Über das Schlachtfeld Ehe hat John Turturro eine musikalische Frontaufzeichnung gemacht: Im Singfilm „Romance and Cigarettes“ wird Tacheles geredet über Liebe, Sex, Ehebruch und Tod.
Summen Sie auch öfters im Fahrstuhl oder trällern Sie während des Autofahrens? Falls ja, sollten Sie sich mit der Wahl Ihrer Songs beschäftigen. In Doris Lessings „The Four-Gated City“ stellt die Romanheldin Martha Quest die These auf, dass Liedtexte einem nicht zufällig in den Kopf kommen, sondern Botschaften aus dem Unterbewusstsein sind. John Turturro geht in seinem neuesten Film „Romance and Cigarettes“ noch einen Schritt weiter: Die Hauptfiguren des Films drücken musikalisch aus, was ihnen auf der Zunge brennt.
Referenzen auf den Musik- und Revuefilm hat es in den letzten Jahren sowohl in englischsprachigen als auch im französischen Film zur Genüge gegeben. Turturros Version unterscheidet sich aber gleich in zwei Punkten von Filmen wie „Huit femmes“, „On connaî t la chanson“ oder „Everybody Says I love You“. Zum einen werden in diesem Ehe- und Familienfilm, der im New Yorker Arbeitermilieu spielt, Musik- und andere Texte sehr gezielt eingesetzt, um die Unfähigkeit, Dinge mit eigenen Worten auszusprechen, zu überwinden. Die Hauptfiguren singen deshalb auch die Lieder oft nur „mit“. Und zum anderen ist Turturros zeitgenössische Antwort auf die Fred-Astaire-Filme der Fünfzigerjahre auf den ersten Blick kein romantischer Film. Die menschlichen Nöte des Arbeiters Nick Murder (John Gandolfini), dessen Frau Kitty (Susan Sarandon) entdeckt hat, dass er fremdgeht, werden nämlich hier in ungewohnt derber Sprache beschrieben. Vor allem die Prostituierte Tula (Kate Winslet), die sich in Nick verliebt hat, sagt in deutlichen Worten, worum es ihr geht: Sex. Aber auch Nicks Arbeitskollege Angelo (Steve Buscemi) hat in dieser Hinsicht einen reichen Wortschatz. Schwierigkeiten haben alle Beteiligten dagegen, wenn es darum geht, Gefühle in Worte zu fassen. Vor allem die Männer. Eine der Stärken des Films liegt in der gnadenlos spöttischen Darstellung der emotionalen Misere von Nick, dessen Frau nun nichts mehr von ihm wissen will. Selbstmitleid, Aufgeblasenheit und Unehrlichkeit kommen erst zu einem jähen Ende, als Nick erfährt, dass er Lungenkrebs hat.
Weil die deftige Komödie ohne Happy End auskommt, und auch im letzten Drittel der Humor verhaltener wird, ist Turturros Werk bei Kritik und Publikum nicht gut angekommen. Dabei gibt es eine ganze Reihe witziger Dialoge und Szenen, und auch die Musiknummern sind in ihrer Skurrilität durchaus unterhaltend. Zudem gibt es etliche Nebenfiguren, die ebenfalls für Unterhaltung sorgen: neben Steve Buscemi etwa Christopher Walken als Cousin Bo mit seinen gut gemeinten Ratschlägen, oder die drei jungen Töchter, die sich als Rockmusikerinnen versuchen. Das wirkt manchmal alles etwas zusammengebastelt, aber auf jeden Fall vermittelt die ganze Riege glaubhaft, dass sie sich bei den Dreharbeiten – und besonders bei den Tanzszenen – köstlich amüsiert hat.
Stören tun schließlich eher die Klischees – die klassische Rollenaufteilung zwischen Ehefrau und Geliebter, die Hure, die sich in ihren Kunde verliebt, der am Ende reuevolle Ehemann, die Ehefrau, die sich an der Mätresse rächt – die Turturro zwar voller Ironie anpackt, aber nicht wirklich in Frage stellt. Unterschwellig transportiert der Film so doch wieder den alten, ach so männlichen Dualismus Liebe vs. Sex. Und Nicks Lebensmotto „Two things: a man should be able to be romantic and be able to smoke his brains out“ verbrämt auch nur seine beiden Laster. Das verhindert nicht, dass Turturro mit „Romance and Cigarettes“ einen über weite Strecken unterhaltsamen Film liefert – der übrigens das Thema Rauchen nur am Rande behandelt.