Eine simple Geschichte, die gut umgesetzt wurde, macht „Trying“ von Andy Wolton zum Geheimtipp.

Esther Smith und Rafe Spall überzeugen in „Trying“ als adoptionswilliges Paar Nikki und Jason. (Foto: macworld.com)
Wer kann, sollte zurzeit ohne Frage lokale Theater, Kinos und Kulturstätten besuchen, um sie während der sanitären Krise zu unterstützen, anstatt Netzgiganten wie Netflix und Co. zu bereichern. Für alle, denen das jedoch nicht möglich ist, hier eine Empfehlung: Die Serie „Trying“ von Andy Wolton, die das Publikum mit einem unscheinbaren Paar begeistert.
Die Koproduktion von Apple und BBC wurde mitten im Lockdown (am 1. Mai) mit wenig Werbeaufwand veröffentlicht. Nikki und Jason, ein Paar Mitte 30, wünschen sich ein Baby. Nachdem es auf natürlichem Weg nicht klappen will und auch die künstliche Befruchtung fehlschlägt, bleibt ihnen nur noch die Möglichkeit einer Adoption.
Die erste Staffel der von Andy Wolton geschriebenen Serie folgt ihnen durch den hindernisreichen Prozess. Wenn Nikki und Jason glaubten, das Schwerste sei es, mit dem Wunsch nach einem eigenen gemeinsamen Kind abzuschließen und sich für die Adoption zu entscheiden, werden sie eines Besseren belehrt. „So it’s basically a competition?“, fragt Nikkis Arbeitskollegin. In acht Folgen von je dreißig Minuten wird das Paar mit den Anforderungen konfrontiert, die an potenzielle Adoptiveltern gestellt werden, und mit der Tatsache, dass sie den meisten dieser Anforderungen nicht genügen.
Nikki und Jason, von Esther Smith und Rafe Spall sehr überzeugend verkörpert, nehmen es mit Humor – Humor der trockenen britischen Sorte. In „Trying“ ist nichts heilig und wenn Nikki über das Baby einer frischgebackenen Mutter sagt „I hope he doesn’t grow up to be a prick“, dann können darüber nicht alle lachen, wie die Zuschauer*innenkommentare auf verschiedenen Onlineportalen zeigen. Gleichzeitig sind alle Situationen und emotionalen Zustände so fein beobachtet und nuanciert dargestellt, dass sich die Serie niemals ernsthaft im Ton vergreift.
Das Thema Familie und Beziehung wird durchaus mit Ernsthaftigkeit behandelt. „I don’t think it’s supposed to feel like this“, sagt Nikkis beste Freundin, als ihre Ehe nach der Geburt des zweiten Kindes in eine Krise gerät. Beziehungen und Kinderkriegen werden nicht verklärt oder als Lösung aller Probleme dargestellt, wie zum Beispiel in Noah Baumbachs „While We’re Young“. Nein, eigentlich ist sich die Serie vollkommen bewusst, dass Beziehung und Elternschaft meist erst der Anfang aller Probleme sind. Ein Freund des Paares schlussfolgert: „It’s when you find out what sort of person you really are. And sometimes it’s better not to know.“
Wie Nikki und Jason hat auch die Serie ein paar Schwächen. Das soziale Gefälle zwischen den Protagonist*innen und den anderen Adoptionsanwärter*innen wird oft betont, aber nicht immer glaubhaft dargestellt. Nikki leidet darunter, dass sie nie studieren konnte und ihr Job in der Telefonzentrale einer Autovermietung kaum Perspektiven bietet. Nikki und Jason mögen Fast Food und Blockbusterfilme. Der Gegensatz zum hipstermäßigen Bildungsbürgertum birgt ausreichend komisches Potenzial, aber hier gibt es viel „Tell“ und wenig „Show“. Wenn Nikki sagt „It was a question, there was an upward inflection in my voice“ oder „We need some more books. We need a three-to-one book to DVD ratio“, dann klingt sie doch nicht so anders als die Bildungsbürger*innen, zu denen sie und Jason sich vermeintlich nicht zugehörig fühlen. Auch die von Imelda Staunton verkörperte Sozialarbeiterin mit Inkontinenzsorgen ist ein wenig überzeichnet. Im Englischen nennt man das „Hamming“ oder „Overacting“.
Es gibt einen Regenbogen, schrammelige Folksongs und Strickpullover, aber eben auch tolle, überzeugende Schauspielleistungen (allen voran von Esther Smith) und ein schlüssiges Drehbuch mit zahlreichen vielschichtig gezeichneten Nebenfiguren. Sogar Scott, der unerträgliche Freund von Nikkis Schwester, entpuppt sich am Ende fast unbemerkt doch noch als menschliches Wesen. Der Titel „Trying“ bezieht sich nicht nur auf den Versuch schwanger zu werden, sondern auch auf die Anstrengungen, die es mit sich bringt, seinen eigenen Ansprüchen und denen seiner Umwelt zu genügen. Am Ende würde man sich selbst am liebsten von Nikki und Jason adoptieren lassen oder will ihre Einstellung übernehmen, ihr beherztes „Ja“ zum unperfekten Leben.
Der Streamingdienst Apple TV+, der seit November 2019 existiert, überzeugt somit einmal mehr mit einer kleinen Produktion statt mit einer starbesetzten Serie wie „The Morning Show“, die die Zuschauer*innen wegen zu viel Drama, zu vielen Intrigen und spektakulären Wendungen mehr erschöpft als fesselt. Neben „Trying“ verschaffte unter anderem die amerikanische Comedyserie „Ted Lasso“ dem Streamingdienst eine treue Fangemeinschaft, trotz vermeintlich simpler Prämisse. Die erste Staffel um den gleichnamigen amerikanischen Footballcoach (Jason Sudeikis), der in England als Fußballtrainer anheuert und damit eine Reihe von Kulturschocks auslöst, wurde zuerst skeptisch aufgenommen, steigerte sich dann aber von Folge zu Folge. Auch dort zeigte sich, dass sich dank eines guten Drehbuchs mit hoher Gagdichte und liebevoll gezeichneten Charakteren sogar weniger originelle Ideen toll umsetzen lassen.