EU vor neuen Herausforderungen: Macht ohne Souveränität?

von | 10.10.2025

Die Europäische Union muss sich in einem immer aggressiver werdenden machtpolitischen Ringen bewähren. Anders als ihre Konkurrenten ist sie jedoch bloß ein prekärer Interessenverband, kein Staat. In seinem neuen Buch denkt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler darüber nach, wie dieser Mangel ausgeglichen werden kann.

(© rowohlt)

Russische Drohnen im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – diese Form der Souveränitätsverletzung war beim informellen EU-Gipfel in Kopenhagen in der vorigen Woche nicht nur ein theoretisches Problem. In den Tagen vor dem Treffen hatten solche Geräte (in diesem Fall nicht identifizierten Ursprungs) unter anderem dänische Militärbasen überflogen. Kurz zuvor waren russische Jets in den estnischen Luftraum eingedrungen. „Les Européens attendaient de leurs dirigeants des décisions fortes et des actes durant le sommet informel de Copenhague“, schrieben die Journalisten David Carretta und Christian Spillmann in ihrem Newsletter „La Matinale Européenne“ angesichts der Situation. Gehört jedoch habe man eine „terrible cacophonie“. „Nous sommes en confrontation avec la Russie”, so der französische Präsident Emmanuel Macron zu Beginn des Gipfels. „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden“, hatte Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz gemeint. Luxemburgs Premierminister Luc Frieden (CSV) wiederum sagte dem Radiosender „100,7“ zur Drohnenproblematik schlicht: „Zu Lëtzebuerg huet sech de Problem nach net gestallt.“ Am schärfsten formulierte es die dänische Premierministerin und Gastgeberin Mette Frederiksen. Sie sieht Europa „in der gefährlichsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg“; eine „sehr starke kollektive Reaktion“ sei nun gefragt. „Un sommet de cette importance […] aurait mérité un minimum de préparation et de concertation afin d’envoyer un message d’unité et de fermeté à un agresseur russe qui mise lui sur la désunion des Européens“, kritisierten Carretta und Spillmann in ihrer Analyse.

Mit ähnlicher Besorgnis blickt auch eine zunehmende Zahl von Wissenschaftler*innen auf die Trägheit und Uneinigkeit, mit der die EU und ihre Mitgliedsstaaten den zunehmend forschen militärischen Provokationen Russlands begegnen. „Ich glaube, es wird zu einer Spaltung in Europa kommen – entlang der Haltung der Staaten zum Ukraine-Krieg“, sagte kürzlich Karl Schlögel im Interview mit der Schweizer Tageszeitung „Neue Züricher Zeitung“. Folgt man dem geopolitisch orientierten Historiker, der Anfang kommender Woche in Frankfurt den Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2025 erhält, stehen die Zeichen auf Krieg, auf den es sich vorzubereiten gilt. Es sei Zeit, „Abschied zu nehmen von einer Welt, die es so nicht mehr gibt, und sich der Realität zu stellen“.

Führung durch Luxemburg passé

Für den Politikwissenschaftler Herfried Münkler bedeutet das nicht zuletzt, dass in der Europäischen Union jemand der „Kakophonie“ ein Ende bereiten und entschlossen die Führung übernehmen müsse. Lange Zeit habe Luxemburg diesen Job übernommen. „Der Vorzug dieser luxemburgischen Führung war, dass sie die Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich neutralisierte und als ein im buchstäblichen Sinn ‚Dazwischenstehender‘ der natürliche Vermittler zwischen den beiden größten EU-Staaten war“, so Münkler, der im Unklaren lässt, ob er damit mehr als nur die Präsidentschaft in der EU-Kommission durch Jacques Santer (1995-1999) und Jean-Claude Juncker (2014-2019) meint. In einer „veränderten Weltlage“ jedenfalls könne sich die EU „eine solche Art von Führung durch einen der Kleinsten nicht länger leisten“. Doch wer übernimmt sie dann? Es sei verraten: Deutschland soll es sein.

Weshalb das so sein müsse, versucht der 2018 emeritierte Professor in seinem neuen Buch „Macht im Umbruch“ zu begründen. Um sein Argument zu schärfen, leitet er es mit einer demokratietheoretisch und geopolitisch orientierten Analyse ein, die den Großteil des in fünf Kapitel aufgeteilten Buches ausmacht.

Noch bis vor wenigen Jahren sei jeder Blick auf die Gegenwart der Prämisse gefolgt, dass die offene Rivalität und Feindschaft zwischen den Staaten in wirtschaftliche Konkurrenz überführt worden sei. Machtpolitik, gar mit kriegerischen Mitteln, gehöre der Vergangenheit an. Inzwischen jedoch werde man tagtäglich eines Besseren belehrt. Wie konnte es soweit kommen? Neben der russischen Invasion in der Ukraine und der erratischen US-Außenpolitik nennt Münkler unter anderem die „Migrationsbewegungen in Richtung Europa und Nordamerika“, die zu „disruptiven“ Veränderungen führten. Vor allem jedoch widmet er sich dem quantitativen Rückgang der Demokratien weltweit und der Vermehrung autoritärer Regime.

„Macht im Umbruch“ bedeutet demnach nicht zuletzt die Konfrontation zwischen „den demokratischen Verfassungsstaaten und den autoritär-autokratischen Regimen“. Dieses „Ringen“, so Münkler, vollziehe sich in Bündnissen, die weniger stabil seien als zu Zeiten des Kalten Kriegs: „Es wird sich vermutlich über Jahrzehnte hinziehen, und für den Ausgang dürfte entscheidend sein, welche von beiden Seiten besser in der Lage ist, die von ihr formierten Bündnisse zusammenzuhalten“.

Diese Aufgabe wird laut dem Wissenschaftler erschwert durch die Probleme, die Demokratien bei der Verteidigung derselben haben. Es macht bekanntermaßen einen Unterschied, ob politische Entscheidungen vor der Bevölkerung gerechtfertigt und gemäß rechtsstaatlichen Maßstäben verankert werden müssen oder ob man ungehindert agieren und mittels Repression nach innen durchregieren kann. Münkler argumentiert, mit dem Aufkommen des Populismus sei das Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsrecht und Bürgerwillen sichtbar geworden, wobei die Bürger*innenschaft sich immer häufiger nicht mehr in den konstitutionellen Maßstäben wiedererkenne. Damit sei das „Konstruktionsprinzip der modernen Demokratie“ in Gefahr. Als mögliches Gegenmittel diskutiert der Autor das Für und Wider von mehr unmittelbarer Bürgerbeteiligung, kommt aber zu dem Schluss, dass „Rechtsstaatlichkeit und eine auf permanente Umkehrbarkeit politischer Entscheidungen angelegte Form der Demokratie“ nicht miteinander vereinbar seien. Es fehle dann an Verbindlichkeit und Berechenbarkeit, die wichtige Bestandteile einer jeden Rechtsordnung sind.

Die prekäre geopolitische Lage der EU

Hinzu kommt die Einflussnahme von außen, wie sie in rasch zunehmendem Maße vor allem von Seiten Russlands (Bot-Fabriken zur Desinformation usw.) beobachtet werden kann. Das Argument, auch russische Menschenrechtler und andere liberalen Kräfte würden schließlich von westlichen Nationen unterstützt, was ebenfalls ein Eingriff in die öffentliche Debatte eines anderen Landes sei, lässt Münkler nicht gelten: Dies sei „allenfalls ein begrenzter Ausgleich“ für die Einschränkungen und Repression, die solche Initiativen in autoritären Regimen erleben. Vor allem: „Während die Demokratien den Schutz von Menschen- und Bürgerrechten sicherzustellen suchen, betreiben die autoritären Regime eine hybride Kriegsführung, um die Demokratien zu destabilisieren.“ Hier benennt Münkler einen wesentlichen Unterschied, den nur ignorieren kann, wer sich politische Verfolgung, wie sie beispielsweise die Ende 2021 verbotene russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ erlebte, gar nicht vorzustellen vermag.

Schwammig wird es, wenn Münkler sich der Frage zuwendet, wo die Ursachen für den zunehmenden „Populismus“ liegen. Zwar kommt er auf wirtschaftliche Probleme und Verarmungsprozesse zu sprechen, erklärt sie jedoch vor allem mit einer ökonomischen Zyklentheorie (jener des sowjetischen Wirtschaftswissenschaftlers Nikolai Kondratjew). Eine Analyse der Krisendynamik, wie sie der kapitalistischen Warenproduktion eingeschrieben ist, findet sich bei Münkler nicht, auch wenn er ein akademischer Ziehsohn des an Karl Marx orientierten Politikwissenschaftlers Iring Fetscher (1922-2014) ist.

Unter Rückgriff auf einen historischen Abriss verschiedener geopolitischer Theorien kommt der Autor dann auf die heutige prekäre Lage der Europäischen Union zu sprechen, wie sie sich angesichts des aggressiven Vorgehens Russlands, einem ökonomisch immer einflussreicheren China und der drohenden Abwendung der USA von Europa präsentiert. Diese Kapitel sind auch aufgrund ihres einführenden Charakters interessant. En passant gibt Münkler beispielsweise eine Idee davon, wie ein Imperium von Nationalstaat unterschieden werden kann. Anders als dieser behandelt jenes Grenzen nicht als scharf markierte Linien („borders“), sondern als Grenzräume („frontiers“), „in denen sich der eigene Herrschaftsanspruch ausdehnen, aber auch allmählich verdünnen und verlaufen kann. Unter anderem deshalb sind Imperien in der Regel multinational, multikulturell und multilingual“.

Es ist klar, dass Münkler hier auch nach Analogien zum russischen Kampf um Einflussgebiete sucht. Auch wenn man seiner These, wonach Russland unter Putin imperiale Absichten habe, nicht folgen mag, bringt er analytisch relevante Einsichten zum Charakter des dortigen Regimes hervor. Er weist darauf hin, dass angesichts der geographischen Lage Russlands von einer „Einkreisung“ durch westliche Mächte, die oft apologetisch als Grund für den Angriff auf die Ukraine genannt wird, keine Rede sein kann. Zudem hätten maßgeblich Deutschland und Frankreich bereits 2008 auf dem Nato-Gipfel in Bukarest einen Nato-Kandidatenstatus der Ukraine und Georgiens blockiert, auch wenn die damalige Abschlusserklärung etwas anderes suggeriert.

Mehrstufige EU-Mitgliedschaft

Vor allem jedoch geht es dem Wissenschaftler darum, seine These einer von Deutschland zu führenden EU plausibel zu machen. Hier kommen die mit den verschiedenen geopolitischen Theorien verbundenen Ordnungsvorstellungen ins Spiel. Deutschland, so Münkler sei unter den aktuellen Bedingungen einmal mehr als „Macht der Mitte“ zu denken. Historisch habe die deutsche Wahrnehmung, „eingekreist“ zu sein, zu paranoiden Obsessionen und – so ist zu ergänzen – zur Legimitation des eigenen aggressiven Vorgehens (beide Weltkriege) bis hin zum Mord an den europäischen Juden (die Position des Historikers Ernst Nolte im sogenannten Historikerstreit) geführt. Die Schaffung der EU, so Münkler, habe diese Konstellation politisch und sozioökonomisch entschärft, habe aber auf der Existenz der USA als Schutzmacht eines „machtlosen und selbst kaum verteidigungsfähigen politischen Gebildes“ basiert.

Diese Schutzmacht jedoch ist nun dabei, sich aus Europa zurückzuziehen. Münkler deutet in seinem Buch verschiedene Optionen an, wie sich die EU unter diesen Bedingungen behaupten und vor dem Zerfall schützen kann. Zum einen gelte es, die Paralyse zu überwinden, die durch die bei vielen grundlegenden Entscheidungen bestehende Pflicht zur Einstimmigkeit und das Vetorecht der Mitgliedstaaten entsteht. Dazu plädiert Münkler für eine mehrstufige Mitgliedschaft, die „eine Differenzierung der Rechte und Pflichten“ mit sich bringe, denn: „Die EU braucht ein Zentrum, das mit realer Macht ausgestattet und schnell handlungsfähig ist.“

Deutschland soll „dienend führen“

Beständig umkreist Münkler in seinem Buch so die Grundproblematik, ohne sie jemals explizit auszusprechen: dass die EU nämlich nicht über Souveränität verfügt. Souveränität, wie sie Staaten zukommt, repräsentiert die politische Einheit der Gesellschaft und ist zumindest formal unabhängig von den verschiedenen Interessengruppen, die in dieser Gesellschaft miteinander kämpfen. Der souveräne Staat, so der Politikwissenschaftler Franz Neumann, „bewacht die Grenzen, erobert neue Märkte draußen und schafft die Einheitlichkeit von Verwaltung und Recht nach innen“. Vor allem aber „zerstört er lokale und partikulare Gewalten“ und „hält die kämpfenden sozialen Gruppen in bestimmten Grenzen“, damit keine von ihnen ihre Interessen ungehindert zum Nachteil des Rests der Gesellschaft durchsetzen kann.

Die EU verfügt nicht über eine solche Souveränität, die die politische Einheit garantiert und sich gegen partikulare Interessen einzelner sozialer Gruppen oder Mitgliedstaaten durchsetzen könnte. Das zeigt sich an kaum einer Stelle deutlicher als an der Flüchtlingspolitik, wo ein einheitliches Vorgehen eben nicht gegen die unmittelbaren Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten erzwungen werden kann. Nicht einmal die Verteilung der bereits auf dem Hoheitsgebiet der EU befindlichen Asylsuchenden kann durchgesetzt werden. Auch die im vorigen Jahr verabschiedete Reform des Asyl- und Migrationssystems vermag nicht mehr, als an die Verantwortung zu appellieren, für eine „gerechtere Verteilung“ – was immer das bedeuten mag – von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu sorgen.

Deutschland habe sich hier verantwortungsvoll gezeigt, so Münkler, indem es viele dieser Menschen aufgenommen hat. Auch daher fordert er von dem Land, dass es die fehlende Souveränität der Europäischen Union so gut als möglich kompensieren soll, indem es als „servant leader“ fungiert. Es solle „seine kurzfristigen Interessen“ zurückstellen und diese nur strategisch verfolgen, indem es sich „in den Dienst des Ganzen“ stellt. Als „Hüter des Zusammenhalts“ solle Deutschland „in langen Zeiträumen“ denken, statt sich allzu sehr an den kurzfristig ausgerichteten Wünschen der Wähler*innen zu orientieren.

Was befähigt das Land dazu? Hier kommt er wieder auf das geopolitische Argument der Mitte zurück. Sowohl die geographische Lage als auch seine wirtschaftliche Stärke versetze es in eine entsprechende Lage. Als Alleinstellungsmerkmal nennt er, dass ausgerechnet die deutsche Wähler*innenschaft „eine erheblich größere Widerstandskraft gegenüber der von den Populisten bewirtschafteten Ablehnung der EU und ihrer liberalen Ordnung“ haben soll. Ergebnisse einer aktuellen Umfrage, die am vergangenen Dienstag veröffentlicht wurden, sprechen eine andere Sprache. Demnach käme die rechtsextreme AfD bei Wahlen derzeit auf 26 Prozent der Stimmen – zwei Prozent mehr, als die regierende christdemokratische CDU/CSU bekommen würde. Die mitregierenden Sozialdemokraten von der SPD lägen bei 13 Prozent. In Sachsen käme die AfD laut einer anderen Umfrage gar auf 37 Prozent; die SPD müsste um den Wiedereinzug in den Landtag bangen.

Nicht nur an dieser Stelle zeigt sich, dass Münklers Konstruktion von Deutschland als europäischem Souveränitätssubstitut auf einer doch recht hoffnungsgeleiteten Annahme basiert. Die geographische Mittellage, auf der das Land im Zwanzigsten Jahrhundert seine aggressive Außenpolitik gegründet hat, will der Politikwissenschaftler als Element der Läuterung deuten: Deutschland werde sich davor hüten, abermals in eine Lage zu kommen, in der es nur noch militärische Mittel sieht, um sich aus einer wahrgenommenen geopolitischen Lage zu befreien. Eine Versicherung, die gerade angesichts der historischen Erfahrung und zweier innerhalb kurzer Zeit von Deutschland zu verantwortenden Weltkriege wenig überzeugend erscheint.

Doch ganz unabhängig davon, welches Land diese Rolle alternativ übernehmen wollte: Souveränität im Sinne politischer Einheit besteht nur dann, wenn man letztere im Zweifelsfall gegenüber den partikularen Interessen erzwingen kann – und zwar nicht im Sinne des Ausnahmezustands, sondern der verfassungsgebenden Gewalt, die durch kein „dienendes Führen“ und auch nicht durch einen (EU-)Vertrag ersetzt werden kann. „Im Staatenbund gibt es keinen Souveränitätsübergang“, so der Staatsrechtler Dieter Grimm.

Zwischen den Staaten regiert die Gewalt

So bleibt die Frage der Souveränität in Münklers Buch letztlich doch verdrängt, und mit ihm der notwendig gewaltvolle Charakter jeder Staatlichkeit. Zwar kritisiert er zu Recht die Illusion einer „Ersetzung von politischer Gegnerschaft durch ökonomische Konkurrenz“, der sich in den vergangenen Jahren viele hingegeben hätten, soweit es die zwischenstaatlichen Verhältnisse betrifft. Letztlich jedoch bleiben diese Verhältnisse auch bei ihm im Dunkeln, weil unerwähnt bleibt, dass die Lebensrealität in den demokratischen Staaten, die er den autoritären Regimes entgegenstellt, nur deshalb vergleichsweise zivilisiert ist, weil, so der Philosoph Gerhard Scheit, Gewalt in diesen Gesellschaften in der Regel „nicht mehr unmittelbar mit den Formen der Ausbeutung zusammenfällt“ (dafür gibt es die Lohnabhängigkeit). Die Gewalt richtet sich also nicht primär gegen die eigene Bevölkerung, sie artikuliert sich vielmehr im Verhältnis der rivalisierenden Staaten zueinander auf dem Weltmarkt – und das bedeutet in der kapitalistischen Krisendynamik tendenziell Krieg.

Dass der Kriegszustand zwischen den Staaten latent immer aufrechterhalten bleibt, deutet Münkler zwar an, wenn er etwa die bis vor kurzem kurrente Vorstellung kritisiert, „der Streit um knappe Ressourcen sei durch deren Zugänglichkeit auf dem Weltmarkt nicht nur abgemildert, sondern tendenziell überwunden worden“. Er versäumt es aber, den Zusammenhang präzise zu fassen. So spricht er abstrakt von „Geopolitik“ und „Geoökonomie“, die er zwar aufeinander bezieht, aber letztlich doch nicht als Momente ein und derselben politischen Ökonomie begreift, die sich international als Weltmarkt manifestiert. Wer sich dort als nicht ausreichend konkurrenzfähig erweist, ist versucht, diesen Mangel machtpolitisch auszugleichen oder zumindest den erfolgreicheren Konkurrenten maximal zu schaden. So notwendig es daher ist, die Feindschaft von Putins Russland gegenüber den Demokratien als real anzuerkennen, so falsch wäre es, politisches „Denken in den Kategorien von Feindschaft“ unreflektiert zu affirmieren.

In einem Punkt ist Münkler allerdings uneingeschränkt zuzustimmen: „die entscheidende Verteidigungslinie der Demokratie“ kann letztlich nur die „Herausbildung und Schärfung der politischen Urteilskraft ihrer Bürger“ sein.

 

Herfried Münkler – Macht im Umbruch. Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Rowohlt Verlag, 432 Seiten.
Karl Schlögel – Auf der Sandbank der Zeit. Der Historiker als Chronist der Gegenwart. Hanser Verlag, 176 Seiten.

Dat kéint Iech och interesséieren

DOSSIEREDITOKLIMA

Klimagipfel in Belém: Kurs halten

Nach den autoritären Gastgebern Aserbaidschan und den Vereinigten Arabischen Emiraten, findet der diesjährige Klimagipfel wieder in einem ölfördernden Land statt. Dafür haben Zivilgesellschaft und indigene Bevölkerungsgruppen in der symbolisch entscheidenden Amazonas-Stadt Belém erheblich mehr Raum, um Druck auszuüben. Die Erwartungen an den...

DOSSIERKLIMANEWS

Climat : Le panier percé de l’UE

Les États membres de l’Union européenne ont eu les plus grandes difficultés à s’entendre sur l’objectif climatique qu’ils présenteront à la COP30, à Belém. Un accord a été trouvé sur le fil, mais il est loin de satisfaire les défenseur·euses de l’environnement. L’Union européenne a échappé de peu à l’infamie de se présenter à la COP30 de Belém...

INTERGLOBAL

Russlands Söldner in Afrika: Raubzug um Renditen

Nach dem Tod des russischen Söldnerführers Jewgenij Prigoschin ist der Umbau des ehemals „Wagner-Gruppe“ genannten russischen Afrikakorps noch immer in Gang. In der Sahelzone kämpfen die Söldner für die dortigen Militärjuntas, sichern sich wertvolle Rohstoffe und tragen massiv zur Brutalisierung bestehender Konflikte bei. Weltweit eine Rolle...