Was ist eine faire Bezahlung für Künstler*innen? Und woran misst man sie? Diese Fragen waren am Donnerstag Thema der Konferenzreihe „Debattekultur, eng Kulturdebatt“ in der Abtei Neimënster sowie im Gespräch zwischen der woxx und den eingeladenen Redner*innen.

Kommen Hilfsgelder für die Kulturszene dort an, wo sie gebraucht werden, oder sinnlos ausgegeben? (COPYRIGHT: Thierry Ehrmann, CC BY 2.0 Deed)
Luxemburgs freie Kulturschaffende leben oft am Existenzminimum: 34 Prozent von ihnen verdienen weniger als oder genau den gesetzlichen Mindestlohn, wie aus der Studie „Lʼemploi du champ culturel: état des lieux statistique“ (Juni 2023) hervorgeht. Umso wichtiger war es, dass in der Abtei Neimënster am Donnerstag über die faire Bezahlung von Künstler*innen und anderen Beschäftigten im Kultursektor diskutiert wurde. Bei der dritten Ausgabe der Konferenzreihe „Debattekultur, eng Kulturdebatt“, einem Veranstaltungskonzept der Philosophin Nora Schleich, drehte sich für Justine Blau (AAPL), Nora Koenig (Aspro), René Penning (Kulturfabrik) und Govinda Van Maele (Filmregisseur) alles ums Geld. Bereits Anfang der Woche tauschten sie sich mit der woxx über das Sujet aus.
Wie lebt es sich also als freischaffen- de*r Künstler*in in Luxemburg? Blau, Koenig und Van Maele, wenn auch in unterschiedlichen Disziplinen tätig, sind sich einig: Ohne die Unterstützung von Dritten (Familie, Partner*innen, durch den Künstler*innenstatus usw.) ist die Lebenssituation äußerst prekär. „Es sind nach wie vor weiße, von Haus aus gut situierte Künstler*innen, die hierzulande die beste Aussicht darauf haben, von ihrer Kunst leben zu können“, verdeutlicht Koenig.
Prekäres Leben
In der Bildenden Kunst würden die meisten viel arbeiten, aber trotzdem keinen guten Lebensstandard erreichen, so Blau, Co-Präsidentin der AAPL. „Noch dazu sind die Lebens- und Produktionskosten durch die Inflation gestiegen“, fügt sie hinzu. Van Maele unterstreicht, dass es bei der Diskussion um mehr Geld für die Künstler*innen deshalb nicht ausreiche, auf mehr staatliche Mittel zu hoffen. Eine andere Lösung könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle sein, kombiniert mit einer Mietendeckelung. Das käme der ganzen Gesellschaft zugute.
Die zuvor erwähnte Studie offenbart, dass im Jahr 2020 dennoch 2.400 Beschäftigte im Kultursektor freischaffend und exklusiv im Kulturbereich tätig waren. Drei Viertel davon entfielen auf die „Arts visuels“ (29 Prozent), das „Artisanat d’Art“ (27 Prozent) und den „Spectacle vivant“ (19 Prozent). Erst letztes Jahr kam es zu Gesetzesänderungen bezüglich des Künstler*innenstatus.
Die damalige Abgeordnetenkammer verabschiedete unter anderem ein Gesetz zur Anpassung der Unterstützungsmaßnahmen für freiberufliche Kulturschaffende: Diese brachte vereinfachte Zugangsprozeduren zu finanziellen Beihilfen, die Erhöhung monatlicher Zusatzgelder sowie einen verlängerten Zeitraum für den Zugriff auf die bewilligten Mittel mit sich. Außerdem wurde die Beihilfeberechtigung auf weitere kulturelle Berufsfelder ausgeweitet. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zählen Weiterbildungen und der Besuch pädagogischer Ateliers als Arbeitsnachweis im „Carnet de travail“ der Kulturschaffenden, der wiederum digitalisiert wird. „Zwar haben die Gesetzesänderungen zum Künstler*innenstatus geholfen, doch hat sich die Gesamtlage dadurch nur begrenzt verbessert“, kommentiert Justine Blau die Veränderungen.

(COPYRIGHT: Günter Hentschel , CC BY-ND 2.0 Deed)
In die Gesamtsituation spielen neben den steigenden Lebenskosten in Luxemburg beispielsweise auch die Vertragsverhandlungen mit den Institutionen hinein. „Es ist ein Tabuthema, über Geld zu sprechen“, sagt René Penning, Direktor der Escher Kulturfabrik, hierzu. Dem Kultur- und Kunstsektor fehle es in dem Bereich an Transparenz, auch innerhalb von Produktionsteams. „Es ist unklar, welches Gehalt die Kulturinstitutionen ihren Angestellten zahlen oder wie hoch die Gagen der Künstler*innen sind, die sie beauftragen“, beobachtet er. „Es gibt die Empfehlungen der Aspro, aber davon abgesehen können wir uns an nichts orientieren.“
Die Aspro publizierte ihre Richtlinien, die online auf der Verbandswebsite abrufbar sind, 2021. Seitdem müssten darstellende Künstler*innen und die Institutionen nicht mehr jedes Mal bei null anfangen, denn der Verhandlungsspielraum sei vorgegeben, so Koenig. Für ähnlich hilfreich hält sie das Berufsglossar des Verbands, 2019 veröffentlicht, das genau beschreibt, was in die Aufgabenbereiche der unterschiedlichen Kulturakteur*innen fällt. „Wenn wir Zusatzaufgaben übernehmen, müssen diese entsprechend entlohnt werden“, sagt sie.
Schreibe eine Institution trotzdem ein Projekt gegen unzureichende Vergütung aus, leite die Aspro das Angebot nicht an die Künstler*innen weiter, sondern suche den Dialog mit den Häusern. „Manchen Institutionen ist unklar, was sie wollen: Sie verlangen Qualität, sind aber nicht bereit, dafür zu zahlen“, weiß Koenig zu berichten. „In dem Fall schicken wir ihnen unsere Tarifempfehlungen und verweisen darauf, dass sie ihr Projekt gegebenenfalls anders ausrichten müssen.“
Die AAPL hingegen hat ihre Tarifverhandlungen vor zwei Jahren aufgenommen, der Prozess ist laut Blau bald abgeschlossen. Die Tarifempfehlungen werden gemeinsam mit dem Kulturministerium entwickelt; die AAPL hat zudem Verbände aus dem Ausland kontaktiert, um von ihrer Expertise zu profitieren. Sie sollen später auf der Verbandswebsite für die Mitglieder zugänglich sein. Blau bestätigt in Bezug auf Pennings Aussagen den Datenmangel und die Intransparenz, wenn es um die Vergütung im Kultursektor geht. Noch dazu seien Fördermittel und Gagen nicht dem Index angepasst, somit jage die AAPL der Aktualität bei den laufenden Tarifverhandlungen hinterher. Umso schwerer sei es, Richtlinien auszuarbeiten.
Im Zuge der Diskussionen würde den Beteiligten aber immer wieder vor Augen geführt, wie wichtig der offene Dialog mit dem Kulturministerium und den Institutionen sowie ein transparenter Austausch unter den Kulturschaffenden sei. Sie könnten viel voneinander lernen. Das Kulturministerium bemühe sich zudem durch die Einführung der „Charte de déontologie“, 2022 publiziert und inzwischen von über 120 Institutionen unterzeichnet, und durch die voranschreitende Umsetzung des Kulturentwicklungsplans (Kep) um faire Grundbedingungen. In der Charta gibt es beispielsweise einen Punkt, nach dem sich die Unterzeichner*innen zur gerechten Entlohnung der Kulturschaffenden verpflichten. „Es besteht auch eine vermittelnde Kommission, bei der Künstler*innen per Mail schlechte Erfahrungen mit Unterzeichner*innen der Charte de déontologie melden können“, so Blau. Auch weiß sie, dass ein „Observatoire de la culture“, eine der Forderungen des Kep, eingeführt werden soll. „Wir sind also auf dem guten Weg“, sagt sie. „Und wir freuen uns, bald unsere Tarifempfehlungen präsentieren zu können.“
Mehr Geld für wen?
In den Kulturinstitutionen selbst ist die finanzielle Situation derweil angespannt, wie René Penning anmerkt. Die Kosten seien „explosionsartig“ gestiegen. Als Institution könne man weder an den Gehältern der Mitarbeiter*innen noch an anderen Ausgaben sparen, die für das Alltagsgeschäft relevant seien. „Das einzige, woran du sparen kannst, sind die Gagen für die Künstler*innen und an Eigenproduktionen“, schlussfolgert er.
Um Ausgaben einzusparen, seien in Theatern beispielsweise die Probezeiten reduziert worden. „Was weniger Geld für die Beschäftigten bedeutet“, hebt er hervor. „Umso mehr sind die Kulturschaffenden auf Engagements angewiesen. Sie laufen geradewegs ins Burn-out.“ Für Penning und Blau sind besonders deswegen Künstler*innenresidenzen wertvoll, die nicht auf eine Produktion abzielen. Penning erwähnt die „Squatfabrik“ seines eigenen Hauses, ein Format das Künstler*innen vier Wochen Raum für Recherchen und Experimente bietet. Die Vergütung liegt bei 3.400 Euro, hinzu kommen insgesamt 500 Euro für Tagesspesen sowie 3.000 Euro für Produktionskosten.
Penning holt weiter aus und kommt auf die Kulturpolitik der letzten Jahrzehnte zu sprechen. Die heutige Kulturszene sei von der Politik der letzten 30 Jahre herbeigesehnt worden. Erna Hennicot-Schoepges (CSV), Kulturministerin von 1995 bis 2004, sei für den Bau zahlreicher Kulturhäuser verantwortlich und habe damit das Fundament für die aktuelle Kulturlandschaft gelegt. „In diese Strukturen und in die Künstler*innen muss man nachhaltig investieren“, sagt Penning. Stattdessen würde der Kulturbereich von der Regierung stiefmütterlich behandelt. „Bei den letzten Koalitionsverhandlungen wurde das Ressort als letztes verteilt“, erinnert er sich. „Noch dazu kam offenbar niemand der dort vertretenen Politiker*innen für den Posten als Kulturminister*in in Frage.“ Das Kulturbudget müsse verteidigt werden und progressiv, gemäß der Entwicklung des Kultursektors ansteigen. Zur Information: 2024 macht das Budget des Kulturministeriums 0,80 Prozent des Staatsbudgets aus.
Koenig beschäftigt dabei vor allem, wo die Gelder hinfließen. Während der Tarifverhandlungen der Aspro seien immer wieder Diskussionen darüber aufgekommen, warum manche Theater und Kulturhäuser die Künstler*innen nicht fair bezahlen könnten. Die Debatte über eine gerechte Entlohnung der Künstler*innen gehe deshalb Hand in Hand mit der finanziellen Förderung der Institutionen – und dafür brauche es unter anderem höher dotierte Konventionen und mehr Hilfsgelder des Staates, meint Koenig. Nach dem „État des lieux – théâtre“ (2022), einer Publikation des Kulturministeriums, flossen 2021 rund sechs Prozent der Finanzierungshilfen, sprich vier Millionen Euro, des betreffenden Ministeriums in die Theaterbranche. Im Vergleich: 43 Prozent der Fördermittel, also über 28 Millionen Euro, gingen in dem Jahr an die Musikszene.
Ähnliche Fragen zu den Ausgaben der Institutionen stellen sich in der Bildenden Kunst. Auch wenn Blau die Professionalisierung der Kunstszene und ihrer Institutionen begrüßt, findet sie, dass das Budget der Kulturhäuser nicht nur erhöht, sondern auch auf überflüssige Kostenpunkte hin analysiert werden sollte. Auch müsse die gemeinsame Nutzung verfügbarer Ressourcen gefördert werden, wie im Kep vorgesehen. Außerdem wäre es gut, wenn die Honorare der freien Kulturschaffenden einen zentralen und klar definierten Kostenpunkt in der Budgetgestaltung darstellen würden. „Es kann nicht sein, dass es immer die Künstler*innen sind, die Kompromisse eingehen müssen“, so Blau.
In dem Sinne stellt sich eine weitere Grundsatzfrage: Auf welcher Basis sollte über das Gehalt von Künstler*innen entschieden werden? Für Koenig ist klar – wer einen Probeplan oder Vertragsbedingungen einhalten kann, muss für seine Leistung bezahlt werden, unabhängig davon, ob die Person anderen Berufstätigkeiten nachgeht oder nicht. Van Maele hinterfragt mögliche weitere Kriterien, wie etwa Bildungsabschlüsse oder den Erfolg: Nicht immer sei der Einstieg in den Kultursektor akademisch begründet und Erfolg sei schwer zu definieren. „Wenn Künstler immer befürchten müssen, dass sie nur Geld erhalten, weil ihr letztes Projekt erfolgreich war“, so Van Maele weiter, „dann machen sie bald nur noch risikofreie Kunst – und das bedeutet den kreativen Tod.“
Und was ist mit den Argumenten der Philharmonie, im Rahmen der Polemik um das „Fräiraim Festival“? Dort werden die Musiker*innen nicht bezahlt, weil sich die Veranstaltung an Freizeitkünstler*innen richtet und die Teilnahme freiwillig geschieht. Penning und Van Maele sind auf der Seite der Philharmonie. Penning unterscheidet dabei zwischen zwei Umständen. „Wenn sich Freizeitkünstler*innen mit einem Angebot an uns richten oder umgekehrt, steht für mich außer Frage, dass man sich auf ein Vergütungsmodell einigt“, erklärt er. „Ruft eine Institution zur freiwilligen Teilnahme ohne Qualitätskriterien auf, ist das meiner Meinung nach nicht nötig.“
Für Blau lässt die Debatte um das Festival hingegen auf ein allgemeines Unwohlsein in der Kulturszene schließen. Stimmten Bezahlung, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Künstler*innen, regten sich vermutlich weniger Menschen über das Festival auf. „Es wird in Zukunft immer mehr semiprofessionelle Künstler*in- nen geben“, gibt sie wegen der hohen Lebenskosten außerdem zu bedenken. „Viele kompetente und professionelle Künstler*innen, sind auf einen Job angewiesen. Es tut weh, wenn sie für ihre Arbeit nicht bezahlt werden, ganz davon abgesehen, dass es kein Argument gegen eine Gage gibt.“