Neues Album von Princess Century: Entschleunigt und nackt

Die in Berlin wohnhafte Künstlerin Maya Postepski hat unter dem Pseudonym Princess Century ihren inzwischen dritten Longplayer „s u r r e n d e r“ veröffentlicht. Wie es dazu kam, dass sie auf dem neuen Album zum ersten Mal singt und weshalb der Lockdown ihr persönlich in die Karten gespielt hat.

Der dritte Longplayer von Princess Century wurde am 1. Oktober veröffentlicht. (Foto: princesscentury.com)

woxx: Ihre neue Platte, s u r r e n d e r, ist sehr eklektisch ausgefallen. Was beflügelt und inspiriert Sie und wie gestalten Sie Ihren kreativen Prozess?


Maya Postepski: Ich plane nichts wirklich, in keinem Bereich meines Lebens … lustig. Im Moment ist alles sehr wankelmütig und sanft. Ich lege einfach meine Emotionen blank auf den Tisch, da gibt es kein Verstecken. Ich habe keine intellektuelle Herangehensweise, ich arbeite, indem ich auf mein Bauchgefühl höre. Indem ich so viel preisgebe, mache ich mich sehr verletzlich, aber es ist der einzige Weg, den ich kenne.

Ich war überrascht, als ich Sie auf Ihrem neuen Album zum ersten Mal singen hörte. Hat Sie das viel Überwindung gekostet?


Ich hatte eine solche Angst. Ich bin ausgebildete Perkussionistin und Keyboarderin, und außer den Backing Vocals bei Austra und TR/ST hatte ich bisher noch nie live auf einer Bühne gesungen. Ich stand immer im Dienst eines Sängers. Also hatte ich noch nie daran gedacht, selbst diese Stimme zu haben. Aber irgendwie kam sie dann im Studio doch auf diesen Tracks aus mir hervor. Und den Menschen scheint es zu gefallen. Wer hätte das gedacht? Ich finde es immer noch ein wenig komisch, aber hier bin ich, nichts habe ich zu verbergen, nichts zu verlieren. Ich bin nackt.

Sie schreiben den Titel Ihres neuen Albums mit Leerstellen zwischen den Buchstaben. Was hat es damit auf sich und wie ist der Titel inhaltlich zu verstehen? 


Ich finde, dass der Titel mit den Leerstellen typografisch interessanter aussieht als ohne. Außerdem fühlt es sich an, als würde man beim Lesen ausgebremst, es findet eine beruhigende Verlangsamung statt. Ich bin zwar keine Grafikdesignerin, aber ich weiß die Kunst der Typografie sehr zu schätzen – und schöne Schriftfonts, um es mal recht brav zu sagen, erregen mich gewissermaßen. Mein Ex designt und gestaltet beruflich Fonts, also verschiedene Schriftarten. Er hatte also auch Bücher über Bücher zum Thema. Ich war sehr neugierig und es hat mich förmlich in Ekstase versetzt, zu erkennen, wie Wörter und deren Bedeutung je nach Schriftart, nach farblicher und räumlicher Gestaltung verändert werden können. Da gibt es so viele Nuancen und wir sind uns gar nicht bewusst, welchen Einfluss Fonts auf die Welt haben. Das ist alles „geek stuff“. Ich habe also sehr bewusst entschieden, dass ich Leerstellen zwischen den Buchstaben des Albumtitels haben möchte, um den Leser zu entschleunigen und Raum zum Atmen zu schaffen. Es freut mich, wenn es die Menschen auch merken. Zur Bedeutung des Wortes „surrender“: Meiner Meinung nach wird das Wort häufig missverstanden oder mit „aufgeben“ übersetzt. Aber für mich bedeutet es das Gegenteil, es bedeutet, dass man sich öffnet für Neues, dass man sich auch auf neue Personen einlässt. Ich empfinde es als sehr sinnlich, gar erotisch.

Werden Sie mit dem Album auf Tour gehen?


Ja, mein Booking-Agent und ich buchen gerade die Shows für 2022. Davor begleite ich Emel Mathlouthi (eine tunesische Singer-Songwriterin, Anm. d. Red.) nach Japan. Ich spiele bei ihren Live-Shows Schlagzeug und Synthesizer. Sie ist übrigens großartig.

Wie und wann ging es mit Ihrem 
Solo-Projekt Princess Century eigentlich los?


Ich bin in Toronto aufgewachsen und habe angefangen, meine eigenen Beats und Melodien zu Hause aufzunehmen, wenn ich nicht gerade mit Austra oder TR/ST auf Tour war. Den Umgang mit Musikprogrammen bringe ich mir selbst bei. Obwohl ich einen akademischen Abschluss im Bereich der klassischen Musik habe, konnte ich darauf nie wirklich zurückgreifen. Stattdessen habe ich mich in Computermusik, in Midi, Synthesizer und das Programmieren von Drums verliebt.

Portrait: Facebookpage von Princess Century

Wie gehen Sie genau beim Schreiben vor? Was kommt zuerst: der Beat oder die Melodie? 


Ich nutze eine Kombination aus analogen und digitalen Synthesizern und Instrumenten. Dabei ist mein Laptop ein wichtiger Bestandteil. Außerdem nehme ich oft Sprachnachrichten auf meinem Handy auf, wenn ich gerade einen bestimmten Vibe auf der Straße erfasse oder im Flugzeug … Aber Ausgangspunkt ist tatsächlich häufig ein Beat, obwohl ich wirklich keine formale Vorgehensweise habe. Das liegt ziemlich sicher daran, dass ich ja ursprünglich Perkussionistin bin. Manchmal ist es aber auch eine Melodie, die mir einfällt, wie ein Geschenk des Himmels, aus einem anderen Universum, die dann in meinen Ohren klingt und mich dazu anregt zu singen und einen passenden Keyboardsound zu finden. Ich denke immer wie eine Drummerin, ich stelle mir einen realistischen Beat vor, der auch tatsächlich von einem Menschen gespielt werden kann. Das ist manchmal ganz schön herausfordernd, denn wir haben ja nur zwei Hände. Ich bevorzuge sowieso fette, saftige, groovende und einfache Beats statt Drumkonstrukte, die extrem vertrackt und seelenlos klingen. Für mich ist das ein sehr persönlicher und natürlicher Prozess. Einige Menschen lieben es, das zu intellektualisieren und künstlich zu verkomplizieren, aber in meinen Augen ist das weder interessant noch sexy. Ich glaube, die meisten Menschen wollen nur grooven und tanzen, das heißt, ein Beat muss in erster Linie reizvoll und sexy sein, du musst deinen Körper dazu bewegen wollen. Als Live-Drummerin verschiedenster Bands habe ich sowieso gelernt, dass weniger immer mehr ist. Niemand will doch ernsthaft Drum-Solos hören. Die sind in meinen Augen „seriously wanky“.

Auch wenn es zynisch klingt: Hat Covid-19 Ihre kreative Energie und Ihren Schaffensprozess befeuert oder haben Sie sich von der Pandemie gelähmt gefühlt? 


Es war eine Kombination von beidem. Ich war so glücklich, dass sich alles in der Welt verlangsamte. Es war eine Erleichterung, auf einmal einfach sagen zu können: „Sorry, ich bleibe heute mal zu Hause und gammle mit meinem Hund auf der Couch rum“, als dass man zu vier coolen Partys geht und sich bis fünf Uhr volllaufen lässt. Ich empfand es als erdend, auf mein Herz zu hören, meinen Körper durch regelmäßiges Baden zu pflegen und den Kontakt zu anderen Menschen zu vermeiden. Ich hatte meine tolle Hündin an meiner Seite. Ich hätte nie gedacht, dass ein Tier meine Seele so tief berühren kann. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich so gut durch diese Zeit gekommen bin, und zwar gesünder und stärker, obwohl ich das Coronavirus hatte. Meine Angstgefühle waren währenddessen extrem präsent und ich hatte schreckliche Albträume, dass jemand mich ersticken würde, wie ein Nachtgeist, der mir den Wind aus den Lungen saugt. Es war furchterregend. Aber abgesehen von solchen Abenden, verbrachte ich alle meine Tage und Nächte im Studio, um an diesem Album zu arbeiten. Das war meine Selbstisolation. Still sein, das Schnarchen des Hundes im Hintergrund vernehmen, während ich meine Vocals einsinge. Diese ganze Zeit zwang mich dazu, etwas fertigzustellen. Das war eine ganz schöne Achterbahnfahrt. Meiner Meinung nach hat das Virus vielen einen Neustart verpasst. Und hoffentlich hat es manchen Menschen auch etwas Gutes gebracht.

Foto: Facebookpage von Princess Century

Wovon fühlen Sie sich sonst noch inspiriert?


Vom täglichen Leben, meinen Hund spazieren führen, gut essen, reisen, fliegen, der Mondaufgang, der Sonnenuntergang, Sex … der übliche romantische Quatsch.

Würden Sie sagen, dass die Liebe die ultimative Kraft hinter allem menschlichen Handeln ist? Oder ist das nur eine kitschige Ausrede, um dumme Dinge („Stupid things“ heißt ein Song auf der neuen Platte) zu tun?


Ich gehe da nicht so intellektuell oder philosophisch dran heran, aber ich lebe, ich habe einen menschlichen Körper und ich kenne die Liebe, zum Glück. Liebe hat mich zu vielen Aktionen verleitet, zu dummen Dingen, aber auch zu ein paar wirklich schönen Dingen, und zu ganz vielen impulsiven Erlebnissen, bei denen ich manchmal sogar glaubte, verrückt zu werden. Aber ich kann mir wirklich keine schönere Handlung vorstellen, als zu lieben.

Welche Bedeutung hat Ihre Queerness für Sie als Künstlerin?


Das ist eine heikle Frage, denn einerseits schäme ich mich nicht für meine Sexualität … andererseits spielt sie für die Kunst, die ich mache, keine Rolle. Sie ist nur eine Zeile in meinem Steckbrief: Ich bin 35 Jahre alt, ich komme aus Toronto, ich habe eine doppelte Staatsbürgerschaft, ich bin 175 Zentimeter groß, ich koche und reise gern, ich liebe Yoga, oh … und ich bin queer. Es ist also für meine Musik nicht relevant, aber unterschlagen möchte ich es auch nicht. Es ist nichts anderes als zu sagen, meine Haare sind braun, meine Augen sind haselnussbraun und ich mag es, mit allen möglichen Menschen zu schlafen, was eigentlich niemanden wirklich etwas angeht. Ich verstehe das Interesse daran auch nicht so wirklich … Andererseits, als ich noch jünger war, im Teenageralter, war diese Sache wahrscheinlich wichtiger für mich. Heute erkenne ich, dass ich damals Unterstützer*innen und Vorbilder hatte, die queer waren und mir das Gefühl der Sicherheit und des Okay-Seins vermittelten.

Maya Postepski ist vor der virusbedingten Zwangspause viel rumgekommen. Die kanadische Schlagzeugerin mit polnischen Wurzeln saß unter anderem bei den Shows von Peaches an den Drums, war jahrelang fester Bestandteil der erfolgreichen Synth-Pop-Band Austra und bildet 50 Prozent des Dark-Wave-Gespanns TR/ST. Daneben ist sie als DJane und Produzentin tätig. Auf der neuen Platte s u r r e n d e r treffen verschiedene Einflüsse aufeinander, diese reichen von New Wave über durch Steve Reich und Terry Riley inspirierte Minimal Music bis hin zu Detroit-Techno.


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