Was treibt Sie an? Herausfinden, was man zu sagen hat

Suzan Noesen arbeitet an der Schnittstelle von Installationskunst, Fotografie, Film und Malerei. Wir haben uns mit der Künstlerin darüber unterhalten, was sie am multidisziplinären Arbeiten schätzt und woraus sie Inspiration zieht.

„Für mich war es wichtig, mich von einer Orientierung an Trends oder angeblich objektiven Qualitätsstandards zu lösen“ – Suzan Noesen. (© Pierre Weber)

woxx: Im Cape Ettelbrück ist zurzeit Ihre Ausstellung „Labyrinth der gestischen Tropen“ zu sehen. Wovon handelt sie?


Suzan Noesen: Bei diesem neuen Projekt geht es um Gruppendynamiken und soziale Rollen. Die Ausstellung besteht aus einer großen Installation, die als Bühne fungiert, auf der die Besucher ihren eigenen Standpunkt und ihre Assoziationen zu verschiedenen sozialen Rollen spielerisch hinterfragen. Die Fragen, denen ich nachgegangen bin: Wird das Verhältnis zwischen Menschen gerechter, wenn man die Rollen wechseln kann? Hat nicht jeder letztendlich eine bestimmte Komfortzone und wird die Gruppe durch den Rollentausch nicht nur gerechter, sondern auch ineffizient? Welche ungeheuren blinden Flecken hat man aufgrund der fehlenden Erfahrung der anderen Rollen und muss man in dieses Unwissen eintauchen? Welche Fähigkeiten müssten wir in unserem Gehirn und Körperumgang entwickeln, damit das funktionieren könnte?

Sie arbeiten meist multidisziplinär. Wie kam es dazu?


Ich habe mich schon als Kind für diverse Kunstformen interessiert: Literatur, Musik, Theater, Zeichnen. In der Schule gab es nichts Schöneres für mich, als einen Aufsatz verfassen zu dürfen. Ich wollte dann immer gleich ein ganzes Buch schreiben. Auch die Idee, etwas in Szene zu setzen, hat mich von klein auf fasziniert. Wirklich konkrete Vorbilder hatte ich allerdings nicht, als ich mich für ein Kunststudium bewarb. An der Kunstakademie habe ich dann erst einmal alle möglichen Kunstformen ausprobiert – Malerei, Installation, Fotografie, Film, Gesang – und habe dann sehr schnell Perfomancekunst für mich entdeckt. Was mich daran reizt, ist die Arbeit mit dem Körper und wie man mit ihm denken kann. Von dem Zeitpunkt an, habe ich multidisziplinär gearbeitet. An der Akademie wurde mir allerdings geraten, mich auf eine Kunstform zu beschränken. Damals hatte auch ich das Gefühl, mich für eine Disziplin entscheiden zu müssen, um eine professionelle Karriere anstreben zu können. Ich merkte aber, dass meine Kreativität darunter litt. Nach dem Studium habe ich deshalb wieder anfangen, mit unterschiedlichen Medien zu arbeiten.

Welchen Zweck haben die unterschiedlichen Kunstformen für Sie?


An der Arbeit mit verschiedenen Medien finde ich spannend, dass dadurch ganz unterschiedliche Assoziationen kombiniert werden können. Ich erstelle gerne metaphorische Zusammenhänge mit mehreren Ebenen. Ein Ton schafft eine bestimmte Atmosphäre, diese kann wiederum auf der Bildebene ergänzt werden. Ein Medium kann die Wirkung des anderen verstärken, es kann ihr aber auch widersprechen. Ich versuche da, möglichst intuitiv zu arbeiten, und strebe keine technische Perfektion in den einzelnen Bereichen an. Im Zentrum jeder meiner Arbeiten steht ein Thema, das mich interessiert, dem ich mich mithilfe der einzelnen Medien annähere. Der Kern des Werks ergibt sich dann aus dieser Kombination. Deshalb werden es am Ende meist Installationen, in denen verschiedene Medien eine bestimmte Atmosphäre im Raum definieren. In dem Sinne ist die eigentliche Arbeit das, was zwischen den Objekten und den Betrachtern passiert. Film ist für mich das Medium, mit dem ich etwas erzähle und Metaphern einsetze, die dieser Erzählung dienen. Bildende Kunst dagegen ist für mich eher mit einer Recherche zu vergleichen, wo ich oft bis zuletzt nicht weiß, wie das Endergebnis aussehen wird. Mein Antrieb liegt da eher auf der Gefühlsebene als im Rationalen.

Was reizt Sie am Künstler*innen-
dasein?


Ich habe das Gefühl, in der Kunst Dinge kombinieren zu können, wie es in keiner anderen Berufssparte möglich wäre. Ich kann meinen Intellekt entwickeln und Themen erforschen, ohne das Sinnliche, Körperliche und Intuitive ausklammern zu müssen. In meiner Kindheit und Jugend habe ich mich nie über meinen Intellekt definiert. Schon allein deshalb, weil mir vermittelt wurde, dass er nicht mit bestimmten Aspekten von Weiblichkeit einhergehen kann. Ich hatte oft das Gefühl, mich entscheiden zu müssen: Entweder ich bin eine sinnliche Frau oder ich bin intelligent. In dem Sinne schätze ich es, mich in der Kunst sowohl mit meinem Intellekt als auch mit der sinnlichen Wahrnehmung auseinandersetzen zu können.

© Pierre Weber

Das Schlimmste ist, eine tolle Karriere vorzuweisen, ohne das gemacht zu haben, was man eigentlich wollte.

Haben Sie während dem Schaffensprozess potenzielle Rezipient*innen vor Augen?


Ich habe viele Rezipienten vor Augen, was aber eher kontraproduktiv ist, wenn es sich dabei um potenzielle Kritiker handelt. Was Rezipienten allgemein betrifft, so hoffe ich stets, mit meinen Arbeiten ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Ich denke bei bildender Kunst zugegebenermaßen nicht darüber nach, ob meine Werke zugänglich sind, weil das äußerst subjektiv ist. Es existieren sehr viele unterschiedliche Zugänge zu Kunst und es gibt meiner Meinung nach Wichtigeres, als dass alles auf den ersten Blick rational verstanden und eingeordnet werden kann. Bei bildender Kunst interessiert mich gerade deshalb, was hinter der Repräsentation steckt. In dem Sinne geht es mir mit meiner eigenen Kunst nicht darum, mein Thema mit einer plakativen Botschaft zu vermitteln. Dann würde ich mit den gleichen Mitteln wie zum Beispiel Werbung arbeiten, ohne sie zu dekonstruieren. Mir geht es darum, den Rezipienten einen Raum zum Nachdenken anzubieten und sie sich ihrer eigenen Gedanken und Gefühle sowie ihrer Beziehung zur Umwelt bewusst werden zu lassen. Ich folge beim Zusammenstellen meiner Arbeiten einem eigenen Regelwerk und versuche, mich nicht allzu sehr an ästhetischen Codes zu orientieren. Die Vorstellung, mit meiner Kunst ausschließlich Menschen aus der Kulturszene zu erreichen, löst bei mir oft die Frage nach dem Sinn meiner Arbeit aus. Inspirierend ist dagegen das Gefühl, mit meiner Kunst Menschen zu erreichen, die nicht nur aus beruflichen Gründen Ausstellungen besuchen. Das ist im Bereich der bildenden Kunst sehr viel schwerer als etwa mit Film. Film ist in dem Sinne eine demokratischere Kunstform.

Sie haben vorhin Ihre Angst vor negativem Feedback angesprochen. Beeinflusst diese Ihr Schaffen oder können Sie sie erfolgreich ausblenden?


Ich denke, dass die meisten freischaffenden Künstler mit ihrem inneren Kritiker zu kämpfen haben. Der Kunstbereich ist ein äußerst hartes Feld. An der Kunstakademie wurde uns immer wieder eingetrichtert, dass nur die Allerwenigsten von ihrer Kunst leben können. Einerseits war das gut, weil es uns jegliche Illusionen genommen und uns mental auf ein Leben in Prekarität vorbereitet hat. Andererseits fördert diese Angstmacherei nicht gerade die Kreativität. Bei mir wirken sich diese Selbstzweifel durchaus auf meine Arbeit aus, weil sie mich bremsen. Ein anderer Aspekt, der uns während des Studiums eingetrichtert wurde, waren die Dos and Don’ts der Kunst. Für mich war es wichtig, mich von einer solchen Orientierung an Trends oder angeblich objektiven Qualitätsstandards zu lösen. Stattdessen gilt es herauszufinden, was man selbst zu sagen hat und wo die eigenen Interessen liegen. Meine Selbstzweifel haben im Laufe der Jahre abgenommen, ich fühle mich zurzeit freier denn je. Auch weil ich den Druck, eine internationale Karriere vorweisen zu müssen, mehr relativieren kann. Längerfristig will ich schon auch im Ausland aktiv sein, aber ich sehe das nicht mehr als Priorität. Wichtiger ist mir, mir selbst treu bleiben zu können, mit dem Hier und Jetzt zu arbeiten und mich mit der Arbeit auf ein konkretes gesellschaftliches Lebensumfeld beziehen zu können. Das Schlimmste ist, eine tolle Karriere vorzuweisen, ohne aber das Gefühl zu haben, das gemacht zu haben, was man eigentlich wollte.

Letzteres wiederum ist mit sehr vielen Risiken verbunden.


Ganz klar. Hat man Erfolg mit einer Arbeit, ist die Verlockung groß, bei diesem Stil zu bleiben. Oft bleibt dann keine Zeit, um sich mit Neuem auseinanderzusetzen. Oder es fehlt an dem nötigen Mut: Neue Themen und Medien auszuprobieren, ist immer Neuland. Oft muss man neue Kompetenzen erwerben, Kontakte knüpfen, Kontexte erschließen, eine neue Vision erschaffen. Das ist erst mal ein Sprung ins Leere. Ich finde aber gerade das spannend.

Suzan Noesen wurde in Luxemburg geboren. Sie studierte Freie Bildende Kunst an der KABK Den Haag und der HGB Leipzig und arbeitet seit 2017 in Luxemburg. Ihre Ausstellung „Labyrinth der gestischen Tropen“ ist noch bis zum 20. März im Centre des Arts Pluriels Ettelbrück (Cape) zu sehen. Weitere Infos zu Noesens Arbeiten finden Sie unter www.suzannoesen.com.Im Rahmen der Reihe „Was treibt Sie an?“ präsentieren wir einmal im Monat ein Interview mit einer Person, die sich außerhalb einer politischen oder aktivistischen Laufbahn für eine gerechtere Welt einsetzt.

Im Rahmen der Reihe „Was treibt Sie an?“ präsentieren wir einmal im Monat ein Interview mit einer Person, die sich außerhalb einer politischen oder aktivistischen Laufbahn für eine gerechtere Welt einsetzt.

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