HPV: Moment mal!

Es waren einmal eine dubiose Pressemitteilung über HPV, eine selbstsichere Stellungnahme des Gesundheitsministeriums und ein Arzt ohne ethische Bedenken: Eine Geschichte über die Kommunikationswege der Pharmaindustrie.

Es ist zu erwarten, dass sich durch die Impfung der Jungen eine sogenannte Herdenimmunität entwickelt. Frauen und Männer, die selber nicht geimpft wurden, sind somit indirekt gegen HPV geschützt, wie Joël Mossong vom LNS erklärt. (Quelle: Pixabay)

Neulich in der Redaktion: Eine Pressemitteilung von „Distinct Communication“ trudelt ein. In der Betreffzeile steht etwas von wegen „Communiqué de Presse – Programme de vaccination contre le papillomavirus humain (HPV)“. Die Einleitung der Pressemeldung verweist auf die Gesetzesänderung des HPV-Impfprogramms in Luxemburg.

Im Juni letzten Jahres gab das Gesundheitsministerium bekannt, dass das landesweite HPV-Impfprogramm, das sich bisher auf die angeratene Impfung von Mädchen zwischen 11 und 13 Jahren beschränkte, auf Empfehlung des Conseil supérieur des maladies infectieuses (CSMI) 2019 um die Impfung von Jungen und Mädchen zwischen 9 und 13 Jahren ergänzt wird. Immungeschwächten Menschen sowie Männern, die gleichgeschlechtliche Sexualverhältnisse haben, wird die Impfung über das 13. Lebensjahr hinaus ebenfalls empfohlen. In diesen Fällen übernimmt das Gesundheitsministerium die Kosten. Damit folgt Luxemburg internationalen Richtlinien. Auch der Impfstoff, bis dahin Cervarix des britischen Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline Biologicals S.A., ist seit Januar dieses Jahres ein anderer: Die Wahl fiel auf Gardasil 9 des US-Pharmakonzerns Merck Sharp & Dohme (MSD). Der Impfstoff schützt gleich gegen neun HPV-Typen.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums erkranken 70 Prozent der Männer und Frauen in ihrem Leben an einer oder mehreren HPV-Infektionen. 80 bis 90 Prozent der Infektionen klingen ab, weniger als 10 bis 20 Prozent der erkrankten Frauen erlitten bisher eine anhaltende HPV-Infektion.

Zwischen Notwendigkeit 
und Kritik

Warum die Impfung von Jungen nötig ist? Das erklärt Marc Remacle, Hals-Nasen-Ohren-Arzt am Centre Hospitalier de Luxembourg, in der besagten Pressemitteilung – und später auch im Interview mit der woxx. HPV ist sexuell übertragbar, auch durch Oralverkehr. Aus diesem Grund sei die Impfung der Jungen ebenso wichtig wie die der Mädchen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen, so der Arzt. Bisher habe man HPV vor allem mit Gebärmutterhals-, After-, Genitalkrebs und Feigwarzen in Verbindung gebracht. Erst seit rund einem Jahr stehe die Assoziation von HPV mit HNO-Krebsarten zu Recht im Fokus internationaler medizinischer Fachkreise.

„HPV 16 und HPV 18 sind, neben Tabak und Alkohol, die Hauptgründe für Mundrachen-Krebs. Die Betroffenen sind oft Männer zwischen 35 und 55 Jahren“, offenbart Remacle. „Krebs im HNO-Bereich macht weltweit fünf bis sieben Prozent der allgemeinen Krebserkrankungen aus. Es ist davon auszugehen, dass bald 60 Prozent der HNO-Krebsfälle Halskrebs sind, bedingt durch HPV. Ich schätze, dass in Luxemburg jährlich 50 Fälle von Halskrebs mit HPV assoziiert werden können.“ Der Impfstoff solle das einzige Mittel sein, um HPV-Infektionen vorzubeugen und somit das Krebsrisiko zu mindern. Eine Aussage, die kontrovers diskutiert wird. Seit Jahren sind sich Forscher*innen uneins, inwiefern die genannten Krebserkrankungen und HPV zusammenhängen.

Die Impfstoffe geraten wegen angeblich massiver Nebenwirkungen immer wieder in die Schlagzeilen. Joël Mossong, Vorsitzender der Abteilung für Mikrobiologie am Laboratoire national de santé (LNS), hält sie für unglückliche Ausnahmen, wie sie auch bei anderen Impfstoffen – Stichwort Grippe – auftreten können. „Es gibt zahlreiche unabhängige Studien, die vorwiegend in nordischen Ländern durchgeführt werden, die belegen, dass die Nebenwirkungen der HPV-Impfstoffe keine schwerwiegenden Begleiterscheinungen auslösen. Doch wie jedes Arzneimittel kann auch der HPV-Impfstoff vereinzelt unerwünschte Nebeneffekte hervorrufen, die zu unterschiedlich starken Reaktionen führen“, erläutert er. „Gleichzeitig muss man bedenken, dass es abgesehen von Gebärmutterhalskrebs und Leberkrebs (Hepatitis B) keine Krebsarten gibt, denen man mit einer Impfung so einfach vorbeugen kann.“ Ein Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts, des Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, bestätigte im September 2018 ebenfalls, dass der aktuelle Forschungsstand zu HPV-Impfstoffen ein gutes Sicherheitsprofil bei weiblichen und männlichen Impflingen aufzeige und „keine Anhaltspunkte für einen kausalen Zusammenhang zwischen HPV-Impfung und Autoimmunerkrankungen“ bestehe.

Mossong nennt den Impfstoff Gardasil 9 eine gute Wahl. Er sei effizienter und breiter gefächert als die bisher verwendeten Stoffe. Allerdings räumt er ein: „Erst in Zukunft wird sich zeigen, wie groß der Unterschied in puncto Wirksamkeit im Vergleich zu den Vorgängern wirklich ist.“ Vorausgesetzt es lassen sich viele Mädchen und Jungen impfen. Wie impffreudig die Menschen in Luxemburg in Bezug auf HPV sind, hat Mossong zusammen mit Kolleg*innen untersucht.

HPV-Impfrate

Die rezente Studie des LNS zeigt, dass in Luxemburg Ende 2016 insgesamt 39.160 Frauen, die zwischen 1991 und 2003 geboren wurden, gegen HPV geimpft waren. Die Nationalität spielte beim Impfverhalten eine große Rolle. „In Portugal ist die HPV-Impfung weit verbreitet – in Luxemburg sind 80 Prozent der Portugiesinnen geimpft“, fasst Mossong die zentralen Ergebnisse zusammen. „In Deutschland herrscht allgemein eine kritische Haltung gegenüber Impfstoffen, dementsprechend niedrig ist der Prozentsatz der Frauen mit deutschem Migrationshintergrund, die in Luxemburg gegen HPV geimpft wurden.“ Insgesamt verzeichneten die Forscher*innen eine HPV-Impfrate zwischen 58,8 Prozent (eine Dosis) und 43,4 Prozent (drei Dosen).

Laut Mossong ist es zu früh, um nachzuverfolgen, ob die Gesetzesänderung von 2019 die HPV-Impfrate bedeutend verändert. Es sei aber zu erwarten, dass sich durch die Impfung der Jungen eine sogenannte Herdenimmunität entwickele. „Frauen und Männer, die selber nicht geimpft wurden“, erklärt er den Begriff, „sind somit indirekt geschützt.“ Ob daraus ein leichtsinniges Sexualverhalten resultiert? Das befürchtet Mossong nicht. Eine Studentin, deren Arbeit er betreut, forscht derzeit zum Zusammenhang zwischen HPV-Impfung und Sexualverhalten. Noch sei die Studie nicht abgeschlossen, aber erste Ergebnisse würden belegen, dass geimpfte Frauen tendenziell weniger Sexualpartner hätten als umgekehrt. „Die Hypothese, dass die HPV-Impfung zu einem unachtsamen Sexualverhalten führt, hat sich bisher also nicht bestätigt“, schlussfolgert der Mikrobiologe.

Die im Mail-Postfach eingegangenen Informationen von „Distinct Communication“ scheinen vom medizinischen Blickwinkel aus betrachtet wasserdicht, wenn auch dürftig, weil weder näher noch kritisch beleuchtet. Ein zweiter Blick auf die Betreff- und Absenderzeile lässt jedoch Fragen aufkommen, denn: Wer soll „Distinct Communication“ überhaupt sein? Schreibt das Gesundheitsministerium neuerdings etwa unter Pseudonym? Das Schreiben selbst vermittelt nur einen Pressekontakt. Eine Internetrecherche schafft für einen kurzen Augenblick Klarheit, um dann weitere Fragen aufzuwerfen.

Bei „Distinct Communication“ handelt es sich nämlich um eine luxemburgische Kommunikations- und Werbeagentur. „Our reputation is more important than the last hundred million dollars“, wird der Medienunternehmer Rupert Murdoch auf einer der Seiten zitiert. Es ist ein aufgeräumter Internetauftritt, plus Empfehlungsschreiben ehemaliger Partnerunternehmen und Stammkunden. Nirgendwo ein Hinweis auf die Zusammenarbeit mit dem luxemburgischen Gesundheitsministerium. Nirgendwo Informationen zu HPV oder der HPV-Impfung. Eins plus eins ergibt: Die Pressemitteilung muss eine Auftragsarbeit sein. Und tatsächlich verrät die Agenturinhaberin, die gleichzeitig auch der oben genannte Pressekontakt ist, dass das Pharmaunternehmen MSD die Meldung bestellt hat. Das erschließt sich allerdings nicht aus der Pressemitteilung.

Ist es denkbar, dass eine nicht-anonymisierte Pressemitteilung des Pharmaunternehmens Impfgegner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen auf den Plan gerufen hätte und man genau das vermeiden wollte? (Quelle: Pixabay)

Eine Frage der Kommunikation

Anders als die Empfänger*innen der Pressemeldung, wusste das Gesundheitsministerium darüber Bescheid. Mehr sogar: Es nennt die anonymisierte Informationskampagne des Konzerns, die im Januar angelaufen ist, eine willkommene Ergänzung der eigenen Kommunikationsstrategie. „Dans la mesure où cette information est objective et neutre, et qu’elle sensibilise à l’importance de la vaccination, sans porter la signature du laboratoire, le ministère salue cette démarche, qui vient compléter la sienne“ – das ist der O-Ton des Ministeriums. Dieses will im Februar selbst eine groß angelegte Infokampagne zur HPV-Impfung starten. Geplant sind Werbeplakate, Broschüren, Flyer, Infomails an die Ärzt*innen sowie die Kommunikation über Social-Media und das Internet.

Die nach eigenen Aussagen „gute Zusammenarbeit“ zwischen dem Pharmaunternehmen und dem Ministerium ist nachvollziehbar. Immerhin hat letzteres sich dafür entschieden, den landesweiten Bedarf am HPV-Impfstoff durch das Produkt von MSD zu decken. Die Direction de la santé hat im Dezember vergangenen Jahres 3.600 Dosen Impfstoff geordert. Die Bestellung wird vervollständigt, wenn das Staatsbudget 2019 steht. Es ist vorgesehen, dass der HPV-Impfstoff demnächst für jedes Kind in Luxemburg vorrätig ist.

Das Ministerium behauptet – nachdem es bestätigt von der anonymen Infokampagne zu wissen – schon fast erklärend, MSD sei der einzige Hersteller des Impfstoffes Gardasil 9. Das leuchtet ein, denn das Produkt wurde von MSD entwickelt und hergestellt. Das rechtfertigt aber nicht, dass das Unternehmen anonym kommuniziert. Zwar gilt der besagte Impfstoff tatsächlich als der vielseitigste auf dem Markt, weil er die höchste Kreuzimmunisierung ermöglicht, doch ist Cervarix von GlaxoSmithKline Biologicals S.A. weiterhin im Umlauf. Es gibt demnach eine Alternative, die weniger HPV-Typen abdeckt, aber dennoch wirksam ist.

Eine Apothekerin macht ihrem Ärger über das gesamte Vorgehen des Ministeriums Luft. Mit der Gesetzesänderung geht nämlich auch eine Anpassung der Bestellwege einher. Bis dato mussten Patient*innen den rezeptpflichtigen Impfstoff in einer Apotheke abholen. Das sei nun anders. Das Syndicat des pharmaciens luxembourgeois habe zufällig erfahren, dass Gardasil 9 künftig unmittelbar von den Ärzt*innen über die Direction de la santé bezogen werden könnte, um Zwischenschritte zu umgehen. Die Mitteilung, die eigentlich nur für die Ärzt*innenschaft gedacht war, landete aus Versehen beim Syndikat. „Es ist unwahrscheinlich, dass die Patienten trotzdem auf das kostenpflichtige Cervarix zurückgreifen. Das wird momentan zwar noch zurückerstattet, die Frage ist nur, wie lange noch. Darauf bekamen wir keine Antwort vom Ministerium“, bedauert die Apothekerin. „Das sind wichtige Einnahmen, die den Apotheken fehlen. Man nimmt uns immer mehr Ertragsquellen weg.“ Umso abgekarteter wirkt das Zusammenspiel zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Pharmaunternehmen.

Alles tutti?

Der Konzern hält mit seinem Impfstoff nicht hinterm Berg. Auf der firmeneigenen Website springen einem Fakten zu Gardasil 9 und HPV ins Auge. Warum also in Luxemburg anonym über eine externe Kommunikationsagentur Informationen verbreiten? Die Kommunikationsabteilung der MSD-Gruppe Belgien hat Antworten parat: Man habe die Information in den Vordergrund stellen wollen, anstatt für den Impfstoff zu werben. „Mehr steckt nicht hinter dieser Entscheidung“, unterstreicht der Abteilungsleiter Jean-Michel Luyckx. „Wir wollten nur sichergehen, dass der Fokus auf den Informationen und nicht auf dem Produkt liegt. Wir hatten keine kommerziellen Absichten.“ Er weicht dem Einwand aus, dass in Luxemburg Gardasil 9 inzwischen als einziger HPV-Impfstoff empfohlen wird. Neutrale Informationen hin oder her: Wie frei die Patient*innen am Ende bei der Wahl des Impfstoffes sind, bleibt dahingestellt.

Copyright: Ilya Yakubovich

Remacle, der in der Pressemitteilung von „Distinct Communication“ zitiert wird, bestätigt, im September 2018 vom Pharmaunternehmen kontaktiert worden zu sein. Auch er wusste, dass es sich bei der Pressemitteilung um eine Auftragsarbeit handelte. Ethische Bedenken hatte er dabei nicht. „Es stimmt, dass die Kommunikation durch ein Pharmaunternehmen immer einen kommerziellen Aspekt hat. In diesem Fall übersteigt der Mehrwert der Mitteilung aber dieses Detail“, beteuert er. „Ich unterstützte die Informationsarbeit.“ Er betont unentgeltlich medizinische und neutrale bibliographische Infos zum Thema geliefert zu haben. Für ihn sei es wichtig, dass man pädagogische Arbeit im Hinblick auf die Folgen einer HPV-Infektion leiste. Der luxemburgische Collège Médical bestätigt, dass die Teilnahme an Informationskampagnen von Pharmaunternehmen per se kein Verstoß gegen den Deontologie-Kodex sei, solange die vermittelten Informationen neutral und objektiv sind. Tatsächlich spricht sich Remacle im Schreiben des Pharmakonzerns nicht offen für die Impfung aus. Das tut er erst im Gespräch mit der woxx. Trotzdem mutet es seltsam an, dass Mediziner*innen wissentlich für gekaufte Inhalte zur Verfügung stehen.

Ja … aber nein

Dabei geht es primär nicht darum, ob über HPV und die HPV-Impfung informiert werden soll, sondern um das „wie“. Sowohl Remacle als auch Werbeagentur und Ministerium waren über den Auftraggeber informiert. Ist es fair Leser*innen dieses nicht unwichtige Detail einstweilen vorzuenthalten und somit einen relevanten Aspekt zu unterschlagen? Fernab der Diskussion, ob die HPV-Impfung sinnvoll ist oder nicht, rückt das die Pressemitteilung von Unbekannt in ein schlechtes Licht – und das Ministerium gleich mit dazu. Es sieht nach Schleichwerbung unter dem Deckmantel gut gemeinter Aufklärungsarbeit aus. Die Argumente für die anonyme Kommunikationsstrategie sind dagegen schwach. Luyckx selbst sieht ein, dass der direkte Pressekontakt zu MSD sinnvoll gewesen wäre.

Joël Mossong unterstreicht im Interview mit der woxx, dass die Studie zur HPV-Impfrate vom LNS unabhängig von Pharmaunternehmen gemacht worden sei. Sie wurde vom Fonds national de la recherche (FNR) finanziert. Er fügt dem hinzu: „Für das Gesundheitswesen in Luxemburg ist es absolut wichtig, dass es möglich ist, den Impakt von Vorbeugungsprogrammen kritisch zu erforschen.“ Genauso „absolut wichtig“ ist es, dass die Leser*innen einer Pressemitteilung ohne lange Nachforschungen wissen, wer deren Autor*innen und etwaige Interessenbindungen sind. Ganz gleich, ob die vermittelten Inhalte neutral sind oder nicht. Es ist eine Frage des Prinzips – und nicht zuletzt der Glaubwürdigkeit.


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