Wahlen in Rumänien: Tiktok-Prediger gegen den Globalismus

Der rechtsextreme und kreml- freundliche Călin Georgescu hat Ende November die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Rumänien gewonnen. Und am vergangenen Sonntag erlangte eine Allianz rechtsextremer Parteien bei den Parlamentswahlen knapp ein Drittel der Stimmen. Einige sehen vor allem die wirtschaftliche Situation als Grund für diese Entwicklung.

Bekennt sich offen zur Tradition des rumänischen Faschismus: Der rechtsextreme Präsidentschaftskandidat Călin Georgescu nach der Stimmabgabe bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag in Mogosoaia nahe Bukarest. (Foto: EPA-EFE/ROBERT GHEMENT)

Das Ergebnis kam überraschend. Die erste Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl am 24. November hat mit dem parteilosen Agraringenieur Călin Georgescu ein rechtsextremer Außenseiter gewonnen – allerdings erhielt er lediglich 22,9 Prozent der Stimmen. Seine Herausforderin Elena Lasconi von der konservativ-liberalen Partei „Uniunea Salvați România“ („Union rettet Rumänien“; USR), die Bürgermeisterin von Câmpulung, erhielt nur 19,2 Prozent.

Niemand hatte es erwartet, dass Ministerpräsident Marcel Ciolacu von der sozialdemokratischen „Partidul Social Democrat“ („Sozialdemokratische Partei“; PSD), seit 1990 durchgängig die mächtigste politische Gruppierung, nicht in die Stichwahl gelangen würde. Dasselbe gilt für Nicolae Ciucă, Kandidat der ebenfalls konservativ-liberalen „Partidul Național Liberal“ („Nationalliberale Partei“; PNL), die mit der PSD koaliert und wegen ihrer langen Regierungsbeteiligung und ihrer vielen Bürgermeister im Land als einflussreich gilt.

Die politische Führungsschicht kann daher als abgestraft gelten. Eine Woche später dann, am vergangenen Sonntag wurde das Parlament gewählt. Dabei wurde die PSD mit 22 Prozent zwar erneut stärkste Kraft, allerdings kamen die „Alianța pentru Unirea Românilor“ („Allianz für die Vereinigung der Rumänen“; AUR) und weitere rechtsextreme Parteien zusammen auf mehr als 32 Prozent der Stimmen.

Georgescu bekennt sich offen zur Tradition des rumänischen Faschismus, möchte Rumänien näher an Russland heranführen und hat seinen Wahlkampf erfolgreich in den sozialen Medien bestritten. Vor ein paar Jahren hätte man sich Georgescu noch gut an der Seite der Atlantiker und Europa-Freunde vorstellen können, schließlich hatte er in internationalen Organisationen wie dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), deren Entwicklungsprogramm UNDP und beim „Club of Rome“ gearbeitet, bevor er 2021 an einer Hochschule in Pitești Dozent wurde. In den 2010er-Jahren war er als möglicher Ministerpräsident im Gespräch, als Spitzenkandidat bei einer Wahl hatte ihn jedoch keine Partei aufgestellt.

Bei den in Deutschland lebenden Rumänen erhielt Georgescu 68 Prozent der Stimmen.

Kandidat für das Ministerpräsidentenamt wurde er erst 2020 für die AUR unter Führung von George Simion. Seitdem fällt er immer wieder mit rechtsextremen Äußerungen auf. Neben seiner Sympathie für die Führer des rumänischen Faschismus hat er Covid-19 verharmlost und auf politische Probleme schwammige nationalistische Slogans als Antwort parat. So ist sein Credo in der Außenpolitik, er sei weder prowestlich noch prorussisch, sondern einzig und allein prorumänisch. Er nennt sich dabei selbst einen „Souveränisten“, der den Kampf gegen die „Globalisten“ führe.

Als Konsequenz aus alldem fordert er die Neutralität Rumäniens. In Anbetracht der starken Präsenz der Nato in Rumänien – der rumänische Luftwaffenstützpunkt „Mihail Kogălniceanu“ am Schwarzen Meer wird derzeit zur größten Nato-Basis in Europa ausgebaut – wäre diese Art von Neutralität wohl faktisch ein Erfolg für Russland. Daher fragen sich Kommentatoren sowohl in westlichen Staaten als auch in Rumänien angesichts des Wahlergebnisses, ob Rumäniens Integration in die Europäische Union und die Nato gefährdet sei.

Am kommenden Sonntag soll die zweite Wahlrunde stattfinden. Das Verfassungsgericht hat für eine weitere Überraschung gesorgt. Aufgrund der Klage eines der unterlegenen Kandidaten wurde eine Neuauszählung der Stimmen zur Wahl des Präsidenten angeordnet, die aber die Korrektheit des vorherigen Ergebnisses bestätigte, wie das Oberste Gericht am vergangenen Montag mitteilte. In der Öffentlichkeit wurde kurzzeitig der Verdacht laut, die PSD versuche, doch noch in die Stichwahl zu kommen, und benutze dafür die Richter, die größtenteils von ihr eingesetzt worden waren.

Der Sozialdemokrat Ciolacu hatte allerdings bereits verkündet, dass er auf die Stichwahl um die Präsidentschaft verzichten würde, sollte er nach der Auszählung auf dem zweiten Platz landen. Er möchte lieber als Ministerpräsident eine neue Regierung anführen. So wird es bei einer Wahl zwischen den beiden bisherigen Außenseitern Georgescu und Lasconi bleiben. Sie sind in gesellschaftspolitischer Hinsicht die Antipoden im rumänischen Parteiensystem: er Nationalist oder „Souveränist“; sie Liberale, die sich betont proeuropäisch gibt und deren Partei im Europaparlament der liberalen Fraktion angehört.

Auf die Frage, warum Georgescu so gut abgeschnitten hat, gab es mehrere Antworten. Ein Kommentator der rumänischen Nachrichtenplattform „G4Media“ sprach polemisch von einem „Tiktok-Prediger“ für Leute, die keine Bücher zu Hause hätten. Auf der linken, universitär geprägten, rumänischen Plattform „Criticatac“ stellte der Soziologe Norbert Petrovici fest, Georgescus Wähler kämen tendenziell aus Regionen, die nach dem Ende des Realsozialismus deindustrialisiert wurden und heutzutage weniger ausländisches Kapital anziehen als der Durchschnitt des Landes. Sie seien eher in der berufstätigen Altersgruppe und weniger unter Rentnern zu finden.

Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation scheint auch die Rumänen zu erfassen, die ihr Glück im Ausland suchen und offenbar häufig nicht finden. Bei den in Deutschland lebenden Rumänen erhielt Georgescu 68 Prozent der Stimmen. Die Wähler der Liberalen Lasconi dagegen kommen überdurchschnittlich oft aus wachsenden urbanen Regionen Rumäniens, in denen auch häufiger die Niederlassungen ausländischer Unternehmen anzutreffen sind. Hier glaubt man wohl eher daran, von der Globalisierung profitieren zu können.

Der Schriftsteller Vasile Ernu hat der rumänischen Tageszeitung „Libertatea“ berichtet, dass er seit der Covid-19-Pandemie eine sichtbare Entfremdung vieler Menschen vom Staat beobachtet habe. Es sei in vielen Dörfern zu sehen gewesen, wie wenig Schutzmaßnahmen und Anordnungen respektiert und befolgt wurden. Dafür machte Ernu die Zumutungen der vergangenen 34 Jahre Kapitalismus verantwortlich. Die Pandemiezeit wäre demnach ein Katalysator für eine tiefsitzende Unzufriedenheit gewesen. Das passt zum Aufstieg der AUR, die mit Protesten gegen Pandemiemaßnahmen wuchs und ins Parlament gewählt wurde. Deren Vorsitzender Simion empfiehlt nun die Wahl Georgescus, obwohl dieser vor einigen Jahren wegen seiner lobenden Bemerkungen über rumänische Faschisten aus der Partei geworfen wurde.

Andere Politiker halten sich mit Empfehlungen noch bedeckt. Derweil demonstrieren in vielen Großstädten des Landes vor allem junge Menschen, die auf Plakate „Nieder mit dem Faschismus“ geschrieben haben und ihren Wunsch bekunden, den Weg der europäischen Integration nicht zu verlassen. Neben rumänischen Fahnen wird auch das blaue Banner der EU geschwenkt. Zwar sieht die rumänische Verfassung das Parlament als die stärkste Institution vor, doch hat der Präsident vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik mitzureden. Die meisten internationalen Verhandlungen führt der Präsident, nicht der Ministerpräsident.

Rumäniens Rolle als Standort für Nato-Basen am Schwarzen Meer stünde bei einem Sieg Georgescus genauso zur Disposition wie die Abwicklung des ukrainischen Getreidehandels über die Hafenstadt Constanța.

Rumäniens Rolle als Standort für Nato-Basen am Schwarzen Meer stünde bei einem Sieg Georgescus genauso zur Disposition wie die Abwicklung des ukrainischen Getreidehandels über die Hafenstadt Constanța. Die zweite Runde der Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag hält daher nicht nur die Politiker in Bukarest, sondern auch in Kiew und beiderseits des Atlantiks in Atem.


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