Vorratsdatenspeicherung: „Uns fehlt einfach die Verhältnismäßigkeit“

Mit dem Slogan „Big Tanson is watching you“ macht der Chaos Computer Club Lëtzebuerg (C3L) seine Kritik an der neuen Vorratsdatenspeicherung deutlich. Die woxx hat sich mit C3L-Sprecher Sam Grüneisen über Metadaten, schwammige Gesetzestexte und Drogendeals in Naturschutzgebieten unterhalten.

Sechs Monate lang müssen Internet- und Mobilfunkprovider die Metadaten von Telekommunikation in Luxemburg speichern. (Foto: Taylor Vick/Unsplash)

woxx: Der Begriff Vorratsdatenspeicherung war jetzt eine Weile aus der öffentlichen Diskussion verschwunden, obwohl die Praxis weitergeführt wurde. Was ist die Vorratsdatenspeicherung genau und warum sollte man sich als „normale*r Bürger*in“ Gedanken darüber machen?


Sam Grüneisen: Vorratsdatenspeicherung sieht in Luxemburg so aus, dass die sogenannten Metadaten von Telekommunikation sechs Monate lang gespeichert werden. Metadaten sind zum Beispiel bei einem Telefonat die Dauer, die Nummer des Anrufers, die Nummer, die angerufen wurde, eventuell auch die Software des Handys. Metadaten sind quasi alles, was nicht der Inhalt ist. Das wird sechs Monate lang gespeichert, was aber eigentlich illegal ist, denn es gibt gerade keine gültige Rechtsgrundlage dafür und über das neue Gesetz wurde noch nicht abgestimmt. Wer sich ein wenig mit dem Thema auseinandersetzt, merkt schnell, dass nur mit Metadaten Bewegungsprofile erstellt und sozusagen das ganze Leben rekonstruiert werden kann. Diese Erkenntnis war für mich persönlich der Punkt, an dem ich dem C3L beigetreten bin und mich vernetzt habe mit dem deutschen Chaos Computer Club und der europäischen Datenschutzvereinigung EDRi (European Digital Rights, Anm. der Red.). Wir kämpfen gegen die Vorratsdatenspeicherung, seit wir uns als C3L gegründet haben – leider ein Kampf gegen Windmühlen.

Als C3L benennen Sie viele Kritikpunkte an dem Gesetzesprojekt, das Justizministerin Sam Tanson kürzlich vorgestellt hat. Einer davon ist, dass die Vorratsdatenspeicherung bereits zur Aufklärung von Straftaten herangezogen werden soll, auf die lediglich ein Jahr Gefängnis steht. Aber die Daten werden doch so oder so gespeichert?


Die Justiz braucht irgendein Mittel, um Kriminalfälle aufzuklären, und die Vorratsdatenspeicherung ist eine der Möglichkeiten, die wir nicht so gut finden, weil es eigentlich Alternativen gäbe. Was uns am meisten stört, ist, dass die Vorratsdatenspeicherung verdachtsunabhängig passiert und die Daten von allen jederzeit gespeichert werden, ohne dass es einen Anfangsverdacht gibt. Unter den Straftaten, für die ein Jahr Gefängnis möglich ist, fällt auch die Beleidigung eines Abgeordneten – da fehlt uns einfach die Verhältnismäßigkeit. Wenn es um jene Taten geht, die auch die Ministerin zitiert hat, wie sogenannte Kinderpornografie oder Terrorismus, dann ist es durchaus gerechtfertigt, diese Daten abzugreifen. Aber dass sie für alle möglichen Straftaten herangezogen werden sollen, finden wir unverhältnismäßig. Das betrifft auch die Speicherdauer von sechs Monaten. Niemand hat je erklärt, warum es sechs Monate sein sollen – diese Zahl wurde einfach von der alten Regelung übernommen. Kurz zusammengefasst: Die Verhältnismäßigkeit ist nicht gegeben und jeder fällt unter die Vorratsdatenspeicherung.

Wir wissen gar nicht, wie diese Zonen bestimmt werden, wie groß sie sind, ob sie wieder verändert oder rückgängig gemacht werden können.

Künftig sollen die Daten vor allem ortsbezogen gespeichert werden – also, wo besonders viel Kriminalität herrscht. Die genauen Modalitäten sind jedoch nicht im Gesetz festgelegt, was Sie kritisieren … 


Es ist eine große Unbekannte, die Details sind unklar. Die Ministerin sagte, die Vorratsdatenspeicherung sei abgeschafft, außer in verschiedenen Zonen und dort, wo große Menschenmengen zusammenkommen. Diese Zonen sollen von einer ominösen Kommission zusammengestellt werden. Als Beispiel für eine solche Zone, wo die Kriminalität hoch ist, wird das Bahnhofsviertel in Luxemburg-Stadt genannt. Aber wir wissen gar nicht, wie diese Zonen bestimmt werden, wie groß sie sind, ob sie wieder verändert oder rückgängig gemacht werden können. Es ist auch total unklar, was „eine große Menschenmenge“ sein soll. Sind das zehn Leute, die sich in ein Bushäuschen quetschen oder müssen das 100 oder 1.000 Menschen sein? Der Gesetzestext ist sehr schwammig gehalten, sodass man alles hineininterpretieren kann. Die Ministerin meinte auch, dass an Orten, an denen nichts ist, zum Beispiel in einem Naturschutzgebiet, nichts gespeichert wird. Aber die Provider müssen künftig trotzdem die Metadaten jeder Verbindung speichern – was, wenn man sich auskennt, nicht wirklich Sinn ergibt.

Das heißt, als schlauer Drogendealer fahre ich künftig ins Naturschutzgebiet, um meine Telefonate dort abzuwickeln?


Das ist nicht so klar – man könnte ja die Überwachung damit rechtfertigen, Holzklau sei ein großes Problem in unseren Wäldern. Dadurch, dass der Gesetzestext der Justizministerin alles so schwammig lässt und keine klaren Definitionen gibt, kann man nicht endgültig sagen, wo gespeichert wird und wo nicht. Die Zusammensetzung der Kommission, die diese Zonen festlegen soll, ist auch noch nicht geklärt. Sitzen da nur Beamte, Polizisten und SREL-Mitarbeiter drin, oder könnten da auch Mitglieder der Zivilgesellschaft teilnehmen? Das ist alles unklar. Dazu kommt, dass diese Kommission nicht öffentlich sein soll und nur alle drei Jahre die Sinnhaftigkeit der Vorratsdatenspeicherung evaluieren soll.

Nach den Parlamentswahlen von 2018 sagte der Piratepartei-Abgeordnete Sven Clement der woxx, nach dem Inkrafttreten der europäischen Datenschutz-Grundverordnung sei mit dem Thema Datenschutz „kein Blumentopf mehr zu gewinnen“, daher habe die Partei das Thema nicht aufgegriffen. Warum ist es so schwierig, Menschen für das Thema Datenschutz zu gewinnen?


Datenschutz ist für viele ziemlich langweilig und unsexy. Eigentlich geht es ja um ethische Fragen: Wie weit will und kann man wessen Daten schützen? Ich kann mir schon vorstellen, dass es für viele ein langatmiges und trockenes Thema ist. Zudem wird Datenschutz oft als Vorwand benutzt, warum Dinge nicht gehen sollen – das schreckt ab.

Der Spruch errinnert an 1984, die Grafik an die „Zensursula“-Kampagne, mit der deutsche Netzaktivist*innen gegen geplante Internetsperren protestierten.
 (Grafik: C3L)

Datenschutz ist für viele ziemlich langweilig und unsexy.

Manchmal hat man das Gefühl, dass staatliche Überwachung nichts gegen jene Datenmengen ist, die große Firmen wie Google oder Facebook von uns abgreifen. Dennoch begegnen die meisten Menschen dem eher mit einem Schulterzucken, weil sie keine andere Wahl haben, um am digitalen Leben teilzunehmen.


Genau das ist es. Vor allem die jüngeren Generationen wollen, dass ihre Apps und sozialen Netzwerke einfach funktionieren. Sie wollen mit ihren Freunden in Kontakt bleiben und sich mit Apps wie Tiktok oder Instagram die Zeit vertreiben. AGBs oder Datenschutzerklärungen werden dann natürlich, ohne sie zu lesen, akzeptiert. Ich verstehe das, denn diese Dokumente sind oft sehr lang und kompliziert geschrieben, das will sich als Jugendlicher niemand antun. Datenschutz ist kein sexy Thema, besonders nicht für jene, die es am meisten betrifft – Jugendliche. Es ist relativ schwer, datenschutzsensible Positionen zu vermitteln. Diese „Es soll einfach funktionieren“-Mentalität ist aber auch in vielen Firmen verbreitet. Das merkt man am Beispiel von Videokonferenzsoftware sehr gut, hier haben sich vor allem Dienste durchgesetzt, die nicht sehr viel Wert auf Datenschutz legen.

Wie wünschen Sie sich, soll es mit der Vorratsdatenspeicherung weitergehen?


Als Erstes würden wir uns wünschen, dass die Zivilgesellschaft bei solchen Gesetzen eingebunden wird und die Standpunkte von Datenschützern gehört werden. Das könnten zum Beispiel wir als C3L sein oder die EDRi. Wir haben das Gefühl, dass bei all den Gesetzen, bei denen es um datenschutzrelevante Themen geht, nur die Polizei oder Beamte befragt werden, aber so gut wie nie eine zivilgesellschaftliche Organisation, die vielleicht viel mehr Ahnung von dem Thema hat. Begrüßen würden wir auch, wenn die Oppositionsparteien sich stärker beim Thema Vorratsdatenspeicherung einbringen und hinterfragen würden, warum so vieles in diesem Gesetz so schwammig formuliert ist. Die Abgeordneten würden aktuell die Katze im Sack kaufen, weil viele Details erst nach der Abstimmung geklärt werden. Egal, wer nach den Wahlen im Oktober an die Macht kommt: Wir wünschen uns, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen mehr in Denkprozesse und Entscheidungsfindungen im Bereich Datenschutz eingebunden werden. Es kommt uns nämlich so vor, als ob im Moment nur Menschen eingebunden sind, die immer strengere Sicherheitskonzepte befürworten. Das führt zwar nicht unbedingt zu mehr Sicherheit, aber auf jeden Fall zu mehr Überwachung.


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