DEI LENK: Verwirrung und Offenheit

Auch nach dem Weggang der KPL bleibt das Spektrum der Meinungen bei Déi Lénk weit gefächert. Dabei scheint die Frage nach dem respektiven Stellenwert von Partei und Bewegung die klassische Reformoder Revolution-Debatte zu verdrängen.

Vor knapp fünf Jahren wurde Déi Lénk im Vorfeld der Wahlen von 1999 gegründet. Waren 1994 die beiden linken Listen, KPL und Nei Lénk, außen vor geblieben, so schafften sie diesmal gemeinsam den Einzug ins Parlament. Ein Jahr später ergab sich in Esch die Möglichkeit einer Koalition mit LSAP und Déi Gréng – André Hoffmann wurde Mitglied des Schöffenrats. Seither trat Déi Lénk vor allem durch ein konsequentes Engagement gegen die Abschiebung von Flüchtlingen in Erscheinung – und durch den internen Streit mit der KP, der Anfang dieses Jahres mit einer Spaltung endete. Am kommenden Sonntag findet in Zolver ein Kongress statt, bei dem das Wahlprogramm für 2004 verabschiedet werden soll. Doch wofür Déi Lénk eigentlich steht, ist aus dem Textentwurf, einer Art Forderungskatalog, kaum zu erkennen.

Identitäten

„Das Programm umreißt, wo wir stehen. Es zeichnet einen Kreis, keinen Punkt“, erläutert André Hoffmann gegenüber der woxx. Das liege daran, dass es innerhalb von Déi Lénk ein breites Spektrum von Meinungen gebe. Er persönlich stehe für einen starken linken Reformismus, nicht für die traditionelle revolutionäre Umgestaltung. „Es reicht aber nicht, wenn man statt neue Arbeitsplätze zu schaffen, den RMG einführt – in solchen Punkten gilt es, die kapitalistische Logik zu durchbrechen. Auch das Ziel eines gesellschaftlichen Besitzes der Produktionsmittel findet er „im Prinzip richtig“. „Aber“, fragt er, „in welcher Form? Selbstverwaltet oder staatlich? Bereits darüber gehen die Meinungen auseinander.“

Der Rückzug der KPL habe manches vereinfacht, so die Meinung von André Hoffmann, zum Beispiel in internationalen Fragen über Demokratie und Menschenrechte. Obwohl die KPL immer versucht habe, sich als besonders radikal zu profilieren, habe sie in konkreten Fragen keineswegs den linkesten Flügel dargestellt. Jean-Laurent Redondo, der 1998 als KP-Mitglied zu Déi Lénk kam, den Weggang seiner Partei aber nicht mitvollzogen hat, bedauert den Bruch: „Dass die KPL ihren eigenen Weg geht, ist ein Fehler. Es gilt, einen linken Block, mit seinen internen Widersprüchen, aufzubauen. Dort ist Platz für die KP-Position, für einen Bezug auf die kommunistische Bewegung, der mir persönlich wichtig ist.“

Im Wahlprogramm fehlt jeder explizite Bezug auf Kommunismus, Marxismus oder Sozialismus. Und obwohl die Präambel mit dem Motto“ Eng aner Welt ass méiglech!“ versehen wurde, taucht die altermondialistische Bewegung nur einmal im Text auf: in ihrer Rolle beim „wachsenden Widerstand gegen den Abbau der öffentlichen Dienste“. Nichtsdestoweniger charakterisiert Jean-Laurent Redondo Déi Lénk als einen Teil der Bewegung. „Wir sind auf der institutionellen Ebene aktiv, dort tragen wir die Forderungen der Bewegung hinein.“ Er sieht in der italienischen „Rifondazione communista“ ein interessantes Modell: „Ein pluralistischer linker Block gegen Krieg und Neoliberalismus.“ Dabei dürfe man sich nicht in ein reformistisches Korsett zwängen lassen, und nur das „Machbare“ fordern. „Selbst um diese bescheidenen Ziele zu erreichen, wären große Umwälzungen nötig“, so Jean-Laurent Redondo. Dafür sei zurzeit das Kräfteverhältnis ungünstig. Aber: „Das kann sich schnell ändern. Auf die Restaurationsphase, in der wir uns befinden, wird eine revolutionäre Phase folgen.“

Historischer Ort

André Hoffmann ist weniger zuversichtlich. Zwar sieht er in der altermondialistischen Bewegung ebenso wie in den neuen linken Parteigebilden eine parallele Reaktion auf den Triumph des Neoliberalismus. „Es ist aber völlig unklar, an welchem historischen Ort wir uns heute befinden.“ Eine kurzfristige Überwindung des Kapitalismus könne er sich jedenfalls nicht vorstellen.

Klare Modelle oder eine Gewissheit über den historischen Ort hat auch André Kremer nicht zu bieten. Bevor er sich bei Déi Lénk engagierte war er bis Mitte der 80er Jahre Mitglied der trotzkistischen LCR. „Dort bin ich weggegangen, weil ich nicht mehr einverstanden war mit der Herangehensweise, eine kleine Gruppe aufzubauen, die die einzig wahre Lehre vertritt“, erzählt er. Am Anfang habe er die Hoffnung gehabt, dass mit Déi Lénk etwas Neues entstehe. „Doch die Diskussionen, vor allem mit der KP, verliefen nach einer Logik ‚Programmlinie‘ gegen Programmlinie, statt offen über einzelne Ideen zu debattieren. Mittlerweile haben viele neue Elemente wie Gewerkschafter und Feministinnen das Boot verlassen. Es ist wieder die alte Nei Lénk“, lautet sein Urteil.

André Kremer vergleicht die heutige Lage mit jener im 19. Jahrhundert, bei der Gründung der Ersten Internationalen. „Es herrscht ein großes Durcheinander, niemand kann wissen, wo es hingeht. Sicher ist nur, dass die alten Modelle, Sozialdemokratie, Stalinismus, Linksextremismus überholt sind. Er setzt vor allem auf die Dynamik der altermondialistischen Bewegung: „Wir müssen die Forderungen der Opfer von Arbeitslosigkeit und Privatisierung aufgreifen. Nicht etwa, indem wir versprechen, es anders zu machen, wenn wir erst einmal in der Regierung sind, nein, hier und jetzt müssen wir die Forderungen durchsetzen. Dabei ist es egal, wer in der Regierung ist und ob das durch eine Reform oder eine Revolution geschieht.“

Zwischen Partei und Bewegung hat sich André Kremer für letztere entschieden – er ist einer der Hauptprotagonisten beim Luxemburger Sozialforum. „Weil ich nicht beides machen kann“, sagt er, „aber auch, um die breite Einheit der Bewegung nicht zu gefährden. Dass verschiedene Militanten die Ideen aus der Bewegung in die Parteien hineintragen, macht Sinn. Aber die Parteien versuchen immer wieder, die Kader aus der Bewegung abzuwerben – das ist der falsche Weg!“

Partei oder Bewegung

„Das wäre ein Fehler“, meint auch Jean-Laurent Redondo. „Die linken Parteien und die Bewegung sollten gleichberechtigete Partner sein.“ Aber er besteht auf der Wichtigkeit der parteipolitischen Dimension. „Um nicht wieder abzuflachen, braucht die Bewegung ein Ziel und eine Präsenz in den Institutionen. Wie sonst sollte sie Veränderungen konkret durchsetzen?“ Es gehe aber nicht darum, das alte Parteienmodell neu aufzulegen: „Ein breites Bündnis aller antikapitalistischen Kräfte lässt sich nicht mehr straff organisieren. Und das ist gut so.“

Gerade von der Präsenz in den Institutionen, ob als Opposition oder als Koalitionspartner, geht für André Kremer eine Gefahr aus. „Eine kleine Partei riskiert, sich außerhalb der Vorwahlperioden in Detailarbeit zu den gerade ablaufenden Entscheidungsprozessen zu verlieren. Stattdessen sollte sie von konkreten Missständen ausgehen und gemeinsam mit den Betroffenen für Verbesserungen kämpfen.“

André Hoffmann, Schöffe in Esch und rein innerparteilich engagiert, sieht sich nicht als Repräsentanten des rein institutionellen, parteipolitischen Weges: „Gesellschaftliche Veränderung muss nicht immer von Parteien ausgehen.“ Die Arbeiterbewegung habe im 19. Jahrhundert auch ohne Parteien einiges erreicht. „Die Theorisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die kommunistischen Parteien war wichtig, hat aber auch zu einer Dogmatisierung geführt. Heute fehlt allerdings eine politische Philosophie – sowohl in den Parteien als auch in der Bewegung.“ Dass er zurzeit an der Spitze des Marsches in die Institutionen steht, ist für André Hoffmann das Ergebnis von biografischen Zufällen und Wahlresultaten. Er versichert: „Ich sähe mich genau so gut als engagiertes Mitglied der Bewegung.“


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