Die türkische Serie „Kulüp“ (The Club) thematisiert die Unterdrückung religiöser Minderheiten im Istanbul der 1950er-Jahre anhand einer bemerkenswerten Frau.
Wer etwas über die Vergangenheit der Stadt Istanbul lernen will, geht in den Club – und zwar in den der Regisseur*innen Zeynep Günay Tan und Seren Yüce. Die beiden drehen in ihrer neuen Netflix-Serie „Kulüp“ (The Club) die Zeit zurück und konfrontieren das Publikum mit der Diskriminierung religiöser Minderheiten im Istanbul der Nachkriegszeit.
Die Erzählung spielt im Jahr 1955: Im Zuge einer Generalamnestie verlässt die verurteilte Mörderin Matilda (Gökçe Bahadır), sephardische Jüdin, nach 17 Jahren das Gefängnis. Sie will nach Israel auswandern und besucht vor ihrer Abreise den Leiter des Waisenheims, in dem ihre Tochter Rasel (Asude Kalebek) seit ihrer Inhaftierung in dem Glauben lebt, ihre Mutter sei tot. Matilda ist zunächst entschlossen, nicht in das Leben ihrer Tochter zu treten. Als Rasel einen renommierten Nachtclub überfällt und hinter Gittern landet, springt sie dennoch für sie in die Bresche: Matilda bietet dem Club-Manager Çelebi (Fırat Tanıs) ihre Arbeitskraft an, wenn er dafür von juristischen Schritten gegen ihre Tochter absieht. Çelebi nimmt das Angebot an.
Die Regisseur*innen decken Matildas Vergangenheit, die von historischen Ereignissen geprägt ist, in Rückblenden auf. In diesem Kontext kommt die Vermögensabgabe, die Anfang der 1940er-Jahre in der Türkei eingeführt wurde, zur Sprache: Die Gelder wurden im Zweiten Weltkrieg unter dem Vorwand erhoben, die Regierung wolle gegen die Angriffe fremder Armeen aufrüsten. Religiöse Minderheiten mussten allerdings höhere Abgaben zahlen als die muslimische Mehrheit. Wer die Gelder nicht innerhalb von dreißig Tagen aufbringen konnte, dem drohte eine Abschiebung ins Arbeitslager. Später wurden größere Vermögenswerte beschlagnahmt und die meist nicht-muslimischen Besitzer*innen zur Zwangsarbeit verurteilt.
„Wichtig für die Türkei, wichtig für uns Juden“
Politische, private sowie berufliche Zerwürfnisse aufgrund der Religionszugehörigkeit ziehen sich wie ein roter Faden durch die Serie. Einige türkische Jüd*innen, die in den Medien zu der Serie befragt wurden, äußerten sich positiv zur Sichtbarmachung der Missstände und zur nuancierten Darstellung der jüdischen Gemeinschaft. Viele schätzten, dass stellenweise Ladino, ein altertümliches Spanisch, gesprochen wird. Spanische jüdische Einwander*innen brachten die Sprache im 15. Jahrhundert in die Türkei, heute wird sie kaum noch verwendet. Der Filmkritiker Victor Apalaçi sagte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: „‘Der Club‘ ist sehr wichtig für die Türkei, sehr wichtig für uns Juden. Es ist der erste türkische Film, der ehrlich und detailliert über die jüdische Minderheit spricht.“ Heute sollen noch um die 15.000 Jüd*innen in der Türkei leben.
„Kulüp“ erzählt darüber hinaus von einer beeindruckenden Frau: Matilda lässt sich weder von ihrer sturen Tochter Rasel noch von Çelebi einschüchtern. Sie verhilft minderjährigen Frauen, denen er die Pässe abgenommen hat, zur Flucht und gewinnt hinter den Kulissen des Clubs zunehmend an Macht. Die Regisseur*innen zeichnen aber auch andere Bilder von Frauen – Bilder, die von der Abhängigkeit, der emotionalen und sexualisierten Gewalt zeugen, der Frauen in patriarchalen Strukturen ausgesetzt sind.
Die männlichen Charaktere sind hingegen komplexe Egomanen: Aufreißer, machthungrige Geschäftsmänner und Menschen, die Frauen für Sexspielzeug halten. Gleichzeitig porträtieren die Regisseur*innen sie als verletzliche Figuren, die um ihre Existenz und die Zukunft des Landes fürchten.
Besonders interessant ist dabei die Figur des Club-Sängers Selim (Salih Bademci). Er verhilft dem Club mit seinen glamourösen Auftritten zwar zum Erfolg, doch seine Eltern haben ihn wegen seines Daseins als Künstler verstoßen. Die Regisseur*innen legen auf subtile Weise nahe, dass das nicht der einzige Grund für deren Ablehnung ist: In einem seiner Lieder singt Selim über Vorhänge, die gelüftet gehören, und darüber, dass „manche aus Regenbogenstaub gemacht [sind]“. Es ist nicht nachprüfbar, ob es sich dabei um eine Anspielung auf queere Identitäten und Coming-out handelt. Eine dementsprechende Interpretation ist jedoch möglich. Das allein ist ein mutiger Zug der Regisseur*innen, denn die aktuelle Regierung unter Recep Erdogan ist gegen die Rechte von LGBTIQA+ Menschen.
Auch wenn „Kulüp“ an manchen Stellen stilistisch aufgrund dramatischer Musikeinlagen, vieler verflochtener Handlungsstränge und zahlreicher Cliffhanger an eine kitschige Telenovela erinnert, sticht sie aufgrund ihrer thematischen Vielfalt und ihrer historischen Relevanz aus der Masse neuer Serien heraus. Der Drang, die Geschichte von Minderheiten zu erzählen, ist in jeder Szene spürbar.