Entwicklung Luxemburg-Stadt
: Alle 25 Jahre

Mehr als 110.000 Menschen leben in Luxemburg Stadt – fast ein Drittel mehr als vor zehn Jahren. Und auch die Zahl der Arbeitsplätze nimmt ständig zu. Der neue Bebauungsplan soll erlauben – ohne an bestehenden Grünzonen zu knabbern – das rasante Wachstum aufzufangen. Jetzt haben die BürgerInnen einen Monat Zeit zu erklären, ob sie mit diesen Plänen leben können.

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2012 kamen auf jeden Einwohner der Hauptstadt etwa anderthalb Arbeitsplätze. Doch variiert dieses Verhältnis sehr stark von einem Viertel zum anderen. Daraus ergeben sich innerhalb des Stadtgebiets besondere Entwicklungspole, deren Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz besondere Beachtung finden soll. (Foto: European Union)

Nicht kompliziert, aber komplex. Stadtbürgermeisterin Lydie Polfer tourt derzeit mit ihrem SchöffInnenrat durch die Viertel der Hauptstadt, um den recht zahlreich erscheinenden BürgerInnen das Instrument zu erläutern, das in den nächsten Jahren die Entwicklung der Stadt bestimmen soll. Der „Plan d’aménagement général“ – kurz PAG – wurde am Montag vergangener Woche mit den Stimmen der blau-grünen Mehrheit auf den „Instanzenweg“ gebracht und liegt seit Montag dieser Woche für einen Monat zur Einsichtnahme in der Gemeinde aus. Und weil sich seit Inkrafttreten des letzten Flächennutzungsplans die technischen Möglichkeiten geändert haben, können sämtliche Dokumente auch online unter pag.vdl.lu eingesehen werden.

Was den politischen Aspekt der Sache angeht, ist festzuhalten, dass sich die Oppositionsparteien beim Votum zum PAG enthalten haben – aus inhaltlichen, aber auch aus prozeduralen Gründen. Die inhaltliche Kritik bezieht sich vor allem auf die dem PAG zugrundeliegenden Wachstumszahlen bei Bevölkerung und Arbeitsplätzen.

Konsultationen im Vorfeld

Der Hauptgrund der Opposition für ihre Weigerung, den ausgearbeiteten Plan politisch zu legitimieren, dürfte aber die Tatsache sein, dass sich nach der breit angelegten Konsultation der BürgerInnen, die im Jahre 2014 endete, die weitere Ausarbeitung des PAG im stillen Kämmerlein vollzog. Die Oppositionsräte konnten die Dokumente nur für kurze Zeit einsehen, und besonders die Grünen hatten einige Mühe zu erklären, wieso hier nicht ein breiterer Ansatz gesucht worden war. Hinter vorgehaltener Hand wird eingestanden, das Dossier Stadtentwicklung liege nun einmal beim „großen“ Koalitionspartner. Selbsterhobene Ansprüche – inspiriert unter anderem von dem zum Vorbild gekürten Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der auf Einladung von Déi Gréng im Februar 2013 einen Vortrag über gelungene Bürgerbeteiligung hielt – werden zurückgestutzt: Schließlich habe es umfassende Beratungen im Vorfeld der Ausarbeitung des PAG gegeben. Und: Bei späteren Teilbebauungsplänen sollen die Beratungen breiter angesetzt werden.

1377thema2Doch die Funkstille, die bei der Ausarbeitung des PAG herrschte, ist wohl auch den komplizierten gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzulande anzulasten. Als 2006 das Gesetz zu den neuen PAG verabschiedet wurde, konnte man noch davon ausgehen, dass in den Folgejahren die sogenannten „plan sectoriels“ mit landesweiter Geltung zustande kommen würden und die über hundert Kommunen ihre neu zu formulierenden PAGs mit einheitlicher Nomenklatur danach auf diese abstimmen könnten. Drei Regierungen sind aber daran gescheitert, die Sektorpläne rechtskräftig durch die Instanzen zu bringen, weshalb auch die Deadline für die PAGs immer wieder verschoben werden musste – bis zum jetzt „verbindlich“ geltenden Termin von Mitte 2018. Vor diesem Termin sollen dann auch endlich die Sektorpläne spruchreif werden, was allerdings nicht verhindert, dass PAGs, wie jener der Stadt Luxemburg, die schon jetzt spruchreif sind, noch mit einigen Fragezeichen versehen sind.

Nachdem sich die Bürgerbeteiligung auf das Registrieren von Ideen, Befürchtungen und Stimmungen im Vorfeld beschränkt hat, gelten jetzt die eher knappen Fristen und rigideren Regeln für Einsprüche, wie sie im Gesetz vorgeschrieben sind. Bis zum 20. Juli können die BürgerInnen ihre Bedenken schriftlich geltend machen. Die ebenfalls mit der Überprüfung des PAG beauftragten Ministerien haben ihrerseits vier Monate Zeit, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. In der Zwischenzeit wird der SchöffInnenrat – so sieht es das Gesetz vor – alle, die einen Einspruch eingereicht haben, auch persönlich hören, wobei es auch zu Regruppierungen kommen kann, wenn mehrere Einsprüche gleichen Inhalts sind oder sich auf einen präzisen Standort beziehen.

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Unterschiedliche Prognosen, aber gleicher Trend: In den 25 bis 30 Jahren die der PAG gelten soll, wird die Einwohnerzahl noch einmal um ein gutes Drittel zunehmen.

Wie umfangreich diese Konsultationen sein werden, lässt sich erst abschätzen, wenn alle schriftlichen Einsprüche vorliegen. Der Andrang im Bierger-Center war in den ersten Tagen nicht massenhaft, aber doch so, dass das bereitstehende Team intensiv beansprucht war, allen das „komplexe“ Zusammenspiel zwischen den aushängenden Plänen und der umfangreichen schriftlichen Dokumentation zu erläutern. Allerdings dürften die meisten Interessierten den Weg auf den Knuedler wohl erst antreten, nachdem die für ihr Viertel vorgesehene Informationsversammlung stattgefunden hat. Diese Versammlungen dauern noch bis zum 30. Juni. Die letzte betrifft Kirchberg und die angrenzenden Viertel – sie dürfte für die Verantwortlichen die unbequemste der insgesamt sechs Veranstaltungen werden, weil die Anwohner aus Weimershof (siehe woxx 1376) schon im Vorfeld massive Opposition angekündigt haben.

Ein Monat Einspruchsfrist

Nach der gesetzeskonformen Abarbeitung sämtlicher Einsprüche wird der SchöffInnenrat einen neuen Entwurf zur Abstimmung im Gemeinderat vorlegen. Lydie Polfer hofft, dass das Anfang des nächsten Jahres passieren wird. Danach gibt es noch ein weiteres Mal die Möglichkeit zu einem Einspruch – diesmal beim zuständigen Innenministerium. Die Frist ist hierbei allerdings auf zwei Wochen begrenzt, und es finden auch nur solche Änderungsvorschläge Berücksichtigung, die bereits in der ersten, gegenwärtig stattfindenden Konsultation eingebracht, aber vom SchöffInnenrat abgelehnt werden. Womit klar ist: Wer sich jetzt nicht sputet, hat später das Nachsehen. Auch wenn der PAG nur eine Vorlage für spätere Einzelbebauungspläne ist, die jeweils erneut einer Genehmigungs- und Konsultationsprozedur unterliegen, so ist er doch ein strategisches Instrument, das die Entwicklung der Stadt nachhaltig beeinflussen wird.

Das Gesetz von 2006 macht keinen Unterschied zwischen einer kleinen

1377stoosLandkommune und einer Stadt, die die 100.000-Grenze überschritten hat. Dass in der Maus-Ketty-Gemeinde Bürmeringen ein Monat ausreichend ist, um auch den letzten Heckenstrauch von allen BürgerInnen einzeln begutachten zu lassen, leuchtet ein. Doch in der Stadt Luxemburg hätte es sicherlich nicht geschadet, die BügerInnenkonsultation bis in den Herbst auszudehnen – so lange nehmen sich ja auch die Ministerien Zeit. Der Verdacht, dass hier eine Überrumpelung versucht wird, käme jedenfalls weniger leicht auf, und die Einsprüche könnten reflektierter und wohl auch strukturierter sein. Und vor allem: Auch eine durchprofessionalisierte Stadtverwaltung sieht nicht immer alles.

Partikularinteressen gegen Gemeinwohl

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Die „nouveaux quartiers“ sollen den Raum für viele neue Teilbebauungspläne (hier rot eingezeichnet) bieten. So wächst die Stadt innerhalb des geltenden Perimeters.

Dem etwas restriktiven Tenor des Gesetzes von 2006 liegt natürlich die Befürchtung zugrunde, ein mühsam erarbeiteter PAG könnte in einer Sintflut von Partikularinteressen ertrinken. Denn dass die Summe aller Einzelinteressen automatisch dem Allgemeininteresse gleichkommt, das glauben auch die liberalsten PolitikerInnen inzwischen nicht mehr. Und ohne einen rechtlich bestmöglich abgestützten PAG hat die Bürgermeisterin schlechte Karten, wenn es um die (Nicht-)Genehmigung politisch weniger wünschenswerter Vorhaben geht. Denn allzu oft gilt der Satz: Was nicht ausdrücklich verboten ist, muss genehmigt werden.

Wer die Periode des Vago-Plans (von Mitte der 1960er bis Anfang der 1990er Jahre) miterlebt hat, weiß wozu schlechte Entwicklungspläne führen können. Die Zerstörung des Boulevard Royal – dem kurzzeitig auch schon einmal der Name „Boulevard Banal“ verliehen wurde – aber auch so manche Bausünde in einzelnen Stadtvierteln und bis dahin homogen gewachsenen Ensembles fallen in diese Zeit. Doch auch der subtilere und mit mehr Bedacht erstellte Joly-Plan konnte nicht alle Fehlentwicklungen vermeiden. Auch wenn sich Luxemburg zu einer „schöneren Stadt“ entwickelt hat, wie sich die Bürgermeisterin gerne brüstet, ist doch vieles schiefgelaufen, zumal der Joly-Plan auch viele Kompromisse eingehen musste und dort, wo Vago strukturell bereits zu stark gewirkt hatte, auch den restlichen Baubestand vielfach als nicht mehr schützenswert einstufte.

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Die optimistische Zahl von 51,5 Prozent an nicht bebauten oder versiegelten Flächen auf dem Stadtgebiet entsteht, wenn man die außerhalb des Bauperimeters liegenden Freiflächen, wie der Gréngewald, mit den Grünflächen und Parks innerhalb der Agglomeration zusammenlegt. Immerhin: Trotz Zuwachs an Wohnraum und Arbeitsplätzen soll dieser Anteil erhalten bleiben.

Der neue PAG – der maßgeblich vom Luxemburger Büro Zeyen-Baumann ausgearbeitet wurde und sich deshalb nicht mehr mit dem klingenden Namen eines ausländischen Professors zieren darf – soll den Schutz des Bestandes und der gewachsenen Strukturen verbessern. Lydie Polfer bringt das auf die beruhigende Formel des „Da wo schon gebaut ist, wird sich nicht viel ändern“. Dass sich in diesen Gebieten die Farbgebung des Plans trotzdem verändert, hat vor allem mit der nationalen Standardisierung zu tun: Das viele Rot im Stadtkern, im Bahnhofsviertel oder entlang einiger Achsen in den einzelnen Stadtvierteln liegt an dem Begriff „zone mixte“ und deutet nicht unmittelbar auf eine extrem hohe Bebauung hin. Es soll mit ihm lediglich verdeutlicht werden, dass in diesen Bereichen die Ansiedlung von Geschäften, Büros und dergleichen geplant ist. Dass hier aber auch gewohnt werden soll, ergibt sich erst auf den zweiten Blick, nämlich wenn man sich auch die zusätzlichen Informationen über Bebauungshöhen und -dichten und den Anteil an Wohnraum aus den schriftlichen Begleitdokumenten zu Gemüte führt.

Der PAG ist eine Art Kompromiss zwischen dem, was in der Stadt alles passieren darf – weil sich der Wunsch nach Nachhaltigkeit in den letzten Jahren doch hat durchsetzen können; und dem was passieren muss – weil die Europahauptstadt enorme Wachstumsraten bei Arbeitsplätzen und Einwohnerzahlen zu verkraften hat. Deshalb hätte es dem PAG gutgetan, wenn er politisch eine bereitere Zustimmung erfahren hätte, denn der Spagat zwischen Lebensqualität und Wachstumserwartungen ist kein einfacher.

1377thema7Zumindest LSAP und CSV tun sich schwer damit, die grundsätzliche Haltung des SchöffInnenrats als falsch abzutun. Am Bau-Perimeter wurde nicht gerüttelt, das heißt, der Bevölkerungszuwachs und die Zunahme wirtschaftlicher Aktivitäten werden sich ausschließlich in den bisher ausgewiesen Zonen vollziehen. Was nicht bedeutet, dass es keine freien, neuen Flächen gäbe. Trotzdem wird es in den existierenden Vierteln zu einer Verdichtung kommen müssen. Der PAG unterschiedet deshalb fein säuberlich zwischen „quartiers existants“ (QE) und „nouveaux quartiers“ (NQ). In den QE sind es aktuelle oder zukünftige Industriebrachen – wie etwa das Heintz van Landewyck / Paul Wurth Areal in Hollerich -, für die gesonderte Pläne ausgearbeitet wurden oder werden. In den NQ, wo es bislang keine Bebauung gab oder diese erst dabei ist, richtig in Angriff genommen zu werden – wie beim Ban de Gasperich –, gelten etwas andere Regeln, die im besten Falle erlauben, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Ziel ist es dort, von Anfang an eine dichtere Bebauung zu erreichen, dabei aber auch die nötigen freien Flächen für Erholung und gemeinschaftliche Bedürfnisse wie Schulen zu reservieren.

1377thema6Die knappe Einspruchsfrist droht den Blick für das große Ganze zu versperren, da jeder vor allem seine private Wohnsituation und die dort zu erwartende Veränderung im Sinn hat. Auch wenn es stimmt, dass die Stadt kaum Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung nehmen kann und somit mit (bisher fast durchweg unterschätzen) Wachstumsraten rechnen muss, wäre es gerade dem PAG der Hauptstadt gut bekommen, wenn diese Perspektiven-Diskussion vorher geführt worden wäre. Statistisch und auch städtebaulich rechnen der PAG und die parallel dazu durchgeführte strategische Umweltverträglichkeitsprüfung vor, dass Luxemburg durchaus im ausgewiesenen Maße wachsen kann. Ob dieses Szenario so sein muss, sagt der PAG nicht. Doch die Politik hat sich dem Zwang wohl längst ergeben.

pag.vdl.lu

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