Gregg Arakis „Teenage Apocalypse“-Trilogie: Jung und queer am Ende der Welt

In drei lose zusammenhängenden Filmen erzählt Regisseur Gregg Araki vom Endzeitgefühl queerer Teenager am Ende des vergangenen Jahrtausends. Zwei Jahrzehnte später ist der Weltuntergang realistischer geworden.

„Die Gesellschaft ist Schuld!“ – dieses Gefühl durchdringt nicht nur „Totally Fucked Up“, sondern alle Filme der Teenage Apocalypse Trilogie. (Foto: Strand Releasing)

„Prepare for the Apocalypse“ steht auf einem Schild über einem Laden, „Welcome to Hell“ vor einem Club und jede Bestellung kostet 6,66 Dollar. In Gregg Arakis „The Doom Generation“ deutet alles, wirklich alles auf einen nahenden Weltuntergang hin. Die Apokalypse ist ein wiederkehrendes Motiv des Regisseurs, der zwischen 1993 und 1997 mit den drei Filmen seiner „Teenage Apocalypse“-Trilogie gleichzeitig seine ersten Werke schuf, die einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Er verhandelt darin, was es heißt, am Ende des 20. Jahrhunderts jung, queer und nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein. Heute, beinahe drei Dekaden später, ist der drohende Weltuntergang nicht nur eine Metapher, sondern dank der Klimakrise eine mehr als realistische Möglichkeit.

Zu allen drei Filmen „Totally Fucked Up“ (TFU – 1993), „The Doom Generation“ (1995) und „Nowhere“ (1997), schrieb Araki das Drehbuch und führte Regie. Es gibt keine durchgehende Handlung, nur Motive und Stilmittel, die immer wieder vorkommen, allem voran der nahende Untergang und der offene Umgang mit Homo- und Bisexualität sowie nicht-monogamen Beziehungsformen. Als einziger Schauspieler ist James Duval in allen drei Filmen in einer Hauptrolle zu sehen, verkörpert aber jedes Mal einen anderen Charakter. Keiner der Filme war ein kommerzieller Erfolg, alle haben in den darauffolgenden Jahren jedoch den Status von Kultfilmen entwickelt.

Gregg Araki wurde 1959 in den USA geboren und bezeichnete sich Mitte der 1990er-Jahre als „gay Asian American“. Als er später eine öffentliche Beziehung mit der Schauspielerin Kathleen Robertson hatte und seine Homosexualität öffentlich in Frage gestellt wurde, drehte er als Antwort darauf „Splendor“, eine Komödie über zwei Männer und eine Frau, die in einer mehr oder weniger glücklichen Dreiecksbeziehung leben. Araki gilt als Vertreter des „New Queer Cinema“. Mit dieser Bezeichnung werden seit Anfang der 1990er-Jahre Filme bezeichnet, die sich mit LGBTIQA-Thematiken auseinandersetzen und oft unabhängig und abseits vom Hollywood-Mainstream produziert wurden. Arakis dritter Film, „The Living End“ (1992), thematisierte einen hedonistischen Roadtrip zweier HIV-positiver Männer und brachte dem Regisseur Bekanntheit. Sein Film „Kaboom“ erhielt 2010 in Cannes die erste „queere Palme“.

TFU beginnt mit der Einblendung eines Zeitungsartikels über den Suizid zweier schwuler Teenager, betitelt mit „Suicide rate high among gay teens“. Die nächsten Einblendungen versprechen „another homo movie by Gregg Araki in 15 random celluloid fragments“. Der Film folgt einer Gruppe von sechs Jugendlichen: vier schwule Männer und zwei lesbische Frauen. Teile des Films sind auf Film gedreht, andere mit einem digitalen Camcorder. Ein Mitglied der Gruppe, Steven (Gilbert Luna), dokumentiert das Leben seiner Freund*innen. Im ersten Teil sind vor allem Fragmente von Interviews, die im Stil von „Confessionals“, wie sie bei Reality TV-Formaten vorkommen, gehalten sind. Die Jugendlichen reden mehr oder weniger ernsthaft über ihr Leben, ihre Träume, Liebe, Sexualität, Homofeindlichkeit. Dazwischen sind immer wieder Szenen aus ihrem Leben zu sehen, außerdem blendet Araki anderes Material ein, wie etwa Szenen aus einer Aufklärungskampagne über Aids. All das wird immer wieder durch Zwischentitel kommentiert und eingerahmt.

In „Doom Generation“ kommen sich X (Johnathon Schaech) und Jordan (James Duval) langsam näher. (Foto: Trimark Pictures)

Hier fängt die Geschichte an

Erst nach 25 Minuten erscheint der Schriftzug „Start narrative here“ und die Charaktere, die wir gerade kennengelernt haben, werden in eine kohärente Geschichte eingebettet. Andy (James Duval) lernt Ian (Alan Boyce) kennen und verliebt sich Hals über Kopf. Tommy (Roko Belic) wird von seinen Eltern aus dem Haus geschmissen – wegen seiner Homosexualität. Steven geht seinem Freund Deric (Lance May) fremd, dieser wird später Opfer einer homofeindlichen Gewalttat. Während das Leben der jungen Männer zerfällt, versuchen Michele (Susan Behshid) und Patricia (Jenee Gill), die Gruppe durch Gespräche zusammenzuhalten. Der Film endet mit einem tragischen, eher unerwarteten Suizid. Als letzte Einstellung sind die fünf überlebenden Jugendlichen zu sehen, wie sie auf die Nachricht reagieren.

Im Gegensatz zum ersten Teil der Trilogie wirkt „The Doom Generation“, der als „a heterosexual film by Gregg Araki“ angekündigt wird, viel mehr wie ein Hollywood-Produkt. Das liegt sicherlich auch daran, dass Araki ein wesentlich höheres Budget zur Verfügung hatte, aber auch die Geschichte ist präziser und zusammenhängender erzählt. Jordan White (James Duval) und Amy Blue (Rose McGowan) sind ein junges Paar. Die beiden verlassen gerade gelangweilt einen Club, als Xavier „X“ Red (Johnathon Schaech), zu ihnen ins Auto flüchtet. Er wird von einer Gruppe verfolgt, die ihn zusammenschlagen will. Wenig begeistert nimmt das Paar X mit, zumindest bis zum nächsten Laden. Dort bemerken Jordan und Amy, dass sie kein Geld mehr haben, um einen bereits angebissenen Hotdog zu kaufen, was den Inhaber dazu bringt, sie mit einer Schrotflinte zu bedrohen.

X taucht auf und enthauptet den Ladenbesitzer, dessen Kopf in einer absurden Szene scheinbar noch weiterlebt. Das Paar hat keine andere Wahl, als gemeinsam mit X zu flüchten. Die drei fahren von einer Absteige zur nächsten, und an jedem ihrer Stopps werden sie von Gewalt verfolgt. Meistens sind es Menschen, die Amy für ihre Exfreundin halten und sie töten wollen. Zwischen all diesem Mord und Totschlag entwickeln die drei eine komplizierte Dreiecksbeziehung: Die beiden Männer haben Sex mit Amy, nähern sich aber auch einander vorsichtig an. Als sie endlich zueinander finden, werden sie brutal von Neonazis angegriffen.

„Nowhere“ wird oft als „90210 auf LSD“ bezeichnet, was eine recht treffende Beschreibung ist. Die Handlung folgt den Leben eines großen Ensembles von Jugendlichen, die alle miteinander bekannt, liiert, befreundet oder verwandt sind. Hauptfokus ist die abendliche Party von Juijyfruit, auf die alle gehen wollen. Der Hauptcharakter Dark (James Duval) ist vor allem mit seiner Freundin Mel (Rachel True) beschäftigt. Während er eine monogame Beziehung will, ist sie der festen Überzeugung, dass „menschliche Körper für Sex und Liebe gebaut sind“ und will dies, soweit es geht, auskosten. Die Handlung eskaliert ständig: Ein Alien entführt Menschen, eine Straßengang in futuristischer Kleidung raubt Autos, ein TV-Prediger treibt zwei Protagonist*innen in den Suizid, auf der genannten Party wird jemand mit einer Tomatensuppendose erschlagen.

Der Cast von „Nowhere“ ist unübersichtlich groß – zumindest so lange, bis das Alien einige von ihnen entführt. (Foto: Fine Line Features)

1990er-Videoblog

In der letzten Szene filmt Dark sich selbst. Dekaden bevor Videoblogs erfunden wurden, spricht er in die Kamera und hält seine Gefühle zu dem vergangenen, brutalen und chaotischen Tag fest. In dem flimmernden Bild erzählt er, dass er sich eine Person wünscht, die ihn liebt und zu ihm hält. „Es ist, als wüssten wir alle tief in unseren Seelen, dass unsere Generation das Ende von allem erleben wird. Ich sehe es in unseren Augen.“

Dieser Monolog, der mit den Worten „I’m totally doomed“ aufhört, spiegelt den ersten Film der Trilogie, der mit dem Satz „I’m totally fucked up“ von Andy beginnt. Araki rahmt die Filme in ähnlichen Sätzen, gesprochen vom gleichen Schauspieler. Die drei Filme, die in ihren Erzählungen oberflächlich wenig miteinander zu tun haben, als Trilogie zu bezeichnen, hat durchaus seine Berechtigung. Neben der ständig drohenden Apokalypse, die über den menschenleeren und desolaten Suburbs von Los Angeles schwebt, gibt es einige Szenen, die miteinander kommunizieren. In „Nowhere“ spiegelt sich der erste Teil der Trilogie, TFU. So gibt es in beiden Filmen eine Szene, in der die Hauptcharaktere Ecstasy nehmen. Sie ist beide Male gleich gefilmt, die Teenager stehen im Kreis und werden reihum gefilmt, wie sie die Tablette schlucken. Auch der digitale Camcorder ist wieder Teil des Geschehens und wieder – wenn auch viel weniger – sind seine Bilder im Endprodukt zu sehen. Interessanterweise wird diese Ecstasy-Szene in TFU als Camcorder-Material gezeigt.

Steven dokumentiert die Exzesse seiner Freund*innen und damit auch ihren Untergang. Dark in „Nowhere“ hingegen redet zwar davon, dass er das Gefühl hat, dass er bald sterben wird und deswegen seine Videokamera ständig dabei hat, um diesen Moment einzufangen. Er schafft es im Gegensatz zu Steven jedoch nicht, den drohenden Untergang wirklich einzufangen – er kann nur darüber reden. Das Alien, das ihm mehrmals im Film begegnet und ihm sogar fröhlich zuwinkt, kann er nie filmen. Sowohl Steven als auch Dark sind Filmstudenten und arbeiten an Uni-Projekten, ihr Umgang mit ihrem filmischen Material ist sowohl Teil der Handlung als auch des Meta-Narrativs, mit dem Araki sicherlich auch seine eigene Biografie verarbeitet.

Visuell ähneln sich vor allem „Doom Generation“ und „Nowhere“: Die eklektisch eingerichteten Räume, die omnipräsenten Neonfarben, die zu Arakis Markenzeichen werden sollten, stechen in beiden Filmen heraus. Auch in TFU sind bereits Stilelemente zu sehen, die wiederkehren sollten: ungewohnte Kamerawinkel, Szenen, in denen der Fokus auf scheinbar zufälligen Objekten im Raum liegt, und immer wieder telefonierende Menschen. Allen drei Filmen ist ebenfalls gemein, dass sie in einer fast menschenleeren, (sub)urbanen Landschaft spielen – als ob die Apokalypse, von der die Protagonist*innen reden oder vor der sie gewarnt werden, bereits stattgefunden hätte.

Der Weltuntergang ist in der Trilogie nie greifbar oder sichtbar – es ist mehr ein ungutes Gefühl, eine Ansammlung von Omen, dass bald irgendetwas Schlimmes passieren wird. Die exzessive Gewalt, die oft aus dem Nichts kommt, passt sehr gut zu dieser Stimmung, dass die Welt aus den Fugen gerät. Das gilt etwa für die vermeintlichen Ex-Partner*innen von Amy, die auf sie losgehen, oder für den brutalen homofeindlichen Angriff auf Deric, aber auch für die plötzlichen Suizide in „Nowhere“.

Mit Zwischentiteln kommentiert und rahmt Araki den ersten Teil der Trilogie ein. (Foto: Strand Releasing)

Kein sicherer Rückzugsort

Auch die Aids-Krise ist immer wieder Thema: Die Gefahr, sich mit der damals noch tödlicheren Krankheit anzustecken, schwebt als persönliche Apokalypse über den Protagonist*innen. Die Gewalt – und auch das Alien, das in „Nowhere“ sein Unwesen treibt und Menschen entführt – wird von manchen Kritiker*innen, wie etwa dem Filmwissenschaftler Dustin Bradley Goltz, als Metapher für Aids gelesen. Dass Dark als queerer Charakter der Einzige ist, der diese Gefahr sieht, während alle um ihn herum sie ignorieren, ist als Kommentar auf die Reaktion der Mehrheitsgesellschaft auf die Aids-Epidemie zu lesen.

Für Arakis Charaktere gibt es keine Zukunft: Sie sind Außenseiter*innen in einer Welt, die ihnen im besten Falle mit Abneigung, im schlimmsten mit Gewalt begegnet. Sie sind nicht nur mit allgegenwärtiger Homofeindlichkeit konfrontiert, sondern auch mit geschlechterbasierten Schönheitsidealen, wie der Kommunikationswissenschaftler Arnau Roig Mora in einem Essay bemerkt. Letzteres wirkt sich vor allem auf die weiblichen Charaktere aus, die zum Teil unter Essstörungen leiden.

Das drohende Ende wird in der Trilogie auch stets durch Beziehungen und Sexualität symbolisiert. Sexuelle Präferenzen werden viel diskutiert und auch gezeigt, und obwohl die Protagonist*innen Sex und Nähe als Refugium vor der feindlichen, apokalyptischen Welt draußen suchen, werden sie nur allzu oft von der nächsten erschreckenden Wendung dabei gestört. Auch das zeigt: Für queere Menschen gibt es keinen sicheren Rückzugsort.

Der tödliche Angriff von Neonazis am Ende von „Doom Generation“ wirkt wie ein augenzwinkerndes Übererfüllen des „Kill your gays“-Trope. Lange Zeit war es in Hollywood nur dann erlaubt, homosexuelle Charaktere zu zeigen, wenn diese am Ende des Films für ihr vermeintlich unethisches Verhalten bestraft wurden – indem sie starben. Und so wird Jordan in dem Moment, indem er sich seiner Bisexualität bewusst wird, auf grausame Art und Weise von US-Flaggen-schwenkenden Neonazis getötet.

Die Ängste der queeren Teenager, die sich in Arakis Filmen als Weltuntergangstimmung manifestieren, dürften vielen heutigen Jugendlichen bekannt sein: Die Probleme sind vielleicht andere, aber das Gefühl, dass sich Erwachsene und Mehrheitsgesellschaft nicht darum scheren, ist genauso vorhanden. Die Klimakrise wird in TFU kurz erwähnt, wird jedoch nicht weiter verhandelt. Dennoch bleibt das Gefühl, dass die Trilogie auch in den 2020er-Jahren als Metapher funktionieren kann: Die Apokalypse kommt nicht als großer Knall, sondern schleichend, Nachkommastelle für Nachkommastelle auf der Temperaturskala, während die Welt mit langsamen, aber sicheren Schritten aus den Fugen gerät.


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