ANG LEE: Brokeback Mountain

Einfühlsam inszeniert, brillant interpretiert: Der als schwuler Western gehypte Brokeback Mountain überzeugt auf der ganzen Linie.

Karge Felslandschaften mit schroffen Abhängen, unberührte Wälder, Wiesen so weit das Auge reicht. Und über alles spannt sich, mächtig und zum Greifen nah, ein tiefblauer Himmel. Ang Lee nimmt sich viel Zeit, um die grandiose Kulisse zu entwerfen, vor der sich zwei Cowboys treffen und lieben.

Als Ennis Del Mar (Heath Ledger) und Jack Twist (Jake Gyllenhaal) auf entlegenen Weidegründen am Fuß des Brokeback Mountain Schafe hüten, entwickelt sich aus verstohlenen Blicken und zweideutigen Balgereien ein homoerotisches Verlangen, das beide überrascht: „You know I ain’t queer. – Me neither.“ Fernab aller gesellschaftlichen Zwänge findet ihre Leidenschaft Erfüllung. Die Idylle währt jedoch nicht lange. Ennis kehrt in seine Kleinstadt zurück, in der eine Braut auf ihn wartet, Jack macht sich auf den Weg nach Texas, heiratet ebenfalls. Doch als sie sich vier Jahre später wieder sehen, haben sich ihre Gefühle nicht geändert.

Zu Recht wurden Heath Ledger und Jake Gyllenhaal für die Oscars des besten Haupt- und Nebendarstellers nominiert. Vor allem Ledger glänzt in seiner Rolle als
einfach gestrickter Tagelöhner Ennis, den ein unsichtbarer Schleier aus Trauer und Schuldgefühlen gefangen hält. Hinter seinen Stirnfalten und seinen leicht zusammengekniffenen Augen spürt man förmlich wie er mühsam nach Worten ringt, in die er seine Gefühle fassen kann – Gefühle, die eigentlich gar nicht sein dürften und die der nuschelnde Cowboy am liebsten runterschlucken würde. Nicht zuletzt dank dieser schauspielerischen Leistungen, allesamt auf höchstem Niveau, überragt Brokeback Mountain das meiste, was an Filmen in den vergangenen Monaten im Kino zu sehen war.

Trotz all seiner künstlerischen Qualitäten hat der kommerzielle Erfolg von Brokeback Mountain viele überrascht. Nicht nur die üblichen Kritiker aus dem konservativ-christlichen Lager, die schon bereit standen, in einer prämierten, doch vom Publikum verschmähten Cowboyromanze den Beweis dafür zu sehen, wie weit sich das liberale Hollywood vom gesunden Empfinden des bodenständigen Amerika entfernt habe. Dabei liegt der Grund für die breite gesellschaftliche Akzeptanz auf der Hand: Brokeback Mountain ist ein äußerst straighter Liebesfilm. Natürlich werden Geschlechterrollen hinterfragt und die Codes des – eh schon zu Tode dekonstruierten – Westerngenres samt Marlboro-Ästhetik ein weiteres Mal offen gelegt. Doch geht es Lee in erster Linie darum, die ergreifende Geschichte einer tragischen Liebe zu erzählen, der nur der Tod ein Ende zu setzen vermag. Ganz im Stil klassischer Liebesdramen, doch ohne Sentimentalität, ohne Schwarzweiß-Malerei. Denn Ennis und Jack sind nicht nur die Opfer eines homophoben, dem unbarmherzigen Gesetz der Männer gehorchenden Umfeldes, sondern vergehen sich ihrerseits an ihren Angehörigen, denen sie die eigene schmerzvolle Lebenslüge aufzwingen: An der uneingestandenen Homosexualität gehen ihre Ehen zugrunde und das Verhältnis zu ihren Kindern droht zu scheitern.

Brokeback Mountain legt nahe, dass es weniger offene Diskriminierung und gesellschaftlicher Druck sind, die sich den Liebenden in den Weg stellen, als die Barrieren in ihren eigenen Köpfen. Aufgewachsen in einem Provinznest des ländlichen Amerika, an dem alle emanzipatorischen Bewegungen spurlos vorbeigegangen sind, vermag insbesondere Ennis nicht, die verinnerlichten Normen zu überwinden. Trotz aller Intensität können die romantischen Gefühle nicht in einen möglichen Lebensentwurf münden, und so bleibt beiden nichts anderes als der nostalgische und zermürbende Versuch, das Abenteuer am Brokeback Mountain in gemeinsamen Ausflügen und Angeltouren zu wiederholen, ohne Aussicht auf eine dauerhafte Bindung. Am Ende bleibt die Erinnerung an vergangenes Glück und das Wissen um verpasste Chancen. Und der Blick aus dem Fenster auf die Weite der Natur, die sich niemals wird bändigen lassen.


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