National Novel Writing Month 2020: 50.000 Wörter in 30 Tagen

Auch 2020 stand der November für zahlreiche Menschen weltweit wieder ganz im Zeichen des alljährlichen „National Novel Writing Month“. Die woxx hat mit den Organisatorinnen des luxemburgischen Ablegers sowie zwei jungen Autor*innen gesprochen, die dieses Jahr daran teilnahmen.

Schreiben gilt als einsames Hobby. Beim „National Novel Writing Month“ ist die Gemeinschaft, in der sich Autor*innen gegenseitig zu Höchstleistungen motivieren, dennoch das wichtigste. (Foto: Andraz Lazic/Unsplash)

Jede Person, die sich mindestens einmal in ihrem Leben ernsthaft an kreativem Schreiben versucht hat, kann ein Lied davon singen, wie nervenaufreibend und zeitaufwendig es ist, auch nur eine Seite literarischen Texts hervorzubringen. Innerhalb eines Monats einen ganzen Roman mit einer Länge von 50.000 Wörtern (was je nach Formatierung 125-140 Buchseiten entspricht) verfassen zu wollen, klingt dementsprechend für viele geradezu unvorstellbar – und doch stellt sich mittlerweile eine ganze Reihe Menschen jeden November im Rahmen des sogenannten „National Novel Writing Month“ (kurz „NaNoWriMo“) genau dieser Herausforderung.

Erstmals 1999 von einer kleinen Gruppe von Freund*innen in den USA ins Leben gerufen, nahmen im Anfangsjahr gerade mal 21 Leute am NaNoWriMo teil. 20 Jahre später waren es schon 455.000 Hobbyschreiber*innen und professionelle Schriftsteller*innen, die sich der Aufgabe stellten. Ungefähr 400 NaNoWriMo-Projekte wurden hierbei bislang von traditionellen Verlagshäusern veröffentlicht – darunter der Roman „Water for Elephants“ von Sara Gruen, der 2011 mit Reese Witherspoon, Robert Pattinson und Christoph Waltz verfilmt wurde.

Die Teilnehmerzahlen für das Jahr 2020 sind zwar noch nicht bekannt, aber es ist davon auszugehen, dass wieder einmal eine ähnlich hohe Anzahl Menschen am NaNoWriMo teilgenommen hat. Genauso wie in den Jahren zuvor wird aber wieder nur ein Bruchteil auch tatsächlich bis zur Ziellinie gelangt sein. Gerade einmal 13 Prozent erreichen durchschnittlich die magische Grenze von 50.000 Wörtern. So geradlinig nämlich das grundlegende Konzept des NaNoWriMo auch ist – einen ganzen Monat lang jeden Tag mindestens 1667 Wörter auf Papier zu bringen, hat es in vielerlei Hinsicht in sich.

„Kann es mir nicht leisten, 
das leere Blatt anzustarren“

Der NaNoWriMo erfordert von den Teilnehmer*innen vor allem ein hohes Maß an Selbstdisziplin, wie Alexa der woxx gegenüber per Chat erklärt. Sie nimmt schon seit 2014 am Wettbewerb teil. „Diesen einen Monat im Jahr setze ich mich hin, und komme was wolle, ich werde 50.000 Wörter schreiben“, erklärt sie, „Ich kann es mir nicht leisten, das leere Blatt anzustarren und dann den Laptop auszumachen und zu sagen: ‚Ach nee, bin nicht inspiriert heute.‘ Für jemanden wie mich, der sonst gerne vor sich hinträumt und mitunter an Aufschieberitis leidet, ist das eine echte Herausforderung.“

Zusammen mit ihrer Freundin Steph war Alexa dieses Jahr auch wieder als sogenannte „Municipal Liasons“ – kurz „MLs“ – beim NaNoWriMo zuständig. „Als MLs sind wir die Bezugspersonen für Teilnehmer in Luxemburg und versuchen alle zu ermuntern, weiterzuschreiben“, so Steph, die schon seit 2010 dabei ist und vor acht Jahren die Rolle des vorherigen MLs übernommen hat, nachdem dieser aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste. Laut ihr nahmen dieses Jahr 36 Leute aus Luxemburg am NaNoWriMo teil. Genau ein Drittel davon schaffte es, 50.000 Wörter zu schreiben.

Neben der Betreuung des luxemburgischen NaNoWriMo-Forums stellen Steph und Alexa jedes Jahr auch sogenannte Write-Ins auf die Beine, bei denen Teilnehmer*innen sich zusammen ans Schreiben setzen und versuchen, ihrem Ziel ein bisschen näherzukommen. In den Jahren zuvor organisierten die beiden MLs neben einem wöchentlichen Online-Write-In auch einmal pro Woche ein Treffen im physischen Raum, üblicherweise in Cafés.

Dazu gab es am Ende des Monats eine große Zusammenkunft bei einem*r der Teilnehmer*innen zuhause, wo in einem letzten Endspurt versucht wurde, die 50.000-Wörtermarke zu knacken – was abschließend mit einem gemeinsamen Abendessen belohnt wurde. Wegen den durch die Covid-19-Pandemie erlassenen Kontaktbeschränkungen konnten die Write-Ins dieses Jahr allerdings nur online stattfinden. So gab es pro Woche zwei bis drei Online-Verabredungen zum Schreiben und das große Abschlusstreffen wurde in den Chat verlegt.

Gefühl von Gemeinschaft

Das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein – was schon von vornherein einen angenehmen Kontrast zur Einsamkeit liefert, von dem der Schreibprozess sonst so geprägt ist – ist hierbei zentral für die Erfahrung des NaNoWriMo und hilft vielen Autor*innen dabei, ihrem Ziel näher zu kommen. „Gemeinsam zu schreiben, bringt Energie und Schwung hinein“, so Steph und Alex, „Mit anderen reden kann neue Ideen bringen, wenn man sich in einer Situation verfahren hat. Es kann Lösungen für Probleme bringen, und es kann einen ganz einfach manchmal ablenken und auf andere Gedanken bringen, bis die Wörter wieder von ganz allein fließen.“

Auch die zwei jungen luxemburgischen Autor*innen Cosimo Suglia und Kiara Roth, die sich dieses Jahr der Herausforderung gestellt haben, schätzen die Atmosphäre des Zusammenhalts und Austauschs, die den gesamten November über vorherrscht. „Ich tausche mich gern in überregionalen Foren oder beispielsweise auf Twitter mit anderen NaNo-Teilnehmer*innen und Freund*innen aus, die ebenfalls teilnehmen“, so Kiara, die als Doktorandin der Sozialpsychologie in Marburg arbeitet, „In vorherigen Jahren haben wir uns immer zu einem ‚Kick-Off‘-Meeting getroffen, um gemeinsam in den NaNo zu starten, und später regelmäßig bei einem Autorenstammtisch. Dieses Jahr lief das alles online ab.“ Cosimo wiederum hat vor allem die Interaktion mit den Social-Media-Präsenzen von NaNoWriMo angeregt, auf denen bekannte Teilnehmer*innen regelmäßig Einblicke in ihr Werk geteilt haben. „Zu sehen, wie der Prozess bei anderen Schriftstellern aussieht, war sehr interessant und da habe ich mir ein oder zwei Tipps abgeschaut“, so der 25-Jährige, der gerade seinen Bachelor in Anglistik an der Universität Luxemburg abschließt.

Abgesehen davon hätte der NaNoWriMo 2020 kaum unterschiedlicher für beide Autor*innen ablaufen können. Kiara nahm bereits zum elften Mal teil – dieses Jahr mit einem Jugendroman, in dem sich Jugendliche in den Tiefen einer neuartigen Handyapp zu verlieren drohen. „Besonders gut gefällt mir am NaNoWriMo, dass es – zumindest ursprünglich – darum geht, einfach mal die Rohfassung runterzuschreiben, ohne nachzudenken und vor allem ohne bereits im Schreibprozess zum Korrekturstift zu greifen“, so die junge Autorin und Wissenschaftlerin, „Poliert wird erst später, und solange bleibt der ‚innere Lektor‘ weggesperrt.“

A Tale of Two NaNoWriMos

Da sie bereits so oft am NaNoWriMo teilgenommen und ihn auch bemerkenswerte neun Mal erfolgreich abgeschlossen hat, hat sich mittlerweile eine gewisse Routine bei Kiara eingestellt. Bevor sie sich jedes Jahr im November ins Schreiben stürzt, stellt sie sicher, dass sie bereits einen ausgearbeiteten Plot hat. Dazu setzt sie auf feste Schreibzeiten und überlegt sich im Vorfeld, wie sie Arbeit, familiäre Verpflichtungen und Freizeitaktivitäten mit ihrem täglichen NaNoWriMo-Pensum vereinen kann. „Meistens läuft es darauf hinaus, dass ich erst abends schreibe, wenn die anderen Pflichten erledigt sind und ich einen freien Kopf habe.“

Dieses Jahr war ihr jedoch schon im Vorfeld bewusst, dass sie es nicht schaffen würde, den NaNoWriMo abzuschließen. Neben ihrer Arbeit als Doktorandin sitzt Kiara nämlich gerade auch am Lektorat ihres Debütromans, der 2021 bei einem deutschen Verlag erscheinen wird. „Ich wusste, dass [das Ziel von 50.000 Wörtern] dieses Jahr utopisch gewesen wäre und habe mir vielmehr vorgenommen, tatsächlich entweder am Lektorat meines Debütromans zu arbeiten oder an meinem NaNoWriMo-Projekt zu schreiben, auch wenn es nur ein paar Wörter sind“, meint Kiara. Diese Routine habe sie letztendlich einhalten können.

Tatsächlich ermutigt der NaNoWriMo auch von offizieller Seite, die Regeln des Wettbewerbs nach eigenem Belieben zu biegen oder gar zu brechen. So können Teilnehmer*innen beispielsweise auf ihrem persönlichen NaNo-Profil eigene Ziele für die Wortanzahl vorgeben, die sie während des Novembers erreichen wollen. Dazu winkt ein virtuelles Abzeichen namens „NaNo Rebel“, wenn sie „am 1. November alles außer einem Roman zu schreiben anfangen.“

Von genau dieser Flexibilität hat Cosimo Gebrauch gemacht, der dieses Jahr zum ersten Mal am NaNoWriMo teilnahm. „Ich schweifte vom traditionellen NaNoWriMo ab und entschied mich dafür, eine Kurzgeschichtensammlung zu vervollständigen“, so der Autor. Sein Ziel setzte er dabei auf 25.000 Wörter – was er letztendlich erreicht hat, auch wenn er sich dabei einige Freiheiten genommen habe, wie er gesteht: „In der Sammlung befinden sich auch Kurzgeschichten, die ich schon fertig hatte, die jedoch noch eine Menge Korrektur benötigt haben. Diese Neuschreibungen zählte ich mit.“

Auch Cosimo weiß hierbei die Routine zu schätzen, die die Teilnahme am NaNoWriMo in das eigene Schreiben bringt – egal welches Ziel man sich letztendlich setzt. „Das Konzept des NaNoWriMo gefällt mir super, weil es einen schon fast dazu zwingt, produktiv zu sein – natürlich in einem guten Sinne. [Als Schriftsteller] will man nicht, dass es sich anfühlt wie Arbeit, und trotzdem ist routiniertes Schreiben aber Teil davon, besser im Schreiben zu werden und Projekte abzuschließen. Und ich würde fast behaupten, dass das NaNoWriMo einen dazu auffordert, mal an sich selbst zu glauben – es entsteht eine positive Stimmung, die einen halt sehr motiviert.“

Aus diesem Grund hat er sich genauso wie Alexa, Steph und Kiara vorgenommen, nächsten November wieder dabei zu sein. So nervenaufreibend es nämlich auch sein mag, 50.000, 25.000 oder auch nur 100 Wörter aufs Papier zu bannen – beim NaNoWriMo muss man sich dieser Herausforderung zumindest nicht alleine stellen.

nanowrimo.org


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