Im Kino: Annette

Obwohl Adam Driver in der Hauptrolle glänzt, machen die unnahbaren Figuren Leos Carax’ Musicalfilm „Annette“ zu einer Enttäuschung.

Schön anzusehen, nur leider enttäuschend leblos ist der neue Film von Leos Carax. (© Filmcoopi)

„Was wäre gewesen, wenn…“ – bei Filmen eine Mentalität, die man möglichst aufgeben sollte. Denn die Vorstellung, dass ein Film mir als Rezensent*in besser gefallen hätte, wäre die Hauptrolle anders besetzt, das Drehbuch humorvoller oder das Ende eindeutiger gewesen, ist eigentlich absurd: Wären einzelne Bestandteile anders, wäre es ein anderes Kunstwerk. Objektive, universal gültige Kriterien für einen „guten“ Film gibt es nun einmal nicht. Zum Glück: Andernfalls bliebe gar kein Raum mehr für Kreativität.

An Letzterer mangelt es Filmemacher Leos Carax definitiv nicht, wie er mit seinem Werk „Annette“ auf ein Neues beweist. Auch diesmal dehnt Carax wieder die Definition dessen aus, was gemeinhin als „Film“ bezeichnet wird. Anders als etwa „Holy Motors“ lässt sich „Annette“ immerhin problemlos einem Genre, nämlich dem Musicalfilm, zuordnen. Geschrieben wurden sowohl die Lieder als auch das Drehbuch von Ron und Russell Mael, auch noch bekannt als Gründer der Underground- und Glamrock-Band Sparks. Im Unterschied zu „Holy Motors“ lässt sich die Handlung diesmal auch recht einfach zusammenfassen. Zu Beginn des Films sind Stand-up-Komiker Henry (Adam Driver) und Opernsängerin Ann (Marion Cotillard)schon seit einiger Zeit ein Paar. Dann wird Ann schwanger und gebärt eine Puppe. Schon im jüngsten Alter kann Baby Annette wunderschön singen – ein Talent, das der alkoholkranke, misanthropische Vater jahrelang gnadenlos ausschlachtet.

Wie in seinen vorherigen Werken ist Carax auch diesmal nicht an einer naturalistischen Darstellung der Geschehnisse interessiert. Ganz im Gegenteil: Viele Szenen wirken gewollt choreografiert beziehungsweise künstlich. Die repetitiven Liedtexte vermitteln eher grob bestimmte Gemütszustände und deuten auf die Monotonie des Alltagslebens hin. „We love each other so much“ singen Henry und Ann in den Anfangsszenen immer und immer wieder während einem Spaziergang, einer Motorradfahrt oder auch beim Sex.

Trotz aller Künstlichkeit kauft man Adam Driver seine Rolle in jedem Moment ab und er beweist damit auf ein Neues sein vielseitiges Können. Die meist melancholischen Melodien sind einprägsam, die Dekors ästhetisch, die Schauspieler*innen in Höchstform – und doch fällt der Film in seiner zweiten Hälfte eindeutig ab. Trotz des Vorsatzes, das Kunstwerk so zu nehmen, wie es ist, kommt man nicht umhin sich zu fragen: Was wäre gewesen, wenn „Annette“ nur 90 Minuten, also fast eine Stunde weniger lang gewesen wäre? Oder ein Konzeptalbum, wie es ursprünglich von den Mael-Brüdern vorgesehen war? Leider kann Drivers Leistung nicht darüber hinwegtrösten, dass seine Figur wenig hergibt. Am Ende wissen wir eigentlich nicht mehr über ihn, als dass er gewalttätig und vom Leben frustriert ist. Dafür, dass der Film einzig aus seiner Perspektive erzählt ist, ist dieser Mensch nicht interessant genug. Eine weitere Schwäche ist Annette selbst: So beeindruckend lebensecht die Puppe auch ist, zum Mitgefühl regt dieses Stück Holz leider nicht an.

„Annette“ ist ein einzigartiges, groteskes Spektakel, das in Einzelteilen zu begeistern vermag. Das Gesamtwerk fällt jedoch leider enttäuschend aus.

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Bewertung der woxx : XX


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