Richard Eyre
: Harte Schale, weicher Kern


Mit der Verfilmung von Ian McEwans Roman „The Children Act“ ist Regisseur Richard Eyre ein solide gemachter Film gelungen, der jedoch die Chance verpasst, das Publikum emotional abzuholen.

Was fasziniert Richterin Maye nur so an Adam? Man versteht es nicht so recht. (Foto: outnow.ch)

Fiona Maye (Emma Thompson) ist Richterin am High Court of Justice in London. Sie ist auf Fälle spezialisiert, in denen die Rechte von Minderjährigen auf dem Spiel stehen. Zu Beginn des Films soll sie zum Beispiel entscheiden, ob zwei siamesische Zwillinge operativ voneinander getrennt werden dürfen. Der Eingriff würde einem der beiden das Leben retten, den anderen jedoch töten. Doch es ist ein anderer Fall, der im Zentrum von „The Children Act“ steht: Der an Leukämie erkrankte Zeuge Jehovas, Adam (Fionn Whitehead), verweigert aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion. Maye soll entscheiden, ob das Krankenhaus die Prozedur gegen den Willen von Adam und seinen Eltern durchführen darf, um dem Teenager so möglicherweise das Leben zu retten. Unschlüssig, entscheidet sich die Richterin Adam im Krankenhaus zu besuchen, nicht ahnend welchen Einfluss der junge Mann auf sie haben wird.

Maye lebt für ihren Beruf. Wenn sie nicht gerade im Gerichtssaal sitzt, liest sie, schreibt Berichte, bereitet sich vor. Sie tut das nicht nur im Büro, sondern auch zu Hause – auf Kosten ihres Ehelebens. Ihre einzige Freizeitaktivität besteht darin, Klavier zu spielen. Alles in ihrem Leben ist geordnet und zweckgerichtet, nie gönnt sie sich Ruhe, stets bleibt sie gefasst. Die Szenen im Gerichtssaal vermitteln uns ihre Brillanz: Zugleich scharfsinnig und gewissenhaft ist die Juristin jedem im Saal intellektuell überlegen – und das ohne sich besonders anstrengen zu müssen. Das lässt sie jedoch nicht arrogant werden und das aus dem einfachen Grund, weil es ihr nie um Selbstdarstellung geht: Immer steht das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Zentrum.

Als ihr Ehemann Jack (Stanley Tucci) ihr seine Unzufriedenheit ausdrückt – die beiden hatten seit elf Monaten keinen Sex –, reagiert sie mit ihrer üblichen Gefasstheit: „Wenn du eine Affäre beginnst, ist es vorbei zwischen uns“. Doch der Eindruck täuscht, scheint Jacks Verhalten sie doch nachhaltig aus dem Konzept gebracht zu haben. Maye reagiert zwar immer mit ausgesprochener Bestimmtheit und Schlagfertigkeit, doch vieles scheint sie einfach nicht richtig artikulieren zu können. Sie weiß, dass sie ihren Ehemann in ihrem Leben will, warum, vermag sie allerdings nicht zu kommunizieren.

So faszinierend diese emotionale Unbeholfenheit auch ist, so macht sie dennoch die größte Schwäche des Films aus. Wir sollen Fiona mögen, auf ihrer Seite sein, doch ihre Unnahbarkeit macht dies fast unmöglich. Darüber hinaus fällt es schwer zu glauben, dass ein Junge wie Adam eine derartige Wirkung auf eine solche Frau haben könnte. Klar, er ist intelligent und voller Neugierde und Leidenschaft, doch solche Menschen muss Maye in ihrem Leben schon zahlreiche kennengelernt haben. Falls mit der starken Verbindung zwischen den beiden ihr uneingestandener Kinderwunsch angedeutet werden soll, stellt sich eine ähnliche Frage: Ist Adam der erste Jugendliche mit dem sie sich bisher unterhalten hat? Lässt einen jedoch die Beziehung zwischen den beiden, ebenjenem Aspekt, der das emotionale Kernstück des Films bilden soll, kalt, was bleibt dann noch?

Die formale Strenge der Bildkompositionen visualisiert das Innenleben der Protagonistin. Der Verlauf des Films deutet sich bereits früh an: Die Fassade ist derart perfekt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Risse entstehen werden. Die Frage ist, wie weit die Aufrüttlung geht und was danach noch von Mayes altem Leben übrig sein wird. Wem das als Spannungsbogen reicht, der dürfte mit „The Children Act“ auf seine Kosten kommen. Allen anderen beschert Emma Thompsons facettenreiches Spiel zwei angenehme Kinostunden.

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Bewertung der woxx : XX


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