Pier Paolo Pasolini: Der konservative Kommunist

Im Oktober zeigt die Cinémathèque ausgewählte Filme des 1922 geborenen italienischen Dichters, Romanciers, Filmemachers und Essayisten Pier Paolo Pasolini. Bis heute bleibt sein Werk so provokant wie kontrovers.

In diesem Jahr wäre Pasolini 100 Jahre alt geworden. (Copyright: Mondadori/Getty)

„It is thus absolutely necessary to die, because while living we lack meaning, and the language of our lives (with which we express ourselves and to which we attribute the greatest importance) is untranslatable: a chaos of possibilities, a search for relations among discontinuous meanings.“

Diese Aussage von Pier Paolo Pasolini las sich in den 1960er-Jahren zweifellos anders als nach seiner brutalen Ermordung in der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen im Jahr 1975. Es sind Aussagen wie diese, die bis heute die Mutmaßung befeuern, der Künstler habe seinen Tod in die Wege geleitet. Hatte der damals 53-Jährige jemanden dafür bezahlt, ihn am Strand von Ostia, ebenjenem Strand, an welchem er wenige Jahre zuvor einen Brudermord gefilmt hatte, mit seinem eigenen Wagen zu überfahren? Unabhängig von der Antwort, die wir wahrscheinlich nie erhalten werden, ist das Zitat eines der vielen Beispiele, wie Pasolini zu seiner eigenen Mythologisierung beitrug.

Pier Paolo Pasolini wird 1922 als Sohn eines Offiziers der faschistischen Armee Mussolinis und einer Grundschullehrerin aus dem Friaul geboren. Nach seinem Kunstgeschichtsstudium in Bologna lässt er sich zusammen mit seiner Mutter in Casarsa della Delizia, dem Geburtsort der Mutter, wo er bereits viele Sommer verbracht hat, nieder.

1942 veröffentlicht er seinen ersten Gedichtband. In friaulischem Dialekt schreibt er über das bäuerliche Leben. Damit versucht er einerseits, Widerstand gegen das faschistische Verbot regionaler Sprachen zu leisten. Andererseits wehrt er sich so auch gegen die Vereinheitlichung der italienischen Kultur, einen Prozess, den er durch die Verbreitung des Fernsehens beschleunigt sieht. Konsumgesellschaft und Massenkultur sind für Pasolini der wahre Faschismus.

1949 wird er von einem Priester als homosexuell geoutet und kurz darauf wegen Verführung Minderjähriger angeklagt. Trotz Freispruchs wird er von der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Als Kommunist definiert Pasolini sich aber weiterhin.

Nachdem er im Januar 1950 mit seiner Mutter nach Rom gezogen ist, um dort eine Lehrstelle an einer Privatschule anzutreten, veröffentlicht er die Romane „Ragazzi di vita“ (1955) und „Une vita violenta“ (1959) sowie den Gedichtband „Le ceneri di Gramsci“ (1957). Alle drei Werke handeln vom Subproletariat in den Borgate, den verslumten Vororten von Rom und sind in der dort gängigen Umgangssprache verfasst.

Eloge auf das Archaische

Diese Welt ist für Pasolini weit mehr als nur ein origineller Handlungsschauplatz. Die „einfachen Leute“, denen er dort begegnet, stellen für Pasolini das von ihm idealisierte unverfälschte Leben dar. Beinahe jede von Pasolinis künstlerischen Produktionen spiegelt diese Eloge auf das Archaische wider. In starkem Kon-
trast dazu sieht Pasolini das Kleinbürgertum, das in seinen Augen zutiefst korrupt ist. Seine Abneigung ihm gegenüber prägte auch seine Meinung zur 1968er-Bewegung: Nach den Straßenschlachten in Rom ergriff er nicht die Partei der bürgerlichen Studierenden, sondern die der Polizisten, weil sie die Söhne armer Bauern seien.

Nicht zufällig ist das Subproletariat auch in den meisten seiner Filme präsent. „Accattone“ (1961) etwa handelt von einem in den Borgate lebenden Zuhälter und Tagedieb, „Mamma Roma“ (1962) von der Beziehung einer Prostituierten zu ihrem Sohn. Mit ihren Originalschauplätzen und Laiendarsteller*innen scheinen sich diese Filme auf den ersten Blick in die Tradition des Neorealismus einzuordnen. Die sozialdokumentarische Herangehensweise wird jedoch durch Kamerafahrten, leitmotivisch eingesetzte Musik und Einstellungen, die an die italienische Malerei der Frührenaissance erinnern, ein ums andere Mal gebrochen. So will der Künstler das Gezeigte ästhetisch überhöhen. Seine Protagonist*innen stellt er dabei weder als Opfer noch als Täter dar, weder als Revolutionsförderer noch als Revolutionsverhinderer. Der Tod ist in diesen Filmen Erlösung, nicht Strafe.

Enttäuscht von einem Subproletariat, das sich in Pasolinis Augen vom Kleinbürgertum hatte korrumpieren lassen und zunehmend Konformismus und Wohlstand verfiel, veröffentlichte Pasolini 1966 den Film „Uccellacci e Uccellini“. In dieser allegorischen Komödie sind ein Vater und ein Sohn unterwegs an einen unbestimmten Ort. Begleitet werden sie von einem Raben, der sie unerlässlich für ihre kleinbürgerliche Moral kritisiert. Am Ende drehen sie dem Tier den Hals um.

Intermedial und autobiographisch

Zum Film war Pasolini aus der Not heraus gekommen. Er schrieb an Drehbüchern von Federico Fellini und Giorgio Bassani mit, um aus der Armut herauszukommen. In dieser Kunstform, die er so schätzen lernte, schuf er im Laufe seines Lebens 23 Werke. Es ist jedenfalls nicht so, dass Pasolinis literarisches Werk nur ein Vorläufer zu seinen Filmen gewesen wäre. Vielmehr wird jedes Medium genutzt, um die Grenzen des jeweils anderen zu erweitern.

Die Parallelen, die Theoretiker*in-
nen gerne zwischen Pasolinis Werken und seinem Privatleben ziehen, wurden zum Teil vom Künstler selbst befeuert. So etwa im Kontext seines in Marokko gedrehten Films „Edipo re“, in welchem er dem Ödipus-Mythos seine Handschrift verpasste. Pasolini sah in dem Film klare autobiografische Elemente, aufgrund seines hasserfüllten Verhältnisses zu seinem Vater einerseits und der starken Liebe für seine Mutter andererseits.

Der letzte der fünf Pasolini-Filme, die im Oktober in der Cinémathèque gezeigt werden, ist der von Kapitalismus, Kannibalismus, Sodomie und Faschismus handelnde „Porcile“ (1969). Kannibalismus war für Pasolini „Symbol der absoluten Revolte“, der Titelgebende Schweinestall repräsentierte für ihn die Bourgeoisie.

Auch wenn viele seiner Filme um die nicht unüblichen Themen Religion, Sexualität und Gewalt kreisten: Pasolini wollte Filme machen, die für die Massen nicht konsumierbar sind. Zum Teil waren sie das wortwörtlich nicht, wurden manche seiner Filme doch verboten. Mehr als 30-mal wurde Pasolini vor Gericht gezerrt – wegen Beleidigung, Blasphemie, Pornografie. Angefeindet wurde er zeitlebens von vielen Seiten: von Kommunist*innen, Neofaschist*innen und Katholik*innen. Die Kirche hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu ihm: Manche Filme feierte sie, gleichzeitig war ihr der Künstler allein schon wegen seiner sexuellen Orientierung ein Dorn im Auge.

Pasolinis Verhältnis zur Kirche war ebenfalls zwiespältig: Obwohl er sich als Atheist identifizierte, schätzte er das sozialrevolutionäre Moment der christlichen Botschaft. Dieses hob er auch 1964 in seiner Verfilmung des Matthäus-Evangeliums „Il vangelo secondo Matteo“ hervor. Schon zwei Jahre zuvor hatte er den Protagonisten aus „Mamma Roma“ am Kreuze sterben lassen und setzte ihn eindeutig auf eine Ebene mit Jesus: Beide sind in seinen Augen gegen das Establishment gerichtete Außenseiter. Mit der starren Institution Kirche konnte Pasolini allerdings wenig anfangen. Vergebens wünschte er sich, sie würde den Kampf gegen die Konsummentalität anführen.

So politisch und kritisch Pasolini also auch war: Er war ein Traditionalist, der sich nach der Rückkehr zu einem früheren, einfacheren Leben sehnte.

Retrospektive Pier Paolo Pasolini: 
Vom 2. bis 29. Oktober in der 
hauptstädtischen Cinémathèque.

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