Meron Estefanos: Eine Journalistin auf der Jagd

Meron Estefanos ist seit Jahren Menschenhändlern auf der Halbinsel Sinai und in Libyen auf der Spur. Deutschlandfunk Kultur widmet der Investigativjournalistin die bewegende Podcast-Serie „Die Jägerin“.

Meron Estefanos, eritreisch-schwedische Journalistin, stieß im Kampf gegen Menschenhandel in Nordafrika und Europa auf die Grenzen der Justiz. (CC BY- Frankie Fouganthin SA 4.0)

Die Radiojournalistin Meron Estefanos saß in ihrer Wohnung in Stockholm, als im Februar 2011 das Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung erzählte ihr ein Mann von Foltercamps auf der ägyptischen Halbinsel Sinai. Estefanos, die als Jugendliche von Eritrea nach Schweden gezogen war, ging der Geschichte nach. Lucia Heisterkamp und Paul Hildebrandt vom Deutschlandfunk haben sie elf Jahre nach diesem lebensverändernden Anruf in Schweden besucht. Daraus ist die vierteilige Podcast-Serie „Die Jägerin“ entstanden, die seit August auf den gängigen Podcast-Plattformen zu hören ist.

Bei den Opfern, die Estefanos kontaktierten, handelte es sich vor allem um Eritreer*innen auf der Flucht. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass zwischen 2011 und 2014 um die 30.000 Flüchtlinge verschleppt und auf der Halbinsel Sinai an Beduinen verkauft worden sind. Diese zwangen die Gefangenen unter Folter, Angehörige anzurufen und um Lösegeldzahlungen an ihre Peiniger zu bitten. Estefanos wurde zur Anlaufstelle für die Opfer und deren Angehörige, später sogar für einen der Menschenhändler, der sich in ihrer Radiosendung rechtfertigen wollte.

Im Zuge der Fluchtbewegungen von 2014 und 2015, bei denen Menschen aus Konfliktregionen über Libyen nach Europa gelangen wollten, wiederholte sich dieses grausame Spiel. Die Drahtzieher waren dieselben wie auf dem Sinai, stellte Estefanos fest. Mark Micallef, Experte für Menschenhandel in Libyen und bei der NGO „Global Initiative Against Transnational Organised Crime“ aktiv, spricht im Deutschlandfunk-Podcast von einem Wandel: Vor dem Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen (2011) verdienten Menschenschmuggler ihr Geld mit dem Transfer von Flüchtlingen, danach mit Folter und Erpressung (siehe auch den Artikel „Bündnis mit den Banden“ in woxx 1685). Estefanos engagierte sich stark für die Opfer, reiste für Recherchen vor Ort um die halbe Welt, gab sich für polizeiliche Ermittlungen als Lockvogel aus. Sie trug unter anderem dazu bei, dass Mittelsmänner der Menschenhändler in Schweden vor Gericht kamen. Trotzdem stieß die Journalistin wiederholt auf unüberwindbare Grenzen, fühlte sich ohnmächtig. Sie stürzte in eine tiefe Depression.

Verkappte Gegner*innen

Die Podcast-Serie erzählt die Geschichten sowohl der Opfer als auch der Menschenhändler. Sie porträtiert Meron Estefanos, die – zu Beginn von ihrem Küchentisch aus – dem Menschenhandel den Kampf angesagt hat. Die Originalaufnahmen der Anrufe der Opfer, der Austausch mit Aktivist*innen und Angehörigen, die Gespräche mit europäischen Behörden in Erklärungsnot – die Sendung hält bewegende Eindrücke bereit. Lucia Heisterkamp und Paul Hildebrandt gehen jedoch weiter und ordnen die persönlichen Schicksale politisch ein: Es geht um das Scheitern der europäischen Asylpolitik und der Justiz; um die Wichtigkeit von kritischem Journalismus und nicht zuletzt um strukturellen Rassismus.

2011 flüchteten zahlreiche Menschen aus Eritrea nach Ägypten, wo sie Opfer von Menschenhandel und Folter wurden. (© Alkis Konstantinidis/EPA)

So kommt im Podcast zur Sprache, wie Angehörige der eritreischen Folteropfer in Deutschland von der Polizei weggeschickt wurden, als sie dort von der Erpressung durch die Menschenhändler berichteten. Deutschland sei nicht für die Ermittlungen wegen dieser Verbrechen zuständig, so die Begründung. Dabei gilt auch in der Bundesrepublik bei Menschenhandel das Weltrechtsprinzip: Dieses sieht die Zuständigkeit eines Staates für die Strafverfolgung von Taten vor, die gemäß dem Völkerrecht strafbar sind, auch wenn diese nicht auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurden.

Seit 2021 fahndet die niederländische Staatsanwaltschaft zusammen mit der Polizeibehörde der Europäischen Union (Europol) und italienischen Ermittler*innen nach Kidane – einem der einflussreichsten Menschenhändler, der während eines Prozesses in Äthiopien aus dem Gerichtsgebäude floh. Kidane soll sich im Herbst 2022 in den Niederlanden für Straftaten gegen Eritreer*innen verantworten, die in dem Land ansässig sind. Der Clou: Meron Estefanos, die Kidane seit seinen Verbrechen auf der Halbinsel Sinai auf den Fersen ist, wurde bisher weder als Zeugin vernommen noch in die Ermittlungen eingebunden. Von den Deutschlandfunk-Journalist*innen auf die Gründe dafür angesprochen, verweigern die niederländischen Ermittler*innen eine Stellungnahme. Stattdessen weisen sie darauf hin, dass Eritreer*innen in Europa eine geschlossene Gemeinschaft bilden, die Behörden gegenüber misstrauisch sei.

Für Estefanos ist klar, warum sie trotz enger Kontakte zur eritreischen Gemeinschaft nicht zu Rate gezogen wird: „Weil wir Eritreer nicht als unabhängig wahrgenommen werden.“ Das hat Estefanos auch im Austausch mit Redaktionen erlebt, denen sie die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentierte: Sie ignorierten ihre ausgiebigen Recherchen und Beweise, forderten unabhängige Quellen. Im Podcast betont Estefanos, dass dies den Menschenhändlern in die Karten spiele, wenn also Schwarze Frauen, die über Schwarze Täter*innen schreiben, nicht ernst genommen werden: Diese würden sich sicher fühlen, weil man sich in Europa, beziehungsweise in den westlichen Nationen nicht für ihre Taten interessiere.

CC BY- Francesco Alesi NC-SA 2.0

Die Journalistin ruft inzwischen nicht mehr zurück, wenn sie einen Anruf in Abwesenheit aus Libyen bekommen hat. Etwaige Informationen würden sie nur „noch ärmer“ machen, sagt sie. In welchem Sinne „ärmer“, erklärt Estefanos nicht. An einer anderen Stelle im Podcast erzählt sie jedoch, dass sie in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Lange bot sie Menschenrechtsorganisationen und Ermittler*innen ihre Hilfe ehrenamtlich an; mit dem Ausbruch der Coronapandemie fielen später dann bezahlte Rechercheaufträge weg. Estefanos berichtet in dem Podcast auch über die hohe emotionale Belastung, die mit ihrem Engagement einhergeht. Wenn sie also sagt, weitere Informationen machten sie „noch ärmer“, dann bezieht sich das vermutlich sowohl auf materielle Armut als auch auf ihre schwindenden emotionalen Kapazitäten, mit dem Leid der Opfer umzugehen.

Estefanos ist zwar immer noch bereit, vor Gericht gegen Kidane und seine Mitstreiter auszusagen, doch hat sie wenig Hoffnung, dass sie wirklich vorgeladen wird. Am Ende zieht sie ein ernüchterndes Fazit: „Wären die Opfer weiße Menschen, dann passierte bestimmt etwas. Die meisten Behörden sind glücklich über die Menschenhändler, weil sie die Menschen davon abhalten, [nach Europa] zu kommen.“

Auf gängigen Podcast-Plattformen, ndr.de sowie hoerspielundfeature.de.

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