Ein heimlich aufgenommenes Video stürzte die österreichische Regierung in eine Krise. Nun steht Sebastian Kurz’ Kanzlerschaft auf der Kippe.
Juli 2017, Ibiza. Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, beide Spitzenpolitiker der rechtsextremen FPÖ, treffen sich mit einer vermeintlichen russischen Millionärin in einer Villa auf der Baleareninsel. Die Frau gibt vor, in Österreich investieren zu wollen. Besprochen wird – unter reichlich Einfluss von Alkohol, Red Bull und anderen „psychotropen Substanzen“ – unter anderem die Übernahme der meistgelesenen Zeitung Österreichs, der „Krone“. Im Gegenzug dafür, dass sie mit dem Boulevardblatt die FPÖ pusht, könnte sie mit einer Baufirma sämtliche Straßenbauaufträge der Republik erhalten, schlägt Strache ihr vor. Die Rede ist auch von illegalen Parteispenden, die per Umweg über einen Verein an die FPÖ gelangten – etwas, was laut Strache einige Großindustrielle bereits getan hätten. Die Existenz solcher Vereine ist mittlerweile bestätigt.
Was Strache und Gudenus auf Ibiza zwar ahnen, aber nicht wissen: Sie sitzen in einer Falle und werden gefilmt. Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung veröffentlichen das Material nach ausgiebiger Echtheitsprüfung am vergangenen Freitag, dem 17. Mai 2019. Am nächsten Tag kündigt Strache, der nach der Wahl im Oktober 2017 Vizekanzler und Sportsminister geworden war, seinen Rücktritt an. Es dauert bis zum Abend, bevor Bundeskanzler Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP, Neuwahlen ausruft. Vor seinem Amtssitz unweit der Wiener Hofburg hatte sich eine Spontankundgebung zusammengefunden. Im öffentlich-rechtlichen ORF sind die Demonstrierenden zu sehen, wie sie Neuwahlen fordern und zu dem Vengaboys-Hit „We’re Going to Ibiza“ tanzen.
In den darauffolgenden Tagen wird bekannt, dass sich Gudenus ein weiteres Mal mit der vermeintlichen Millionärin traf und später wie vereinbart eine Pressemitteilung als „Geste des guten Willens“ in Auftrag gab, in der gegen den Unternehmer Hans Peter Haselsteiner gewettert wurde. Es wird auch klar, dass Kurz nicht unbedingt Neuwahlen wollte. Die FPÖ weigert sich, den umstrittenen Innenminister Herbert Kickl, zum Zeitpunkt des Ibiza-Videos Generalsekretär seiner Partei, abzusetzen.
ÖVP-Alleinregierung bis September
Am Montag, dem 20. Mai, ging nicht nur Kickl, sondern auch die restlichen FPÖ-Minister*innen (bis auf die „unabhängige“ Außenministerin Karin Kneissl, die zu ihrer Hochzeit Wladimir Putin eingeladen hatte). Am 22. Mai stellte Kurz die vier Expert*innen vor, die sie ersetzen. Das Vizekanzleramt übernahm der ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger. In die Kabinette der unabhängigen Minister*innen wurden ÖVP-nahe Beamte beordert, um denen zur Seite zu stehen.
Bis zu den Neuwahlen im September kann Sebastian Kurz also de facto eine ÖVP-Alleinregierung anführen. Das ist wohl mit ein Grund, warum am kommenden Montag mit einem Misstrauensantrag gegen ihn zu rechnen ist. Viel wichtiger aber: Kurz hatte die Regierungskoalition mit der rechtsextremen FPÖ gezielt angestrebt – und wusste dabei genau, worauf er sich einließ. Eingebracht wurde der Antrag vom ehemaligen Grünen-Politiker Peter Pilz, dessen „Liste Jetzt“ im Gegensatz zu den Grünen im österreichischen Nationalrat sitzt.
Während Kurz das Ausrufen der Neuwahlen gleich auch für eine erste Wahlkampfrede nutzte, geht die FPÖ voll auf Konfrontation und sieht sich als Opfer eines Komplotts. Wer hinter dem Ibiza-Video steht, ist Gegenstand wildester Spekulationen – und wird Österreich wohl auch im kommenden Wahlkampf stark beschäftigen.
Wie geht es in der Alpenrepublik weiter? Was denken Linke darüber, dass die rechtsextreme FPÖ durch einen Korruptionsfall gestürzt wurde? Mehr dazu in Kürze auf woxx.lu.