Seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine ist ein Satellit ausgefallen, mit dem Windenergieanlagen ferngesteuert werden. Auch in Luxemburg sind Windmühlen betroffen.
„Erneuerbare Energien sind die Energien des Friedens. Bei einer Windmühle, bei einer Solaranlage, da kann niemand erpresst werden, so wie wir das gerade bei den fossilen Energien sehen.“ Mit diesen Worten bekräftigte Energieminister Claude Turmes (Déi Gréng) am vergangenen Montag auf einer Pressekonferenz zum „Energiedësch“ den Einsatz der Regierung für erneuerbare Energien. Obwohl die Aussage zunächst einleuchtend erscheint, gibt es ein aktuelles Gegenbeispiel: Tausende Windkraftanlagen in Europa sind im Moment nicht aus der Ferne steuerbar. Auch in Luxemburg sind Windmühlen von den Auswirkungen eines Satellitenausfalls, der vermutlich auf den Cyberkrieg zurückgeht, betroffen.
Einige Stunden vor Turmes‘ Aussagen twitterte ein Mitarbeiter einer deutschen Windkraftfirma, mindestens 3.000 Windkraftanlagen in der Bundesrepublik seien gehackt worden. Durch Schadsoftware seien die Satellitenrouter lahmgelegt worden und die Windmühlen somit offline. Der Ausfall habe kurz nach dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine begonnen. Dieses Schreckensszenario bestätigte sich zum Glück nicht: Nicht die Windkraftanlagen, sondern der Satellit, über den sie ferngesteuert werden, ist außer Betrieb.
Luxemburgische Windkraftanlagen nicht erreichbar
Das bestätigte mittlerweile auch der Hersteller Enercon, der sich auch um die Wartung der Windenergieanlagen (WEA) kümmert. Durch „eine massive Störung der Satellitenverbindung in Europa“ sei derzeit die Fernüberwachung und -steuerung tausender Windkraftanlagen nur eingeschränkt möglich. „Betroffen von dem Verbindungsausfall sind seit Donnerstag (24. Februar) insgesamt 5.800 WEA in Zentraleuropa mit einer Gesamtleistung von elf Gigawatt. Eine Gefahr für die WEA besteht nicht“, schreibt das Unternehmen in einer Pressemitteilung.
Der ausgefallene Satellit „KA-SAT 9A“ soll eigentlich für Internetverbindungen in Europa und im Mittelmeerraum sorgen, ist aber seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine nicht mehr zu erreichen. Zunächst schien der Ausfall lediglich die Ukraine zu betreffen, wenig später war dann ganz Europa betroffen, wie der Betreiber Viasat dem Internetportal Golem.de bestätigte.
Die Auswirkungen sind auch in Luxemburg zu spüren. „Von den aktuell 31 Windkraftanlagen, die wir betreiben, sind nur noch sechs erreichbar“, sagte Paul Zeimet, Administrateur délégué der Windkraftfirma Soler, der woxx am Telefon. 25 Windmühlen der Firma sind demnach nicht fernsteuerbar und laufen im Automatikmodus. Sie produzierten aber weiter Strom und es bestehe keine Gefahr für Mensch, Umwelt oder die Anlagen selbst. „Wir sehen nur nicht mehr automatisch, wenn es Probleme gibt. Deswegen setzen wir nun vermehrt unsere technische Mannschaft ein, um zu schauen, ob die Anlagen laufen. In Luxemburg ist es zum Glück relativ einfach, die Windmühlen wortwörtlich ‚im Auge‘ zu haben“, so Zeimet weiter.
Piep Piep, kleiner Satellit
Windkraftanlagen laufen im Regelfall automatisch und schalten sich bei Sturm oder dem Aufkommen von Fledermäusen selbstständig ab. Das „Supervisory Control and Data Acquisition“-System (Scada), auf Deutsch etwa „Überwachung, Steuerung und Datenerfassung“, dient vor allem dazu, Probleme zu erkennen und bei Bedarf einen Neustart des Systems durchzuführen. In Deutschland werden die Windmühlen auch manchmal abgeschaltet, wenn es zu Negativpreisen am Strommarkt kommt. Das komme in Luxemburg nicht vor, so Zeimet.
Doch warum werden Windkraftanlagen überhaupt per Satellit ferngesteuert? „Dadurch, dass wir in der Grünzone sind, ist es gar nicht so einfach, in der Nähe einen Telefonanschluss für eine DSL-Leitung zu finden“, erklärt Guy Uhres von Soler im Telefongespräch mit der woxx. „Die sechs Anlagen, die wir erreichen, sind über die Telefonleitung angebunden.“ Eine mögliche Erklärung, warum Enercon auf die Satellitenverbindung setzt: Es ist an den Standorten von WEA oft die einzige Möglichkeit, eine stabile Internetverbindung zu erhalten. Mobilfunk mag es in Luxemburg so gut wie überall geben, in anderen Teilen Europas sind Funklöcher omnipräsent.
Soler werde nun erst einmal die eigenen Windkraftanlagen beobachten, denn Probleme könne man gut „auf Sicht“ erkennen. Man warte ab, ob Enercon mit dem Satellitenbetreiber eine Alternative auf die Beine stellen oder das Konnektivitätsproblem lösen könne. Mittel- oder langfristig sei aber auch vorstellbar, dass die Windmühlen eine Internetverbindung über das Handynetz bekämen – damit wäre man vom Satelliten unabhängig.
Grundsätzlich gebe es aber selten Probleme mit den Windkraftanlagen, so Zeimet. Enercon garantiere eine Verfügbarkeit von 97 Prozent. „Wir hatten 2021 eine technische Verfügbarkeit von 98,4 Prozent, sodass wir sagen können, dass unsere Anlagen sehr gut laufen.“ Ein- bis zweimal im Jahr müsse jemand physisch nach den Windmühlen schauen, aber grundsätzlich funktioniere alles autonom. Das liege auch an dem modernen „Fuhrpark“ von Soler, erklärt Zeimet. Aktuell würden auch Anlagen „repowered“. Damit ist gemeint, dass alte Anlagen – oder Teile davon – ersetzt werden, im Allgemeinen durch höhere und neuere. Dadurch wird meistens die Stromproduktion erhöht, oft sind die neuen Anlagen auch leiser.
Kritische Infrastruktur als Kollateralschaden
In Europa sind nun also seit Beginn des Krieges in der Ukraine tausende Windkraftanlagen nicht mehr fernsteuerbar. Obwohl das durch den Automatikmodus nicht so bedrohlich ist, wie es klingt, ist durchaus die Energieversorgung durch einen – vermutlichen – Cyberangriff betroffen. Enercon ist in Kontakt mit dem deutschen Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, handelt es sich bei der Energieerzeugung doch um eine kritische Infrastruktur. Als solche gelten die Luxemburger Windkraftanlagen jedoch nicht – das Großherzogtum ist nach wie vor auf Stromlieferungen aus dem Ausland angewiesen. Der Stromanteil, der in Luxemburg aus erneuerbaren Quellen gewonnen wurde, entspricht nur 15,6 Prozent des nationalen Verbrauchs. Das geht aus dem Jahresbericht 2020 des Institut Luxembourgeois de Régulation, der im Oktober 2021 veröffentlicht wurde, hervor.
Es ist davon auszugehen, dass der Ausfall des Satelliten durch einen sogenannten „Cyberangriff“ ausgelöst wurde. Die Ukraine hat auf jeden Fall den Ausfall des Satelliteninternets beklagt – Vize-Premier Mychajlo Fedorow hat sogar Space X-Chef Elon Musk auf Twitter um Terminals für dessen „Starlink“-Satelliteninternetangebot angefragt. Dieser Fakt, gemeinsam mit dem Zeitpunkt, lässt vermuten, dass der Angriff auf „KA-SAT 9A“ von russischer Seite ausging. In der Vergangenheit gab es immer wieder „Cyberangriffe“ auf Ziele in westlichen Staaten, hinter denen russische Geheimdienste oder staatsnahe russische Hacker*innen vermutet wurden. Auch die Ukraine war öfters im Fadenkreuz, bereits 2017 wurde die In- frastruktur von Banken und Flughäfen angegriffen.
Die Windkraftanlagen, die nun nicht mehr ferngesteuert und -überwacht werden können, sind vermutlich eher ein „Kollateralschaden“ der digitalen Kriegsführung. Es zeigt sich aber ganz deutlich, dass es auch bei der Erzeugung erneuerbarer Energie durchaus Abhängigkeiten geben kann, etwa vom Hersteller, vom Satellitenbetreiber oder vom Internetanbieter. In einer rundum vernetzten Welt ist es gar nicht so einfach, nicht erpressbar zu sein.