ANDRES VEIEL: Die Scherben der Schergen

„Wer, wenn nicht wir“ erörtert Urszenen des deutschen Linksterrorismus. Ein interessanter Ansatz, geht es doch darum zu verstehen, wie aus ursprünglich Rechtsstehenden linke Terroristen werden konnten.

In Andres Veiels Film spielt die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps (links im Bild) eine nicht unwichtige Nebenrolle als Dörte, die erste Freundin Bernward Vespers.

Zugegeben, nach Bernd Eichingers Monumentalepos „Baader-Meinhof-Komplex“ noch einen RAF-Film zu drehen, erscheint in erster Hinsicht als müßiges Unterfangen. Doch Andres Veiels „Wer wenn nicht wir“ versucht zumindest, das wiedergutzumachen, was Eichingers Film verdorben hat: Statt die RAF zu einem Pop-Phänomen aufzublasen, geht er den Ursprüngen des linken Terrors nach und deckt auf, wie es dazu kommen konnte, dass die Nachkriegsgeneration zu den Waffen griff und ähnlich menschenverachtende Thesen vertrat wie die, die sie bekämpfte. Als Autor des vielbeachteten Dokumentarfilms „Black Box BRD“ hat Veiel definitiv genug Erfahrung, um der RAF differenziert zu begegnen.

Die Hauptfigur des Films ist eigentlich ein Unbekannter in RAF-Kreisen und war genau genommen nie ein Terrorist: Bernward Vesper, Verlobter von Gudrun Ensslin, Verleger und Lektor. Doch in dieser Randgestalt kristallisieren sich die Widersprüche, die später zu den Aktionen der RAF führen sollten. Seine Verbindung zur RAF-Geschichte wurde vor allem in Gerd Koenens Buch „Vesper Ensslin Baader – Urszenen des deutschen Terrorismus“ thematisiert.

Bernward Vesper ist der einzige Sohn von Will Vesper, einem Schriftsteller, der sich ganz dem Nationalsozialismus verschrieben hatte und nach dem Krieg weitgehend geächtet ist. So wächst Bernward auf einem abgelegenen Gut in Niedersachsen auf, immer unter der ideologischen Fuchtel seines Vaters und umgeben von Ewiggestrigen, mit denen die Familie weiterhin regelmässigen Umgang pflegt. Der Heranwachsende entwickelt eine sehr zwiespältige Beziehung zum Vater. Einerseits eifert er ihm nach und will ebenfalls Schriftsteller werden, andererseits fühlt er sich von ihm und seiner Vergangenheit – etwa seiner Beteiligung an den Bücherverbrennungen – angewidert. So kommt es, dass er den Konflikt mit dem Vater und seiner Generation total internalisiert. Noch Jahrzehnte später werden ehemalige Weggefährten den „Hitler-in-mir“ Katzenjammer Vespers beklagen.

Eine, die Verständnis zeigt für dieses problematische Erbe, ist die spätere RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Die beiden begegnen sich im Universitätsstädtchen Tübingen, in der schwäbischen Provinz, und Bernward scheint keine Mühe zu haben, die Tochter eines evangelischen Pfarrers für sich zu gewinnen. Schnell schmieden die beiden eigene Pläne: Ein Verlag soll gegründet werden, denn Bernward hat seinem Vater das Versprechen gegeben, sein Werk neu zu verlegen. Auch Ensslin scheint, zumindest am Anfang, Gefallen an der Idee zu finden, den Nazidichter wieder publik zu machen. Hinweise darauf sind Briefe und Essays, in denen sie Vesper in einem Atemzug mit ebenfalls wiederauferstandenen braunen Literaten, wie Céline oder Emile Cioran, nennt.

Doch bald müssen die beiden einsehen, dass das Vorhaben ökonomisch nicht funktioniert, denn das Interesse an den Texten Vespers ist minimal. So kommen sie mehr aus wirtschaftlichen Gründen dazu, linksextreme Texte und Pamphlete zu veröffentlichen. Langsam aber sicher gleiten sie immer tiefer in den Maelstrom radikalen Gedankenguts, das Ende der 60er auch die deutschen Intellektuellenkreise zunehmend ergreift.

Als sie schliesslich Tübingen verlassen, um in die Frontstadt Berlin zu ziehen, sieht es noch eine Weile gut aus für das Paar: Bernward ist Lektor beim boomenden Voltaire-Verlag, sie eine erfolgsversprechende Doktorandin und junge Mutter. Aber bald verlieren sich die beiden in den Wirren Berlins. Angeekelt von Bernwards Seitensprüngen, verliebt sich Ensslin in Andreas Baader, einen großmäuligen, playboyhaften Nichtstuer, der mit der intellektuellen Szene und der Theoretisierung des gesellschaftlichen Kampfes, um die sich viele bemühen, nichts zu tun hat. Sie verlässt Bernward schliesslich und zündet wenig später zusammen mit Baader in Frankfurt ein Kaufhaus an. Vesper driftet langsam in den Wahnsinn ab, der ihn 1971 in den Selbstmord treibt. Sein unvollendet gebliebener Romanessay „Die Reise“ erscheint erst 1977, dem Jahr, in dem Ensslin in Stammheim durch Selbstmord endet. Als „Nachlass einer Generation“ hat das Buch große Wirkung gehabt; im Kern ist der Essay, in den sehr Disparates eingeflossen ist, die verzweifelte autobiographische Erkundung eines Menschen, der sich selbst nicht mehr fassen kann.

Mit „Wer wenn nicht wir“ geschieht der Geschichte der RAF eine Art Gerechtigkeit. Baader zum Beispiel ist hier kein poppiger Moritz Bleibtreu, sondern eine androgyne Gestalt, die ihre Umgebung mit ihren Launen terrorisiert. Und auch Ensslin ist keine Terrorikone, sondern eine eher unreife, selbstgerechte, oft pöbelnde junge Frau, die ihre moralischen Ansprüche über alles stellt und genau daran zugrunde geht.

An sich ist es gut, wenn sich die 68er Generation auch mal kritisch mit der eigenen Vergangenheit befasst, denn das was sie politisch verursacht haben – neben der „sexuellen“ Befreiung auch Hartz IV und das Kosovo-Bombardement – unterscheidet sich doch von den hehren Ansprüchen von damals.

Im Utopia.


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