Statt die gängigen Debatten über „Cancel Culture“ zu bedienen, legt Luca Guadagninos „After the Hunt“ offen, wie ein einziger Vorwurf ein fragiles Netzwerk persönlicher und professioneller Beziehungen zum Einsturz bringt.

Besonders stark ist der Film in der Darstellung der komplizierten Beziehung zwischen Alma und Maggie. (© Amazon MGM Studios)
Mit „After the Hunt“ kehrt Luca Guadagnino zu einem seiner vertrautesten Themen zurück, dem Ringen des Menschen mit sich selbst. Im Mittelpunkt steht Alma (Julia Roberts), eine Philosophieprofessorin, die kurz vor einer Festanstellung steht, deren Leben jedoch plötzlich aus den Fugen gerät: Die Doktorandin Maggie (Ayo Edebiri) beschuldigt Almas Kollegen und besten Freund Hank (Andrew Garfield) der sexualisierten Gewalt. Was folgt, ist weniger eine Auseinandersetzung mit dem Vorfall als das langsame Zerbröckeln eines Geflechts von Loyalitäten und sorgfältig gepflegter Fassaden. Guadagnino inszeniert diese Entwicklung mit einer Langsamkeit, die den inneren Druck der Figuren fast körperlich erfahrbar machtund eine Stimmung erzeugt, wie man sie aus Psychothrillern à la Hitchcock kennt.
Die Eliteuniversität Yale, Kulisse und Mikrokosmos zugleich, ist in Guadagninos Film ein Ort, an dem starre akademische Prozeduren mit dem Chaos zwischenmenschlicher Dynamiken kollidieren. Besonders stark ist der Film in der Darstellung der komplizierten Beziehung zwischen Alma und Maggie. Ihre Konflikte, die von unausgesprochenen Spannungen geprägt sind, verweigern jede einfache Auflösung.
Einige Kritiker*innen, etwa jene des „Guardian“, werfen dem Film vor, Maggie werde als manipulative Figur gezeichnet und ihre Anschuldigung diene vor allem der Provokation. Diese Perspektive greift jedoch zu kurz. „After the Hunt“ – erzählt nach einem Drehbuch von Nora Garrett – zeigt wie unübersichtlich eine Situation wird, sobald Freundschaften, Karriere- ängste und persönliche Verletzungen ineinandergreifen. Er verweigert jene moralische Eindeutigkeit, die manche offenbar erwarten – nicht aus Provokation, sondern weil sie im echten Leben ebenso selten vorkommt.
Vor allem aber verkennt die Kritik etwas Wesentliches: „After the Hunt“ reiht sich gerade nicht in die Erzählungen ein, die den potenziellen Täter ins Zentrum rücken und dessen möglichen Fall als dramaturgische Triebkraft nutzen. Guadagninos Film fragt stattdessen, was ein solcher Vorwurf im Umfeld auslöst. Gerade darin liegt die Stärke von „After the Hunt“ – und genau das übersieht die verkürzte Cancel-Culture-Lesart des „Guardian“.
„After the Hunt“ ist ein psychologisches Porträt von moralischer Ambivalenz – ein Werk, das lange nachhallt, gerade weil es den Blick auf Beziehungsdynamiken und die inneren Kämpfe der Betroffenen legt, statt auf Schuld oder Strafe des potenziellen Täters. Die Intensität, mit der Guadagnino einst Sinnlichkeit feierte, verwandelt sich in „After the Hunt“ in eine Inszenierung des Misstrauens. Wo früher Hitze und Begehren dominierten, bleibt hier die Kälte eines Spiels, das niemand gewinnen kann – und das trotzdem alle weiterspielen, als hinge ihr Leben davon ab.

