EU-Regeln für Wasserstoff: Wann ist Wasserstoff nachhaltig?

Mitte Februar wurden die lang-
ersehnten EU-Regeln für nachhaltigen 
Wasserstoff veröffentlicht. Das wichtige Prinzip der Zusätzlichkeit wurde zurückbehalten. Dennoch stellt das komplexe Regelwerk nicht alle zufrieden.

Sieht nicht besonders beeindruckend aus, ist aber ein Teil der Zukunft: 
Ein 2 MW-Wasserstoffelektrolyseur. Laut dem Konstrukteur lassen sich damit 270 bis 800 Kilo Wasserstoff am Tag herstellen. (Foto: CC-BY-SA Bubble60/Wikimedia)

Nach langer Wartezeit veröffentlichte die EU-Kommission am 13. Februar endlich die neuen Regeln dafür, wann Wasserstoff als nachhaltig gilt. Das Datum kommt einem verfrühten Geschenk zum Valentinstag gleich. Doch ob dabei eher die Industrie oder die Umwelt beglückt werden sollte, ist nicht so eindeutig festzustellen. Denn das vorgeschlagene Regelwerk ist vor allem eins: kompliziert.

Als Energieträger ist Wasserstoff (H2) in den letzten Jahren eine große Projektionsfläche für Träume und Hoffnungen gewesen. Dadurch, dass sich Wasserstoff – technisch kompliziert, aber doch – speichern und transportieren lässt, ist er eine gute Möglichkeit, Strom aus Wind-, Wasser- oder Sonnenenergie für einige Zeit zu speichern. Außerdem kann er die Basis für weitere Chemieprodukte sein: Neben synthetischen Kraftstoffen – Efuels oder Synthfuels genannt – kann man daraus auch Ammoniak oder andere Chemikalien herstellen.

So könnten zukünftig auf Basis von CO2-frei hergestelltem Wasserstoff auch „grüne“ Düngemittel oder „grüner“ Stahl hergestellt werden. Der Einsatz in privaten Autos wird vermutlich nie passieren: Elektroautos sind wesentlich effizienter und damit billiger als Wasserstoffbrennstoffzellen-Autos. Höchstens für Oldtimer wird „grünes“ synthetisches Benzin eine sündhaft teure Option darstellen. Da viele industrielle Prozesse ohne grünen Wasserstoff nicht dekarbonisiert werden können, wird die Nachfrage nach dem Energieträger vor allem aus der chemischen und der Stahlindustrie groß sein.

Energie für Energieträger

Wasserstoff kommt in der Natur nicht ungebunden vor. Um ihn als Energieträger nutzen zu können, muss er also erst gewonnen werden. Bisher wurde er aus fossilen Energieträgern wie Kohle oder Erdgas hergestellt, wobei jedoch CO2 entsteht. Eine andere Möglichkeit ist die Elektrolyse von Wasser. Mithilfe von Strom entsteht aus Wasser in einem Elektrolyseur zum einen Wasserstoff und zum anderen Sauerstoff. Dafür ist ein hoher Energieaufwand nötig. Wenn der dafür eingesetzte Strom aus erneuerbaren Energiequellen kommt, kann der Wasserstoff als nachhaltig bezeichnet werden. Da es jedoch nicht unendlich viel erneuerbaren Strom gibt, könnte die Wasserstoffproduktion also in Konkurrenz mit dem normalen Strommarkt treten. Das würde heißen: Dreckige Gas- und Kohlekraftwerke müssten angefeuert werden, um den Stromverbrauch zu decken. Im schlechtesten Fall würde mit grünem Strom Wasserstoff produziert, während zum Beispiel effizientere Elektroautos den CO2-intensiven Kohlestrom laden müssen.

Um solche Szenarien zu verhindern, gilt in der EU der Grundsatz der Zusätzlichkeit. Das bedeutet, dass Wasserstoff nur dann als nachhaltig gilt, wenn der Elektrolyseur mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben wird, der zusätzlich hergestellt wird und nicht schon vorher zur Verfügung stand. Der Strom muss außerdem zur gleichen Zeit und im gleichen Gebiet wie der Wasserstoff produziert werden. Das gilt nicht nur für Wasserstoff selbst, sondern auch für wasserstoffbasierte Kraftstoffe oder „erneuerbaren Brenn- und Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs“ (renewable fuels of non-biological origin – RFNBOs). Mit diesem sperrigen Begriff bezeichnet die EU einerseits „grünen“ Wasserstoff, andererseits aber auch die daraus hergestellten synthetischen Kraftstoffe, mit denen in Zukunft etwa Flugzeuge möglichst CO2-frei betrieben werden sollen.

Für RFNBOs gibt es noch eine zusätzliche Regel: Über ihren gesamten Lebenszyklus, von der Produktion bis zur Verbrennung, müssen sie mindestens 70 Prozent Treibhausgase gegenüber konventionellen Treibstoffen einsparen. Ansonsten gelten sie nicht als „erneuerbar“. Um es noch komplizierter zu machen: Wasserstoff kann ja nicht nur mittels Elektrolyse hergestellt werden, sondern auch aus Erdgas. Und was ist mit Wasserstoff, der aus Biogas gewonnen wird? Der gilt nicht als RFNBO, sondern fällt laut EU-Regeln unter die Definition von „Biomasse-Brennstoffe“.

Zusätzlichkeitsgrundsatz ab 2028

Wer also jetzt ins Wasserstoff-Business einsteigen will, muss sich eine sonnige, eine windige oder eine wasserreiche Gegend Europas suchen. Dort baut man einen Elektrolyseur und eine Photovoltaik-, Wind- oder Wasserkraftanlage. Mit so einer Kombination wäre man zu hundert Prozent sicher, dass der Wasserstoff den Zusätzlichkeitsgrundsatz erfüllt. Doch es gibt auch die Möglichkeit, diesen Grundsatz ohne neue Energieproduktion zu erfüllen. In Gegenden, in denen der Strommix zu 90 Prozent aus erneuerbaren Energien gespeist wird reicht es, einen erneubaren Strombezugsvertrag vorweisen zu können, um nachhaltigen Wasserstoff produzieren zu können. Dennoch darf der Elektrolyseur nur zu solchen Zeiten laufen, in denen der erneuerbare Strom nicht knapp und teuer ist. Die Logik dahinter: In Gegenden, in denen bereits mehr erneuerbarer Strom produziert als nachgefragt wird, kann mit dem „überschüssigen“ Strom problemlos Wasserstoff produziert werden. Dies soll stundengenau abgerechnet werden. Das, um zu verhindern, dass ein Elektrolyseur etwa nachts betrieben wird, wenn gar kein Solarstrom vorhanden ist.

Laut dem „Repower EU“-Plan sollen ab 2030 jährlich 10 Millionen Tonnen RFNBOs in der EU erzeugt werden. Der dafür benötigte Strom entspricht 14 Prozent des heutigen Stromverbrauchs in der gesamten Union, etwa 500 Terawattstunden. Um diese gewaltigen Kapazitäten möglichst rasch aufbauen zu können, will die EU-Kommission in der Anfangsphase nicht so stark auf den Zusätzlichkeitsgrundsatz pochen. Bis zum 1. Januar 2028 gilt nämlich eine Einführungsphase.

Während dieser Einführungsphase gilt die Abrechnung auf Monatsbasis und nicht wie später auf Stundenbasis. Solange sie innerhalb eines Monats nur so viel Wasserstoff produzieren, wie erneuerbare Energien zur Verfügung stehen, gilt der Wasserstoff als nachhaltig. Das heißt: Der Elektrolyseur darf zu jeder Tageszeit laufen und kann auch durch fossile Energien betrieben werden. Zumindest bis 2028. Laut der EU-Kommission sollen so in der Frühphase der Wasserstoffindustrie konstante Liefermengen gewährleistet werden.

Der europäische Lobbyverband der Wasserstoffindustrie, Hydrogen Europe, begrüßte die Veröffentlichung der Regeln. So ganz zufrieden ist man jedoch nicht: Es habe zu lange gedauert und die strengen EU-Regeln mit dem Zusätzlichkeitsgrundsatz würden die Produktion von nachhaltigem Wasserstoff in Europa teuer machen und die Expansion bremsen. Die Regierungen müssten nun die Preisschere zwischen konventionellem und erneuerbar produziertem Wasserstoff verkleinern – sprich Subventionen auszahlen. „Eine bei Weitem nicht perfekte Verordnung ist besser als gar keine Verordnung. Endlich gibt es Klarheit für Industrie und Investoren, und Europa kann den Markt für erneuerbaren Wasserstoff in Gang bringen“ wird Jorgo Chatzimarkakis, der CEO von Hydrogen Europe, in der Pressemitteilung zitiert. Man hoffe darauf, dass die EU-Kommission die Stundenregelung vor ihrer Einführung 2030 noch einmal gründlich überprüfe.

Wo ist der Einsatz von „grünem“ Wasserstoff sinnvoll, und wo ist es besser, auf Alternativen wie Elektroantriebe zu setzen? Diese Grafik gibt einen Überblick.

 (Grafik: CC-BY Gregor Hagedorn, Wolf-Peter Schill & Martin Kittel, based on Michael Liebreich/Liebreich Associates, 
Clean Hydrogen Ladder, Version 4.1, 2021. Concept credit: Adrian Hiel, Energy Cities)

Fast alle zufrieden

„Der Luxemburger Regierung ist es wichtig, dass diese Methodologie und die Regeln nach langem Warten endlich angepasst wurden und begrüßt es, dass Übergangsphasen vorgesehen sind, sodass die Regeln Schritt für Schritt angewandt werden“, so ein Sprecher des Energieministeriums gegenüber der woxx. Die Regierung weist darauf hin, dass die EU-Kommission das eigentlich schon bis Ende 2021 hätte tun müssen: „Projektentwickler haben diesen Mangel viel kritisiert, weil dadurch keine Planungssicherheit gegeben war.“

Auch die NGO Transport and Environment freut sich, dass die Regeln nun endlich publiziert wurden. In ihrer Pressemitteilung zitiert sie Geert Decock: „Die EU hat Klarheit darüber geschaffen, was Wasserstoff grün macht und was nicht. Dies wird Investitionen in Wasserstoff und E-Kraftstoffe ankurbeln, die für die Dekarbonisierung unserer Schiffe, Flugzeuge und Schwerindustrie entscheidend sind. Indem die Kommission die Erzeugung von grünem Wasserstoff mit zusätzlichen Kapazitäten aus erneuerbaren Energien koppelt, vermeidet sie die potenziell katastrophalen Folgen, die sich aus der Schaffung einer neuen Nachfrage für das bereits begrenzte Angebot an erneuerbarem Strom ergeben könnten.“ Kritik äußerte die NGO jedoch an der Möglichkeit, dass Wasserstoff-Projekte, die vor 2028 starten, Strom aus Kohle und Gas für die Elektrolyse benutzen können.

Nicht alle teilen den Optimismus der Industrie und mancher NGOs. Bei der NGO Global Witness, die sich vor allem mit Ressourcenabbau und Menschenrechten beschäftigt, ist man sehr negativ gegenüber den Regeln der EU-Kommission eingestellt: „Der Plan der Europäischen Kommission, sogenannten ‚grünen‘ Wasserstoff mit Strom aus fossilen Gas- oder Kohlekraftwerken herzustellen, ist sicherlich der Goldstandard des Greenwashings“, so Dominic Eagleton, Gasexperte der NGO in einer Pressemitteilung.

Regionen, in denen der Strommix heute bereits besonders CO2-arm ist, sind also prädestiniert dafür, Wasserstoff zu produzieren. Das betrifft allerdings nicht nur Gegenden, in denen es viele Sonnenstunden gibt oder der Wind besonders häufig bläst – Gegenden oder Länder mit einem hohen Atomstromanteil im Energiemix können nämlich ebenfalls von der EU-Regel profitieren. Dies betrifft besonders Frankreich und Schweden. Im Luxemburger Energieministerium sorgt man sich hierüber jedoch wenig: „Konkret geht es um den Artikel 4§2, in dem die Möglichkeit vorgesehen ist, Netzstrom zum Betreiben eines Elektrolyseurs zu nehmen, wenn die CO2-Intensität des Strommixes unter einer bestimmten Schwelle liegt. Dann kann man vom Zusätzlichkeitsprinzip befreit werden. Allerdings heißt das nicht, dass dadurch immer mehr Atomstrom benutzt werden kann, um Wasserstoff herzustellen, weil die Anlagenbetreiber trotzdem erneuerbaren Strom über die sogenannten Power Purchase Agreements beziehen müssen.“ Außerdem, so der Sprecher des Energieministeriums weiter, gelten die gleichen zeitlichen und geografischen Bestimmungen.

Woher nehmen, wenn nicht importieren?

Da Luxemburg bisher auf Strom-
importe angewiesen ist und der Ausbau der erneuerbaren Energie eher langsam vorangeht, ist es unrealistisch, dass sich hierzulande eine Wasserstoffproduktion ansiedelt. Im benachbarten Grand-Est könnte die Situation aufgrund der neuen EU-Regeln jedoch anders sein. „In der Region Grand-Est könnten, sobald der nationale Strommix in Frankreich unter der Schwelle von 18 Gramm CO2-Äquivalent pro Megajoule liegt, Projekte geplant werden, die den neuen EU-Regeln folgen, das heißt die ihren erneuerbaren Strom über Power Purchase Agreements beziehen müssen“, hieß es aus dem Energieministerium gegenüber der woxx auf die Frage, ob die neue Regelung Projekte in der Großregion beeinflussen könnte.

Der Wasserstoff muss jedoch gar nicht aus Europa kommen. Bereits heute tüfteln jene Firmen, die mit dem Verkauf von Erdöl – und somit der Schaffung der Klimakrise – groß und reich geworden sind, an Projekten in Afrika. So kündigte Total im September 2022 an, gemeinsam mit der Chariot in Mauretanien einen 10 Gigawatt Elektrolyseur bauen zu wollen. Der nachhaltige Wasserstoff ist für den Export nach Europa vorgesehen. Die EU-Regeln dafür, was als nachhaltiger Wasserstoff gilt, gelten prinzipiell auch für Importe aus Drittländern. Allerdings soll dort die Zertifizierung, die die EU vorsieht, auf einem freiwilligen System basieren. Grundsätzlich stellt sich ohnehin die Frage, ob es nicht sinnvoller ist, in afrikanischen Ländern zuerst die Stromversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen, bevor man „zusätzliche“ Kapazitäten für die Produktion von Wasserstoff errichtet.

Auch im Rahmen der Luxemburger Wasserstoffstrategie ist ein Projekt in Afrika vorgesehen: Das Energieministerium hat die Entwicklungsagentur LuxDev damit beauftragt, eine Machbarkeitsstudie für die Wasserstoffproduktion auf Cabo Verde durchzuführen. Seit November 2021 läuft die Studie, die sich die Luxemburger Regierung 350.000 Euro hat kosten lassen. Erste Ergebnisse werden im dritten Quartal 2023 erwartet.

Die strengen Regeln der EU-Kommission müssen jetzt noch von Parlament und Rat abgesegnet werden. Da es bei einem „delegierten Rechtsakt“ keine Möglichkeit gibt, den Text noch zu verändern, ist damit zu rechnen, dass er in der jetzigen Form angenommen wird. Durch den Fakt, dass die strengeren Regeln erst 2028 in Kraft treten, könnte es zu einer Art Goldrausch im Wasserstoffsektor kommen.


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