Musikstreaming-Dienste: Sound zum Nulltarif?


Einnahmen aus Musikaufnahmen werden heutzutage überwiegend durch kostengünstige Musikstreaming-Dienste generiert. Doch das reicht nicht aus, um den zusammengebrochenen Markt physischer Tonträger zu ersetzen und die Künstler*innen angemessen zu vergüten. Das EU-Parlament macht jetzt einen zaghaften Versuch, bessere gesetzliche Bedingungen zu schaffen.

Man könnte es auch als Geburtstagsgeschenk bezeichnen, das Taylor Swift dem Musikstreaming-Unternehmen „Spotify“ am vergangenen Freitag gemacht hat: Da brach die Sängerin ihren eigenen Rekord des Jahres 2022 und wurde einmal mehr zu meistgestreamten Künstlerin innerhalb eines Tages in der Geschichte des im Oktober 2008 online gegangenen Dienstes, der dank der milliardenschweren Künstlerin wieder mal in aller Munde war.

Für weniger bekannte Musiker*-
innen ist die Beziehung zu „Spotify“ allerdings längst nicht so symbiotisch wie für Swift. Man trage zwar dazu bei, Einnahmen zu generieren, bekomme aber so gut wie nichts vom Kuchen ab, so eine häufig geäußerte Kritik. Gegenwärtig gibt der abonnementbasierte Dienst durchschnittlich zwischen 0,003 und 0,005 Dollar pro gestreamtem Song an die Künstler*innen und Urheber*innen weiter. Doch wer nicht eine gewisse Reichweite erreicht, sieht womöglich bald gar keine Tantiemen mehr.

Im kommenden Jahr nämlich will das in Schweden ansässige Unternehmen laut Berichten des Musiknachrichtendienstes „Billboard“ sein Abrechnungssystem ändern. Demnach müssen Künstler*innen mit ihrer Musik künftig einen bestimmten Schwellenwert an Streams erzielen, um weiterhin finanziell berücksichtigt zu werden. Das würde bedeuten, dass all jene kleinen Bands und Musiker*innen, die bisher 0,5 Prozent der insgesamt zu verteilenden Tantiemen erhalten haben, in Zukunft leer ausgehen. Offiziell bestätigen wollte „Spotify“ das Vorhaben bislang nicht.

Die Diskussion darum, welchen Einfluss die Musikstreaming-Dienste auf die ökonomische Entwicklung innerhalb der Branche haben, dürfte also in eine neue Runde gehen. Laut dem im März dieses Jahres publizierten jüngsten „Global Music Report“ der „International Federation of the Phonographic Industry“ (IFPI), entstammten 2022 weltweit 67 Prozent der Einnahmen aus Musikaufnahmen von werbefinanzierten und abonnementbasierten Streamingdiensten. In den USA, dem größten Musikmarkt der Welt, entfielen im vergangenen Jahr gar 84 Prozent der Einnahmen auf das Streaming.

Großer Kuchen, viele Bäcker

Angesichts dessen gibt es auch in der EU Bestrebungen, die Branche unter die Lupe zu nehmen. Der spanische sozialdemokratische EU-Abgeordnete Iban García del Blanco will eine Debatte hierzu im Europaparlament anstoßen. Als Berichterstatter im Ausschuss für Kultur und Bildung hat er im Juni einen Entwurf zu einem Bericht vorgelegt. Dieser wird dann, falls er im Ausschuss angenommen wird, dem Parlament zur Diskussion gegeben. Die darin enthaltenen Vorschläge sollen die Verhältnisse auf einem Markt ordnen helfen, den der Parlamentarier als den „derzeit unausgewogensten Teilbereich des Kultursektors“ bezeichnet.

„Noch nie wurde weltweit so viel Musik konsumiert, und noch nie hatte man einen solchen Zugriff auf unzählige Künstler, Musikstile und -formen“, heißt es in dem Text, und: „Noch nie war der wirtschaftliche ‚Kuchen‘ in der Musik so groß.“ Obwohl jedoch immer mehr Einnahmen generiert werden, entwickele sich die Lage für die meisten Urheber*innen und Interpreten immer prekärer, „mit Ausnahme von wenigen Künstlern mit sehr großem Erfolg“, und noch nie habe sich der Konsum von Musik auf so wenige Musikstile konzentriert.

Der Text spart nicht mit Kritik an unfairen Marketingmethoden und unregulierten Marktverhältnissen, die Vorschläge zu Verbesserungen bleiben indessen eher vage. Eine konkrete Vorstellung, wie man das Problem lösen will, „dass Urheber und ausübende Künstler zwar eine zentrale Rolle bei der Musikproduktion spielen, aber weder angemessen anerkannt noch entsprechend ihrer geleisteten Arbeit vergütet werden, da sie sehr geringe Einnahmen auf dem Musikstreaming-Markt erzielen“, vermittelt der Berichtsentwurf nicht.

(Bildquelle: Sanket Mishra/pexels)

Die Streaming-Branche wehrt sich unter anderem mit dem Argument, dass das Geschäftsmodell auch für die Unternehmen selbst noch nicht rentabel sei. Grund dafür seien die billigen Abonnements: Man könne die Preise nicht maßgeblich erhöhen, ohne gegenüber Musikpiraterie-Plattformen und Foren wie „Youtube“, wo ebenfalls kostenlos viel Musik zu finden ist, ins Hintertreffen zu geraten. Zum 1. August hatte „Spotify“ die Abopreise in den meisten Ländern seit langem erstmals um einen Euro, einen Dollar beziehungsweise ein Pfund erhöht: In Luxemburg und in vielen anderen europäischen Ländern kostet ein individuelles Abo seitdem 10,99 Euro pro Monat. Gegenüber physikalischen Tonträgern oder auch gekauften MP3‘s bleibt der Service, der es auch erlaubt, Songs und Alben für den Offline-Gebrauch herunterzuladen, dennoch vergleichsweise spottbillig.

„Rechtliches Vakuum“

„Spotify“, das einen globalen Marktanteil von 31 Prozent verzeichnet (es folgen Apple mit 15 und Amazon mit 13 Prozent), hat in der Vergangenheit tatsächlich meist Verluste notiert. Im dritten Quartal 2023 konnte das Unternehmen nun jedoch einen Gewinn von 65 Millionen Euro gegenüber einem Minus von 166 Millionen Euro im Vorjahr verbuchen. Die häufig negative Bilanz geht allerdings auch darauf zurück, dass das Unternehmen der Investition in Expansionsbestrebungen den Vorzug gegenüber schwarzen Zahlen gibt. Die Erweiterung der Marktanteile dürfe nicht auf Kosten einer angemessenen Entlohnung der Künstler*innen gehen, kritisierte Véronique Desbrosses, Generaldirektorin der GESAC (Groupement Européen des sociétés d’auteurs et compositeurs) dies gegenüber der Zeitung „politico“.

Eine Ende vergangenen Jahres veröffentlichte Studie der britischen Wettbewerbsaufsichtsbehörde CMA unterstützt indes die Darstellung der Branche, wonach es insgesamt nicht genug zu verteilen gibt: „Die Analyse ergab, dass weder die Plattenfirmen noch die Streaming-Dienste nennenswerte Überschussgewinne erzielen, die mit den Urhebern geteilt werden könnten“, heißt es dort. Unter anderem wird eine immer größere Menge an verfügbaren Titeln angeführt, die auf den Plattformen abgerufen werden können (rund 300 Millionen Songs, zudem ist ein Anstieg von 200.000 Künstler*innen im Jahr 2014 auf 400.000 im Jahr 2020 zu verzeichnen), was die Konkurrenz um die Tantiemen erhöhe. Dies werde durch das vorherrschende Geschäftsmodell verstärkt, „das alle Streaming-Plattformen dazu verpflichtet, alle (oder fast alle) existierenden Inhalte zu übertragen“, sofern sie konkurrenzfähig bleiben wollen. Gewinner wären demnach vor allem die Konsument*innen, die für eine nahezu unendliche Fülle von Musik so gut wie nichts bezahlen.

Diese Auswahlmöglichkeiten wer-
den allerdings laut CMA nur selten genutzt. Demnach entfallen auf die beliebtesten 0,4 Prozent der Künstler*innen mehr als 60 Prozent aller Streams. Das führen Kritiker wie der EU-Parlamentarier García del Blanco nicht zuletzt auf die von den Streaming-Plattformen verwendeten Algorithmen und Empfehlungssysteme zurück. Deren Funktionsweise sei nicht transparent, was unter anderem möglich werde, weil die Unternehmen auf EU-Ebene „in einem rechtlichen Vakuum operieren“. Mit solchen Methoden trügen die Streaming-Dienste entscheidend dazu bei, „welche Musik die Abonnenten hören“.

In seinem Entwurf geht García del Blanco daher mehrmals darauf ein, dass auch die kulturelle Vielfalt in der Musikbranche gewahrt bleiben müsse. Es seien Maßnahmen nötig, um die „Sichtbarkeit und Zugänglichkeit europäischer Werke“ auf den Plattformmenüs sicherzustellen. An die EU-Kommission ergeht der Appell, „die Möglichkeit verbindlicher Quoten 
für europäische Werke auf Musik-
streaming-Plattformen zu prüfen“ – ähnlich der Forderung nach „nationalen Quoten“, wie man sie für Radiosender kennt.

Alles besser mit Bandcamp?

Nicht selten wird die Plattform „Bandcamp“ als bessere Alternative zu „Spotify“ und Co. genannt. Dort können Bands, Labels und Musiker*innen ihre Platten zum Reinschnuppern als Stream anbieten, Preise für den Kauf von Downloads oder physischen Formaten wie Vinyl und CD selbst festlegen und auch Fanartikel wie Bandshirts verkaufen. „Bandcamp“ erhält 10 bis 15 Prozent des Verkaufspreises, der Rest geht an die Künstler*innen bzw. Labels selbst. Die müssen dafür allerdings auch die ganze Arbeit machen, von der Betreuung der eigenen Bandcamp-Seite über die Werbung (vorwiegend in den sozialen Medien) bis hin zu Verpackung und Versand der physischen Produkte.

Dennoch ist „Bandcamp“ verhältnismäßig attraktiv; das galt umso mehr zu Zeiten der Corona-Pandemie, während also die Konzerte fürs Marketing und als Möglichkeit zum Merchandise-Verkauf entfielen. Mit dem sogenannten „Bandcamp Friday“ macht sich das Unternehmen seitdem zusätzlich beliebt, weil es an einem Tag pro Monat auf seinen Anteil am erzielten Umsatz verzichtet.

„Bandcamp“ beinhaltet weder Abonnements noch Werbeeinnahmen und auch keine Trackingkomponente, mit der die Plattform Informationen über Nutzer*innen zu Geld machen könnte. Damit besteht anders als für „Spotify“ auch kein Anlass, dem Wachstum der Nutzer*innenbasis unbedingten Vorrang vor einer nachhaltigen Einnahmengenerierung ein-
zuräumen. Es gibt zudem keinen Versuch, die Macht der Plattform zu nutzen, um die Vergütungssätze nach unten zu drücken, wie dies García del Blanco in seinem Entwurf anhand von Praktiken wie dem „Payola“-System kritisiert, bei dem Künstler*innen niedrigere Einnahmen hinnehmen, um mehr Sichtbarkeit zu erhalten.

Im Unterschied zu „Spotify“ wird „Bandcamp“ überdies redaktionell betreut, das heißt es werden viele Bands in Interviews, Plattenbesprechungen und Artikeln vorgestellt, wobei es solche Features nicht vorwiegend für die bekanntesten Künstler*innen, sondern für alle möglichen Nischenbereiche und Newcomer gibt. Allerdings verkaufen sich laut Maurice Summen, Chef des Berliner Labels „Staatsakt“, nur „Alben, die von der fachkundigen Bandcamp-Redaktion gehyped werden“, weltweit sehr gut, „die meisten Veröffentlichungen verschwinden leider auch hier als Karteileichen auf den unzähligen Micro-Sites“ der Plattform.

Im September wurde „Bandcamp“ an die Musiklizenzierungsplattform „Songtradr“ verkauft. Erst 18 Monate zuvor war das seit seiner Gründung unabhängig geführte Unternehmen an die Computerspielfirma „Epic Games“ gegangen. Bereits damals wurde in der Musikbranche und vor allem unter den kleineren Bands und Labels viel über die Folgen des Verkaufs spekuliert. Dafür scheint es nun noch viel mehr Gründe zu geben. Der neue Eigentümer nämlich hat die Hälfte der 120 „Bandcamp“-Angestellten nicht übernommen.

Peter Tschmuck glaubt, das bereits dieser Schritt „die Funktionalität“ des Unternehmens beeinflusst, das seiner Erwartung nach weitere Einsparungen vornehmen wird. Der Professor am Institut für Popularmusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien spekulierte gegenüber dem Radiosender „Deutschlandfunk“, dass der neue Eigentümer das Geschäftsmodell anzupassen versuchen wird, nämlich in Richtung des Kerngeschäfts von „Songtradr“, der Lizensierung von Musik.

Platte oder Kaffee Latte?

Lizenzgebühren fallen überall dort an, wo Musik gespielt wird: in Werbung, Film, Rundfunk, aber auch digitalen Angeboten. „Bandcamp“, so Tschmuck, wolle künftig von den präsentierten Künstler*innen auch jenseits der 10 bis 15 Prozent Verkaufsanteile profitieren. In einer Pressemeldung zum Kauf von „Bandcamp“ hat „Songtradr“ die eigene Erfahrung im Lizenzgeschäft als Chance für die auf der Plattform vertretenen Musiker*innen angepriesen. Ob und wie sehr das bisherige Kerngeschäft darunter leiden wird, muss sich erst noch zeigen. Bislang gibt es die redaktionelle Betreuung der angebotenen Musik weiterhin.

Der Datenanalyst Andrew Thompson hält „Bandcamp“ bislang noch für erfolgsversprechender als „Spotify“, was auch an der stabilen finanziellen Situation vor Verkauf des Unternehmens abzulesen sei, das im vergangenen Jahr Nettoeinnahmen in Höhe von 20 Millionen Dollar eingefahren hat. „Bandcamp“ wahre und fördere die musikalische Heterogenität, während diese bei „Spotifys Einheitsdienst“ ausgelöscht werde, so Thompson: „Während Spotify also eine technisch komplexe Plattform für einfache Transaktionen geschaffen hat, hat Bandcamp eine technisch einfache Plattform für komplexe Transaktionen geschaffen.“

Die Einnahmen allerdings basierten maßgeblich auf dem Verkauf physischer Tonträger durch besonders kaufwillige und -kräftige Kund*innen, so Thompson: „Wie ich in einer kürzlich durchgeführten Analyse festgestellt habe, entfallen etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen auf 20 Prozent der Bandcamp-Kunden.“ Innerhalb dieser 20 Prozent gewinne der Verkauf von physischen Gütern zunehmend an Bedeutung: „Mehr als die Hälfte der Objekte, die die Top-Käufer auf der Website kaufen, sind physisch. Und unter diesen Gegenständen sind Vinyl-LPs beliebter als alle anderen (einschließlich CDs, Kassetten und sonstiger Waren) zusammen.“ Das spiegelt sich auch in den Statistiken der IFPI wieder: Demnach sei 2022 bei physischen Tonträgern ein Einnahmenzuwachs von vier Prozent zu verzeichnen gewesen, so die Organisation, die die Tonträgerindustrie weltweit vertritt. Auch Spotify-Star Taylor Swift hat im vergangenen Jahr ihr Album „Midnights“ knapp eine Million Mal allein im LP-Format verkauft.

Womit sich wieder zeigt, dass Streaming im Konsum zwar überwiegt, die Musikbranche aber nicht nachhaltig finanziert. Es gelänge auf dieser Basis nicht, „einen ausreichenden Wert zu schaffen und eine angemessene Vergütung für die Urheber zu gewährleisten“, so GESAC-Präsident Gernot Graninger vergangenen Mai in Brüssel. Zwar stiegen die Einnahmen aus dem Musik-Streaming im Abonnement im vergangenen Jahr um 10,3 Prozent auf 12,7 Milliarden US-Dollar, und Ende 2022 gab es 589 Millionen Nutzer*innen von bezahlten Abonnementkonten. Umgerechnet bedeutet das aber, pro Nutzer*in wird kaum mehr als 20 Euro pro Jahr bezahlt.

Und so wird sich auch Ende 2023 das Ritual wiederholen, dass kleinere Bands von „Spotify“ einen Bericht empfangen, wie viel Stunden ihre Musik in diesem Jahr insgesamt gestreamt wurde – und diese Information dann nicht von einem Geldsegen begleitet ist. „Wieso erzählen mir eigentlich immer alle, wie unverzichtbar und wichtig Musik in ihrem Leben ist, und dann kaufen sie nichtmal eine Platte pro Monat, leisten sich aber bedenkenlos jeden Morgen am Bahnhof einen scheißteuren Kaffee Latte?“, fragte Ende vergangenen Jahres auf Facebook entgeistert ein Musiker einer Heavy Metal-Band. Eine Frage, die sich zumindest finanziell besser gestellte Menschen gefallen lassen sollten.


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