Festung Europa
: Unhaltbar


Kommt endlich Bewegung in die europäische Asylpolitik? Der humanitäre Druck hat sich zwar verstärkt, doch eine Abkehr vom Dublin-Prinzip dürfte schwer durchsetzbar sein.

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Anonyme Zahlenreihen: 
So resümiert sich hiesige und europäische Asylpolitik. (Foto: woxx)

Der letzte „meteorologische“ Sommertag war noch einmal sehr heiß. Der Außenminister hatte am Montag gegen zehn Uhr zur Pressekonferenz geladen – unmittelbar nachdem er der zuständigen Chamberkommission auf Verlangen der CSV Bericht über die jüngsten Entwicklungen in Sachen „crise migratoire“ erstattet hatte.

Nach einigen Mitteilungen zur Lage in Europa kam Asselborn „ohne Übergang“ auf die im Sommer in Luxemburg durchgeführten „freiwilligen und nicht-freiwilligen“ Rückführungen von Flüchtlingen in die Balkanregion zu sprechen. Der Presse wurde ein einfaches DIN A4-Blatt ausgehändigt mit einer nackten Tabelle, die 319 Einzelschicksale, verteilt auf fünf Flüge zwischen dem 29. Juli und dem 19. August, in wenigen Zahlen auflistete. Nicht alle diese Personen wurden tatsächlich zurückgebracht – es gab fast so viele „disparus“ (55) wie Freiwillige, die tatsächlich zurückgeflogen wurden (59). Erstere hatten zwar ihr Einverständnis gegeben, waren aber am Abflugtag nicht ausfindig zu machen, weil sie untergetaucht oder weitergezogen waren. Doch wurden auch 79 Personen gegen ihren erklärten Willen in ihre Balkan-Heimatländer zurückgeschafft.

Aber immerhin: Auf 70 Personen wurden die Bestimmungen des Artikels 89 des Asylgesetzes angewandt und ihnen eine definitive Aufenthaltsgenehmigung gewährt. 46 weitere Personen durften – allerdings nur vorläufig – aus sonstigen juristischen oder humanitären Beweggründen bleiben. So wurden zum Beispiel eine „hochschwangere“ Frau und ihre Familie nicht abgeschoben.

Minister Asselborn operierte mit dieser nackten Statistik wohl vor allem aus einem Grund: Als Vorsitzender des zuständigen Ministerrats während der EU-Präsidentschaft Luxemburgs wollte er auch gegenüber seinen KollegInnen dokumentieren, dass sein Land sich an EU-weit geltende Regeln hält. Und dass ein Bleiberecht erteilt wird, wenn die gesetzlichen Regelungen es ausdrücklich vorsehen.

Die Abschiebepolitik ist unter der blau-rot-grünen Regierung also nicht unbedingt humaner geworden, sie operiert nur diskreter. In den Sommerferien müssen abzuschiebende SchülerInnen nicht aus ihren Klassenzimmern gezerrt werden, und auch die kritisch wachende Zivilgesellschaft gönnt sich dann einen – freilich legalen – Aufenthalt in entfernteren Gefilden.

Es war also nicht nur die große Hitze, die Asselborns Leidensmiene an diesem Tag besonders hervortreten ließ. Er muss als Vorsitzender des zuständigen Ministerrats darauf achten, dass die doch sehr weit auseinandergehenden Positionen seiner KollegInnen respektiert werden. Ein bisschen Kritik am ungarischen Grenzzaun ist da zwar noch drin, aber in erster Linie gilt es, die paar existierenden Grundsätze einer gemeinsamen EU-Asylpolitik aufrechtzuerhalten.

Rein statistisch sind Luxemburg und Ungarn dabei sogar relativ nahe beieinander. Betrachtet man die Zahl der Asyl-AntragstellerInnen in ihrer Proportion zur Bevölkerung, liegen die beiden Länder auf den vorderen Rängen – jedenfalls ein gutes Stück vor Deutschland. Absolute Spitzenreiter bleiben aber Schweden und Malta.

Wäre da nicht die auch historisch bedingte, im Vergleich zu anderen EU-Ländern hohe Zahl von Flüchtlingen aus dem Balkan, läge Luxemburg zwar nur im europäischen Mittelfeld. Aber diese Zahlenspielereien lenken nur vom wirklichen Problem ab, nämlich den eigentlichen Ursachen von dem, was die CSV die aktuelle „crise migratoire“ nennt.

„Treating refugees as the problem is the problem.“ So lautete einer der Slogans der australischen Zivilgesellschaft, als die dortige Regierung sich 2014 anschickte, mit massiven Maßnahmen das Eindringen asiatischer Flüchtlinge auf australisches Territorium zu verhindern. Die internationale Empörung war groß.

Doch eigentlich tat Australien nur das, was Europa schon vor Jahrzehnten beschlossen hatte: Die äußeren Grenzen sollten soweit undurchlässig gemacht werden, dass auf innere weitgehend verzichtet werden konnte. Die vielgelobte innere Freizügigkeit des Schengen-Abkommens, dessen 30. Jubiläum in diesem Jahr gefeiert wurde, wurde erkauft mit einer Abschottung gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“. 1985 war dabei vor allem an Drittstaaten außerhalb Europas – vor allem in Afrika und dem Nahen Osten – gedacht worden. Gegen Osten gab es ja eine „sichere“ Außen-Grenze, um die sich damals noch andere kümmerten.

Als das Schengen-Abkommen 1990 ein erstes Mal reformiert wurde, hatte sich die Situation dramatisch verändert und die Herkunftsrichtung der Flüchtlinge sich entsprechend verlagert. Nicht ganz zufällig wurde im gleichen Jahr das Dublin-Abkommen vereinbart, das die Zuständigkeit für Asylverfahren festlegte und das Prinzip der „sicheren Herkunftsländer“ einführte – und maßgeblich zur aktuellen Schieflage geführt hat.

Denn es ist ja nicht einfach die absolute Menge der Flüchtenden, die das Problem darstellt – Länder wie die Türkei oder Jordanien oder so manches afrikanische Land würden die europäische Statistik sprengen -, sondern die Art und Weise, wie die Menschen in den europäischen Raum gelangen und dort (nicht) verteilt werden.

Als 1985 das Schengener-Abkommen unterzeichnet wurde, waren es nur eine Handvoll Protestierender, die vor einer „Festung Europa“ warnten. Die positive Botschaft, ohne Schlagbäume zwischen Berlin und Paris oder zwischen Brüssel und Rom reisen zu dürfen, machte es der Zivilgesellschaft schwer, auf die Verwerfungen, zu denen das Abkommen führen würde, aufmerksam zu machen.

Die dramatischen Bilder von erstickten Flüchtlingen in kurzerhand am Straßenrand abgestellten Lastwagen oder die Situation am Ost-Bahnhof in Budapest sind genau das Ergebnis der Abkommen von Schengen und Dublin – und ihrer Verschärfungen seither.

In den Sommerferien müssen abzuschiebende SchülerInnen nicht aus ihren Klassenzimmern gezerrt werden.

Entsprechend dem seit 2013 gültigen dritten Dubliner Abkommen wurde vor allem die Datenerfassung und die Inhaftnahme von „Asylbetrügern“ verschärft. Wer etwa falsche Angaben macht kann festgenommen werden. Die in der Eurodac-Datenbank zusammengetragenen Flüchtlingsdaten sind jetzt auch der Polizei zugänglich, was den Druck auf „Illegale“ noch weiter verstärkt, da sie nun schon bei simplen Verkehrskontrollen auffliegen können.

Doch gerade die Wirtschaftskrise hat deutlich gemacht: Die Länder an der südlichen und südöstlichen Flanke Europas, die das Dublin-Abkommen als Erst-Aufnahme-Länder definiert und die deshalb die Flüchtlinge erfassen und bei sich aufnehmen müssen, können dieser Situation gar nicht gerecht werden.

Griechenland – das auf bestem Wege ist, selber zu einem „failed state“ heruntergewirtschaftet zu werden – ließ die Zügel schon vor Jahren schießen, und auch Italien schafft es längst nicht mehr, seinen Dublin-Verpflichtungen nachzukommen. Mit Ungarn hat sich das Phänomen jetzt näher Richtung Deutschland verlagert.

Asselborn hat durchblicken lassen, dass Dublin in seiner bestehenden Form nicht zu halten ist. Und auch die jüngsten Entwicklungen in Deutschland deuten auf eine Öffnung hin: EU-finanzierte Auffanglager sollen es ermöglichen, in „geordneten Aufnahmeverfahren“ einzelnen Flüchtlingen humanitäre Visa für andere Staaten als das Erst-Aufnahmeland zu erteilen. Wenn sich die Zuwanderung der Flüchtlinge schon nicht stoppen lässt, so wollen die „attraktiven“ EU-Staaten zumindest mitbestimmen, wer in ihre Länder weiterziehen kann und wer nicht.

Wenn der Luxemburger Außen- und Asylminister am 14. September zu einem Sonder-Ministerrat lädt, wird es wahrscheinlich nicht zur vieldiskutierten quotenmäßigen Verteilung der Flüchtlinge kommen, doch ist zu erwarten, dass das Dublin-Prinzip endlich in wesentlichen Punkten ausgeklammert wird.

Ob sich die Lage der eigentlich Betroffenen dabei verbessert, hängt aber weiterhin von der Bereitschaft Gesamt-Europas ab, Flüchtlinge in einer seinen ökonomischen Fähigkeiten aber auch der internationalen Lage angemessenen Menge aufzunehmen.

Weit einstimmiger ist dagegen die Rhetorik gegenüber Schleppern und Menschenhändlern. Aber gerade die allenthalben geforderte Verschärfung der Grenzkontrollen und die jetzt von der Außenbeauftragten der EU, Federica Mogherini, angekündigte, im Oktober beginnende verstärkte Marine-Präsenz im Mittelmeer „zur effizienten Bekämpfung krimineller Netzwerke“ treiben das Risiko für die Schlepper, und damit die Preise für die immer abenteuerlicher werdende Fluchthilfe, in die Höhe.

Inzwischen ist es längst nicht mehr nur die Zivilgesellschaft, die davor warnt, das Problem mit einer Aufrüstung an den Grenzen bekämpfen zu wollen. „Die Schleuser bedanken sich“, schreibt die Frankfurter Rundschau, die dazu den Bundespolizisten und Vize-Chef der deutschen Gewerkschaft der Polizei, Jörg Rade, zitiert: „Die bisherige Abschottungspolitik Europas ermöglicht den Menschenhändlern ein sehr lukratives Geschäftsmodell. Wir verweigern es Asylsuchenden aus Staaten wie Syrien, direkt in einer deutschen Vertretung in ihrem Herkunftsland einen Asylantrag zu stellen, obwohl wir genau wissen, dass er genehmigt werden würde.“

Letztlich wenden sich die Betroffenen an Schleuserbanden. Das überbürokratisierte Verfahren, das sie in der EU erwartet, macht den Anreiz einen nicht legalen Weg für die Einwanderung zu wählen noch um einiges größer. Damit verbreitert sich die Geschäftsbasis der Schleuser bis in die Aufnahmeländer hinein, wo die „Illegalen“ dann über Jahre, ihre für die Flucht eingegangenen Schulden abstottern – wenn sie denn überhaupt jemals ankommen.

Kurz vor Redaktionsschluss hat die Caritas zu diesem Thema Stellung genommen: Stellungnahme.

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