RAY LAWRENCE: Liebe ist manchmal nicht genug

„Lantana“ ist ein düsterer Thriller – aber noch viel mehr ein Film über die Schwierigkeit zu lieben und bereits verloren gegangenes
Vertrauen zurückzugewinnen.

Langsam gleitet die Kamera durchs Gestrüpp, es knistert und knackt, Vögel singen. Schon in den ersten Sekunden wird klar, hier ist etwas
Unheimliches passiert. Als Nächstes erspäht das Kameraauge den Körper. Eine tote Frau liegt, seltsam verdreht und blutig, ohne Schuhe im Gebüsch.

Statt des Vogelgezwitschers dann Gestöhne, ein abrupter Orts- und Zeitwechsel: Ein Paar, beide in den Vierzigern, hat Sex. Offensichtlich ist
es das erste Mal, dass sie zusammen im Bett landen, denn ihr Abschied wirkt unbeholfen, fast ein wenig peinlich. Der Mann im Bild ist der Polizist Leon (Anthony LaPaglia), der kurz darauf mit dem Fall der verschwundenen Frau, einer gewissen Psychologin mit dem Namen Valerie, beauftragt wird.

Seine Ermittlungen führen ihn immer tiefer in ein Labyrinth zwischenmenschlicher Heimlichkeiten und Vertrauensbrüche, zu dem auch er gehört:
Seine Frau Sonja (Kerry Armstrong) war, wie sich noch herausstellen wird, eine der letzten PatientInnen der Toten. Weil sie sich – zu Recht –
von ihrem Mann Leon betrogen glaubte, hatte sie sich Hilfe suchend an die renommierte Psychologin gewandt.

In ruhigen und gefühlvollen Bildern erzählt der australische Regisseur Ray Lawrence die Geschichte einer Handvoll Menschen in der Mitte ihres
Lebens, deren Schicksale über die tote Frau im Gebüsch miteinander verwoben sind. Als Vorlage diente dem renommierten Werbefilmer das Theaterstück „Speaking in Tongues“ von Andrew Bovell.

So verzweigt wie das australische Kraut „Lantana“, das dem Film seinen Namen gibt, entspinnt sich das Beziehungs-Geflecht. Ganz allmählich
und im Rückblick wird deutlich, wer mit wem wie zusammenhängt. Die Psychologin Valerie (Barbara Hershey) mit der Frau des Polizisten, die in
deren unglücklicher, von Misstrauen geprägter Ehe ein Spiegelbild ihrer eigenen Beziehung fand. Denn seit dem Tod der gemeinsamen Tochter hatten Valerie und ihr Mann kaum noch miteinander gesprochen, statt einander mit Liebe und Trost zur Seite zu stehen, gaben Misstrauen und Entfremdung den Ton an.

Auch Jane (Rachael Blake), der heimliche Seitensprung des Polizisten, hat Beziehungsprobleme. Seit kurzem von ihrem Mann getrennt, versucht
sie ihr Leben neu zu ordnen – und landet gleich in der nächsten Schwermut. Denn ihr Lover Leon bleibt trotz Midlife-Crisis und Ehe-Frust für
sie unerreichbar.

„Vertrauen ist das Wichtigste in einer Beziehung“, hatte die Analytikerin Valerie gesagt. Und der Verlust jener zerbrechlichen Kostbarkeit
ist auch das Thema von diesem Film Noir. Menschen, die sich lieben, verletzen einander. In „Lantana“ hat jedeR diese Verletzungen erfahren –
und auch selber verletzt. Zurück bleiben Misstrauen, Kontrolle und (Verlust-)Angst, erkennbar in den Blicken und Gesten der ProtagonistInnen
sowie kurzen, aber einprägsamen Dialogen. Diese wirken zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt.

Wenn Valeries Gatte John (Oscar-Preisträger Geoffrey Rush) zu Leon sagt: „Manchmal ist Liebe einfach nicht genug“, dann offenbart sich in diesem einen Satz das ganze Dilemma, das es bedeutet, einen Menschen zu lieben und in Beziehung zu sein – und ihn oder sie dennoch zu verletzen.
Oder wenn der verhärtete Macho-Polizist angesichts der Ereignisse um ihn herum und seiner eigenen Täuschungen am Ende der Ermittlungen in verzweifelte Tränen ausbricht, dann erst wird deutlich, wie tief seine Depression gegangen sein muss und wie undurchdringlich der Schutzpanzer
war, der zwischen ihm und seiner Familie stand.

Es ist der Ebenbürtigkeit der verschiedenen DarstellerInnen zu verdanken, dass eine besonders intensive zwischenmenschliche Atmosphäre entsteht. Diese besteht zum einen in hervorragenden Schauspielerleistungen. Zum anderen entsteht sie dadurch, dass jede Figur Platz für die jeweils eigene (Leidens*)Geschichte bekommt. Und diese Stimmung ist es auch, die das Publikum in ihren Bann schlägt, es immer tiefer ins verworrene Geschehen hineinzieht, bis es selbst bestimmte Charaktere des Mordes verdächtigt – und darin irrt, wie die ProtagonistInnen auch.

So wird aus einem Thrillerstoff letztlich ein vielschichtiges, wenn auch düsteres Psychogramm von langjährigen EhepartnerInnen – und den ZuschauerInnen.


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