Sea, Sex and Sun, kritisch betrachtet. „Vers le sud“ illustriert die Anfänge des weiblichen Sextourismus in den 70er Jahren.
„Ein Tourist stirbt nie“ – diese Aussage könnte als Werbeslogan der Tourismusbranche angesichts der unsicheren globalen Verhältnisse fungieren. Dagegen steht sie am Ende des Films „Vers le sud“ des französischen Regisseurs Laurent Cantet. In der Literatur ist „der Süden“ eine beliebte Metapher der Leidenschaft, des Exotischen. Der Süden steht als Synonym für einen Ort, an dem uneingestandene Wünsche, sexuelle Fantasien lebbar und andererseits die eigenen Illusionen offenbar werden. Das ist in etwa auch die Thematik, die in „Vers le sud“ behandelt wird. Reißerischer könnte man natürlich auch sagen, dass es um Sextourismus von älteren frustrierten Damen auf Haiti geht. Diese tauschen gegen ein paar Geschenke oder eine warme Mahlzeit mit jungen Einheimischen Charme und Sex im kleinen Universum ihrer Bungalows aus. Außerhalb dieser künstlichen Luxusoase, im Landesinnern, herrschen dagegen Korruption und Armut. „Vers le sud“ greift ein heikles Problem auf. Unweigerlich denkt man bei dem Film auch an Michel Houellebecq, den Autor der Single-Generation, der etwa in seinem letzten Roman „Plattform“ die Situation, dass mehrere Millionen Menschen alles haben, bloß kein sexuelles Glück, und mehrere Milliarden nichts haben als ihren Körper, als ideale Tauschsituation vorstellt. Diese „ideale Tauschsituation“ lässt sich nur bedingt im Film von Laurent Cantet ausmachen.
Die Handlung von „Vers le Sud“ spielt in einer paradiesischen, am Meer gelegenen Ferienanlage auf Haiti Ende der siebziger Jahre. Alleinstehende europäische und amerikanische Damen landen in regelmäßigen Abständen an diesem Ort, um fern ihrer prüden Heimat Abenteuer zu wagen. Dabei werden drei ganz unterschiedliche Frauentypen vorgestellt. Helen, gespielt von Charlotte Rampling, verkörpert den kühlen, überlegenen Frauentypus, der vorgibt, den Spielregeln des Lebens gewachsen zu sein. Brenda (Karen Young) wird als sensible Frau vorgestellt, die nach Haiti zurückgekehrt ist, nachdem sie hier ein sexuelles Initiationserlebnis hatte. Sue (Louise Portal) steht für den unkomplizierten Genussmenschen. Was diese unterschiedlichen Frauencharaktere verbindet sind Einsamkeit, Langeweile, Flucht vor dem Alter und sexuelle Misere. Auf Haiti flüchten diese Frauen in die Arme von Männern, die durch ihre „Exotik“, diese Missstände kompensieren können. Besonders Legda, ein junger schöner Haitianer wird bald zum Objekt der Begierde für Helen und Brenda. Beide Frauen konkurrieren um seine Gunst. Durch die Annäherungsversuche der jüngeren Brenda an Legda, löst sich zunehmend die zur Schau gebrachte Indifferenz von Helene. Der von ihr vertretene Diskurs über sexuelle Freizügigkeit erweist sich in der Realität als bloße Fassade.
Cantet verdeutlicht, was die drei Frauen nicht wahrhaben wollen, dass man als Tourist ein Außenstehender ist und bleibt. Sie glauben zwar Legba zu lieben, doch von seiner wahren Identität wissen sie nichts. Diese Realität liegt außerhalb der Touristenzone, ein Milieu, in dem Eltern aus Armut ihre Kinder feilbieten, in dem Kinderprostitution geläufig ist und das politische Regime korrupt. Auch Legba wird am Ende Opfer seiner Herkunft – wogegen die TouristInnen unverwundbar erscheinen.
Der Film problematisiert auch die Diskriminierung der Schwarzen, denn die Frauen wissen, dass sie in ihren Herkunftsländern einen Schwarzen nie zur Kenntnis nehmen. „Vers le sud“ ist insofern interessant, als hier „Diskriminierte“ aufeinandertreffen – nämlich Frauen und Schwarze. Auch weicht der Film vom Klischee „westliche Frau – wilder Krieger“ ab, weil er die Realitäten und Sehnsüchte entlarvt, die dahinter stehen. „Vers le sud“ ist ein solider Film, wenn auch kein herausragendes Werk.