Er ist im Zuge der Referendumsdebatten von 2015 zum Gesicht des Nein-Lagers avanciert und will auch in Zukunft eine Rolle in der luxemburgischen Politik spielen: Fred Keup.
Da sitzt er also: Fred Keup, Gesicht der „Nein“-Bewegung im Vorfeld des Referendums von Juni 2015, Schreckgespenst der fortschrittlichen Kreise Luxemburgs und, glaubt man seinem Umfeld, Stimme der Nation. Freundlich wirkt er, zurückhaltend, fast sogar ein wenig schüchtern. Sein sorgfältig gegeltes Haar, seine beigefarbene Hose und sein hellblaues Hemd verstärken noch den Eindruck, es mit einem überaus durchschnittlichen Menschen zu tun zu haben. Seine Höflichkeit wirkt dennoch nicht gekünstelt, seine Sätze sind bedacht, beim Reden kommt er oft ins Stocken.
Ich habe Fred Keup zum ersten Mal im Mai 2015 getroffen, zur Zeit der Debatten um das „Ausländerwahlrecht“. Damals hatte ich einem der Informationsabende zum Thema in Redingen beigewohnt. Als ich ankam, stand Keup vor der Tür und verteilte Flugblätter für seine Initiative „Nee2015“. Er war nicht eingeladen worden, konnte also den Standpunkt des Nein-Lagers nicht selbst vertreten. Stattdessen trug Laura Zuccoli, Präsidentin der Asti, eine Auswahl an Argumenten der Ausländerwahlrechts-GegnerInnen vor – und entkräftete sie gleich. Fred Keup saß im Publikum, beschwerte sich darüber, seinen Standpunkt nicht offiziell vortragen zu dürfen. Irgendwann musste er das Mikrofon abgeben.
Kurz vor dem Referendum erklärte Keup dem „Luxemburger Wort“, seine politische Karriere werde nach dem 7. Juni vorerst beendet sein. Doch schon kurz danach hieß es, die Initiative „Nee2015“ werde sich in „Wee2050“ umbenennen und zu einer Art „Denkfabrik“ werden. Der führende Kopf der Nein-Kampagne blieb auch weiterhin an der Spitze der Gruppierung – bis heute.
„Luxemburg ist kein multikulturelles Land.“
Als ich Keup nun zum zweiten Mal treffe, spreche ich ihn sofort darauf an: Hatte er nicht angekündigt, sich erst einmal auf sein Privatleben konzentrieren zu wollen? Das habe er, ja, gesteht er ohne Umschweife ein. Für „Nee2015“ sei aber soviel Zuspruch aus der Bevölkerung gekommen, dass man sich zum Weitermachen entschlossen habe. „Wir haben uns dann lange überlegt, was die Leute eigentlich beschäftigt“, sagt Keup. „Zwei Pisten haben sich daraus ergeben: die Sprachen- und die Wachstumsfrage.“
Also hat er entschieden, weiterzumachen. Er, der Geografie- und Staatskunde-Lehrer am Escher Lycée technique, gebürtig aus Kehlen, wohnhaft in Mamer, verheiratet mit einer Luxemburgerin italienischer Abstammung, Vater zweier Kinder. Seit vielen Jahren treuer Fan der luxemburgischen Nationalmannschaft, seit zwei Jahren Präsident des FC Kehlen, selbst ein „eher mittelmäßiger Fußballspieler“ wie er bekennt. Früher für kurze Zeit, auch wenn ihm das heute eher peinlich ist, Besitzer einer Mitgliedskarte bei „déi Lénk“, einer „Sympathisantenkarte“, wie er präzisiert. War in der Partei – mit der er ohnehin ideologisch nicht harmonierte und die ihm zu dogmatisch und zu wenig aufgeschlossen für andere Ideen ist – aber „nie aktiv“, betont er. Nun hat er beschlossen, doch noch eine Rolle in der politischen Debatte zu spielen. Er will die „einfachen Leute“ vertreten, die Durchschnittsluxemburger, die „politische Mitte“.
„Mir sinn déi politesch Mëtt“, behauptet „Wee2050“ von sich selber. Wer genau außer Keup noch hinter der „Denkfabrik“ steckt, ist schwer herauszufinden. Ein, zwei Namen kursieren, doch die Gruppe gibt sich eher diskret. Eigentlich hatte ich Fred Keup gefragt, ob ich bei einem Treffen von „Wee2050“ anwesend sein könnte, doch der hatte dankend abgelehnt. Man wolle unter sich bleiben, im vertraulichen Rahmen, da sei das eher unpassend. Die meisten der rund zehn aktiven Mitglieder des „harten Kerns“ wollten nicht im Rampenlicht stehen, erklärt er mir bei unserem Treffen. Es sei nicht einfach, es gebe offene Anfeindungen, und ohnehin werde man generell in die rechte Ecke gedrückt. Anfeindungen habe er selbst auch erfahren, vor allem online, vor allem in den sozialen Netzwerken. Aber der Zuspruch, den er ebenfalls erhalte, mache das wett.
Wie er sich denn selber politisch einordne, will ich von ihm wissen. „Wie die meisten Leute“, antwortet er ohne Umschweife, „in verschiedenen Fragen sozial und in anderen eher konservativ“. Sein politischer Einsatz sei auch als Reaktion auf die forcierte Modernisierungspolitik der blau-rot-grünen Dreierkoalition zu verstehen. „Die Leute wollen das nicht“, bekräftigt er. Als identitär oder rechtspopulistisch will er seine politische Ausrichtung aber nicht bezeichnen.
Mich interessiert, was das „Gesicht der Nein-Bewegung“ vom vergangenen Jahr zu Fragen der Immigration und der Aufnahme von Flüchtlingen zu sagen hat – auch weil sich „Wee2050“ zur Flüchtlingsthematik beispielsweise so gut wie nie äußert. Bei meinen Vorrecherchen bin ich auf Keups Facebook-Profil auf ein Video des französischen Präsidentschaftskandidaten Fillon gestoßen, dessen Titel „La France n’a pas vocation à être multiculturelle“ lautet. Darauf spreche ich ihn an.
„Die Leute, die hier herkommen, kommen eigentlich aus ganz ähnlichen Kulturräumen.“
„Zum Multikulturalismus gehört, dass auf einem Territorium verschiedene Kulturen sozusagen nebeneinander existieren“, holt mein Gesprächspartner aus. „Multikulti ist nichts anderes als Parallelgesellschaften, bei denen die Menschen nebeneinander her- anstatt miteinander leben.“ Deswegen lehne er das Modell ab. Das Gegenteil von Multikulti sei letztendlich Integration – und mit Integration als Modell habe man in Luxemburg im Laufe seiner Geschichte stets gute Erfahrungen gemacht. „Luxemburg ist in meinen Augen in diesem Sinne kein multikulturelles Land“, erklärt mir Fred Keup. „Die Leute, die hier herkommen, kommen eigentlich aus ganz ähnlichen Kulturräumen. Die Unterschiede zwischen einem Luxemburger, einem Portugiesen und einem Deutschen sind nicht sehr groß.“
Ich werfe ein, dass mit der sogenannten Flüchtlingskrise auch vermehrt Menschen aus islamisch geprägten Ländern nach Luxemburg kommen, und will von meinem Gegenüber wissen, ob ihm das Angst für die Zukunft macht. Er sehe da im Moment auf Luxemburg keine Probleme zukommen, auch deshalb, weil die Zahlen der ankommenden „Flüchtlinge, nein Migranten“ aus Syrien und Irak doch recht überschaubar seien. Trotzdem wisse er nicht, wie „wir das hinbekommen sollen, viele solcher Leute hier aufzunehmen“, schiebt Keup dann doch noch nach. „Wir haben ein riesiges Wohnungsproblem hier in Luxemburg, wir haben gar nicht die Mittel dazu.“ Schon jetzt merke man, dass das Land infrastrukturell überfordert ist. Er druckst herum. „In meinen Augen ist es nicht möglich, mehr zu tun …“ fügt er, fast beschämt, hinzu.
„Wie sieht Luxemburg im Jahr 2050 idealerweise aus?“, frage ich den Sprecher einer Organisation, die sich immerhin „Wee2050“ nennt. „Der Weg ist das Ziel“ antwortet er zuerst ausweichend, um dann doch noch etwas konkreter zu werden. „Es muss langsamer vorangehen, man darf die Leute nicht zu sehr brüskieren – nicht so, wie es die Regierung gerade macht, die mit sehr starken Veränderungen eingreift.“ Dass es mehr Einwohner gibt, dass die Situation sich ändert, dass Luxemburg internationaler wird, all das sei für ihn in Ordnung – man müsse bloß darauf achtgeben, die Menschen, die hier leben, „mit „ins Boot zu nehmen“ und nicht über ihre Köpfe hinweg zu regieren.
Ich versuche, das Gespräch auf die Sprachenthematik zu lenken, die ja gewissermaßen das Herz der politischen Aktivität von „Wee2050“ darstellt. Er sei ein Anhänger der Mehrsprachigkeit, erklärt Keup. Aber einer wirklichen Mehrsprachigkeit – im Gegensatz zum aktuellen Modell, bei dem die französische Sprache eine führende Rolle einnimmt. Ich frage Keup, wie er es denn bewerkstelligen will, das Luxemburgische als Haupt-Umgangssprache zu etablieren. „Wir haben hier ein Mittel, das sich seit Jahrzehnten bewährt hat: die Schule. Unser Schulsystem ist ausschlaggebend für die Integration, die Sprache und überhaupt den sozialen Zusammenhalt.“ Deswegen gelte es, „unsere Schule, so wie sie ist“ zu bewahren.
Die Sprachensituation in der Schule stelle aber sowohl für luxemburgischsprachige als auch für andere Kinder ein Problem dar, werfe ich ein. „Die Situation ist doch schon seit fünfzig Jahren so, dass viele luxemburgische Kinder wegen des Französischen Schwierigkeiten in der Schule hatten“, erwidert mir mein Gesprächspartner. „Das hat aber niemanden interessiert, das waren ja nur die Arbeiterkinder. Danach waren’s die portugiesischen Schüler, die Probleme hatten, aber auch die waren nur Arbeiterkinder.“ Das ganze Problem rühre eigentlich daher, dass sich die ausländische „Klientel“ verändert habe. Die Ausländer, die jetzt nach Luxemburg kommen, – „vor allem Franzosen“ – hätten Mittel und Einfluss, um ihre Forderungen geltend zu machen. „Die stellen Ansprüche, sagen, man könne es ihren Kindern nicht zumuten, hier Luxemburgisch oder Deutsch zu lernen.“
„Es muss langsamer vorangehen, man darf die Leute nicht zu sehr brüskieren.“
Fred Keup blickt auf die Uhr, er muss sich gleich wieder auf den Weg zu seiner Arbeit nach Esch machen. Ich versuche – mit mäßigem Erfolg – aus ihm herauszukitzeln, wie denn seine Pläne, bzw. die von „Wee2050, bezüglich der Wahlen von 2017 und 2018 aussehen: Es gebe Überlegungen in alle Richtungen, allerdings wolle man sich zur Zeit noch nicht festlegen. Eines sei sicher: man werde versuchen, Einfluss auf die öffentliche Debatte zu nehmen und für „Wee2050“ zentrale Themen wie Sprache und Wachstum in den Mittelpunkt zu rücken. „Das sind die Themen, die die Leute interessieren.“ Schon jetzt habe er das Gefühl, dass man verschiedene Debatten wenn auch vielleicht nicht anstoße, so doch sicherlich fördere.
Dann macht sich Keup auf den Weg. Es bleibt der Eindruck, es mit einem überaus durchschnittlichen Menschen zu tun zu haben. Mit einer Person, die eigentlich eher durch Zufall ins Rampenlicht geraten ist – und dann Gefallen daran an gefunden hat. Er versteht sich als „Stimme des kleinen Mannes“, als Sprachrohr derer, für die alles am Besten beim Alten bliebe, blickt mit Nostalgie zurück und mit Besorgnis nach vorn. Dass einiges in seinem Weltbild dabei widersprüchlich ist, ist für ihn zweitrangig – schließlich vertritt, nein, verkörpert er den „sens commun“, das, was „die Leute“ denken. Oder das, was er dafür hält.