Edgar Wright: Autojagd mit Beat


Mit „Baby Driver“ hat der britische Regisseur und Drehbuchautor Edgar Wright eine Actionkomödie produziert, die das Niveau vieler anderer Sommer-Blockbuster weit übersteigt.

Ohne Sonnenbrille und Musik in den Ohren fährt Baby (Ansel Elgort) nirgendwo hin.

„He’s a looney. Just like his tunes.“ – So beschreibt Bats (Jamie Foxx) an einer Stelle die Hauptfigur von „Baby Driver“. Wirklich „looney“ ist Baby (Ansel Elgort) zwar] nicht, aber dafür hat er eine andere Eigenart: Ob zu Hause, während Arbeitssitzungen oder beim Autofahren – immerfort hört er Musik auf seinem iPod. Dabei handelt es sich aber nicht um passive Aufnahme. Baby gestaltet sein Leben nach dem Lied, das er gerade hört – und umgekehrt.

Bestimmt wird sein Leben vom Gangsterboss Doc (Kevin Spacey), der Überfälle mit stets wechselnden Räuberteams plant. Fahrer des jeweiligen Fluchtwagens ist aber immer der junge Baby, der damit eine Schuld bei Doc abarbeitet. Nur noch ein Auftrag, dann ist er frei. Doch dann kommt alles anders …

Babys Liebe zur Musik ist Resultat eines Autounfalls, der seine Eltern das Leben kostete, während er selbst seither an Tinnitus leidet. Der unaufhörliche Pfeifton im Ohr kann einzig durch Musikhören gedämpft werden. Die Musik scheint aber noch eine andere Funktion zu haben: Sie gibt Baby die Möglichkeit, sich jede Anforderung zu beschönigen, jeden noch so banalen Augenblick zu überhöhen. Wenn Baby zu „Easy“ von den Commodores mit quietschenden Reifen durch die Straßen Atlantas prescht, handelt es sich nicht einfach um banale Action, die nur um ihrer selbst willen gezeigt wird. Sondern es ist als die Art und Weise zu verstehen, in der Babys Psyche sich veräußerlicht.

Vieles in „Baby Driver“ wirkt, als hätte man es bereits gesehen – der wortkarge Held, die Verfolgungsjagden, die impulsiv-dümmlichen Bösewichte, die anrührende Vater-Kind Beziehung, die schwerverliebten Teenager. Wright macht kein Geheimnis daraus, worauf sich die diversen Handlungsstränge und Figuren beziehen: Die Pizzeria, in der Baby kurzzeitig arbeitet, heißt „Goodfellas“, die Angestellte im Postschalter vergleicht sich selbst mit Dolly Partons Figur in „9 to 5“. Weniger explizit, aber nicht weniger offensichtlich sind, beispielsweise, die Ähnlichkeiten von Babys Freundin Debora (Lily James) mit Shelly aus „Twin Peaks“ oder die Anspielungen auf Gewaltinszenierungen in Tarantino-Filmen.

In „Baby Driver“ nimmt die Musik eine vordergründige Rolle ein. Wer denkt, nur schnelle Lieder mit Bass eigneten sich zur Untermalung hektischer Verfolgungsjagden, irrt. Wright deckt eine breite Spanne an Musikgenres ab, von Dave Brubecks „Unsquare Dance“ bis hin zu „Brighton Rock“ von Queen. Die Tunes sind in der Tat „looney“ in dem Sinne, dass man nie wissen kann, was als nächstes kommt.

Doch nicht nur die Musik sorgt für die überschäumende Energie, die von „Baby Driver“ ausgeht: Der Schnitt ist nichts weniger als atemberaubend. So sind nicht nur die Autofahrten spektakulär inszeniert – selbst ein gewöhnlicher Gang zum Coffeeshop wird in diesem Film zum Ereignis.

Natürlich können nicht alle Verweise im gleichen Maß überzeugen. Wenn aus einem harmlosen Flirt zwischen Baby und Debora eine überlebensgroße Romanze wird, mangelt es ein wenig an Glaubwürdigkeit. Eindeutig ärgerlich ist aber die Beschränkung dieser weiblichen Figur auf ihre bedingungslose Bereitschaft zum Beistand. Es figurieren genau zwei Frauen in „Baby Driver“, und wie so oft ist es die jüngere, sanftere, „weiblichere“ von beiden, die das Love Interest des Protagonisten sein darf.

Auch der Übergang von der Actionkomödie zum Gewaltexzess gegen Ende ist nicht ganz gelungen. Die Leichtigkeit der ersten Hälfte des Films geht dadurch beinahe gänzlich verloren. Wie soll man, davon abgesehen, mitbangen können, wenn manche Figuren einfach nicht sterben zu können scheinen?

Insgesamt mag „Baby Driver“ mehr mit einem aufwendig produzierten Musikvideo als einem Spielfilm gemeinsam haben. Doch was Wright hier auf die Leinwand bringt, funktioniert: es verschlägt den Atem, bringt zum Lachen und macht vor allem unglaublichen Spaß.

Im Kinepolis Kirchberg, Prabbeli, Scala, Starlight und Sura. Alle Uhrzeiten finden Sie hier.

Bewertung der woxx : XX


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