstützten, war es seit der Ankündigung des Anbauverbots von Linda nur noch in der Defensive.

„Gelöst“ wurde das Problem, weil andere Züchter Wiederzulassung beantragten; in Tschechien, Schottland, den Niederlanden und beim Bundessortenamt – das heißt wirklich so – in Hannover. In Großbritannien durfte Linda seit 2009 wieder angebaut werden. Dank EU-Recht war dies daraufhin in der gesamten Europäischen Union wieder legal – auch in Deutschland. Dass es die Sorte dort im analogen Handel dennoch oft nicht gibt, ist den unsichtbaren, aber recht starken Kräften des Marktes geschuldet, die hinter den Kulissen vermeintlicher Vielfalt eine strikte Normierung und Reduzierung betreiben.

Der Konflikt um Linda machte Millionen Menschen in Deutschland und anderswo klar, dass es um den Zugang zu Saatgut massive Kämpfe gibt. Weil die Züchtung von neuen Pflanzensorten kein kurzfristiges Projekt ist, sondern sich über zehn oder mehr Jahre erstreckt, ist es auch richtig, dass für diesen Aufwand eine Zeitlang Gebühren erhoben werden, wenn der Anbau der neuen Sorte begonnen hat. Das öffentliche Gezerre und das kommunikativ-arrogante Vorgehen des Sortenschutz-
inhabers trug jedoch dazu bei, dass die Frage, wem das Saatgut gehört und wer es benutzen darf, nicht mehr nur in Kleinstgremien und hinter verschlossenen Türen diskutiert, sondern Teil einer breiten öffentlichen Debatte wurde.

Jedenfalls kaufte ich bei meinem diskreten Gang in den Baumarkt flugs ein paar Kilo Linda-Pflanzgut und beförderte es in meine behutsam vorbereitete Gartenerde. Linda und ich waren wieder eins. Unsere Beziehung ist stabil und überdauert die Stürme der Nachhaltigkeit und das Achtsamkeits-Geraune. Zwar hatte ich bis zum Linda-Verbot diese Sorte gar nicht angebaut, aber jetzt verbindet mich damit die Erinnerung an einen großen politischen Kampf, den „wir“ gewonnen haben. Linda konnte nicht verboten werden und verschwand nicht vom Markt. Linda blieb hartnäckig und macht uns heute noch große Freude.

Und was soll ich sagen: Alle Pflanzkartoffeln der Sorte Linda sind aufgegangen, wenn auch einige wenige etwas später. Es gab keinen Ausfall. Auf Linda ist Verlass, alle Pflanzen stehen perfekt im Kraut. Und was mich völlig überrascht: Das Kartoffelkraut ist komplett frei von Kartoffelkäfern und deren Larven. Wenn das so weitergeht, werde ich nach der Ernte im Herbst der König von lauter kleinen, dicken Lindas. Ich freue mich.

Drei Praxistipps:

1. Ernte die Zucchini klein und du wirst viel Geschmack daran haben. Nur Dummköpfe lassen sie groß werden.
2. Ernte die Stangenbohnen früh. Das motiviert die Pflanze zum schnellen Nachwachsen und du erntest mehr.
3. Wenn dir die Kartoffel Linda begegnet, sei nett zu ihr und biete ihr ein warmes Zuhause in deinem Garten. Sie dankt es dir.


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