Nach seinem Erfolgsfilm „Lantana“ beweist Australiens Erfolgsregisseur Ray Lawrence, dass Ruhe beim Fischen für viel Wirbel sorgen kann.
In Jindabyne, einem verschlafenen Ort im australischen New South Wales, beladen Stewart (Gabriel Byrne) und seine Freunde Carl (John Howard), Rocco (Stelios Yiakmis) und Billy (Simon Stone) einen Geländewagen. Wie jedes Jahr lassen die Familienväter ihre Frauen und Kinder zurück, um beim nahe gelegenen Fluß ein entspanntes Wochenende unter Freunden zu verbringen. Kaum haben die Männer die Angelruten geschwungen, entdeckt Stewart den leblosen Körper eines dunkelhäutigen Mädchens im Wasser. Die Männer sind anfangs aufgebracht, beruhigen sich aber erstaunlich schnell. Sie einigen sich darauf, die Leiche an einem Ast im Fluss zu befestigen und weiter zu fischen. Keiner der Väter schlägt vor, die Polizei zu benachrichtigen oder gar den Wochenendtrip abzusagen. Der Fluß ist ihnen freundlich gesinnt, selten zuvor hatten sie so viele Fische gefangen. Die geschundene Mädchenleiche, die im gleichen Wasser treibt, vermag den Fluß zu trüben, aber nicht ihren Spass.
Erst nachdem die Fischer wieder zu Hause angekommen sind, melden sie ihren Fund bei der Polizei. In Jindabyne ist sofort die Hölle los: die Presse fällt über die Fischer her und die Einwohner geben sich entsetzt über das respektlose Verhalten der Männer. Die Familie des Opfers beschuldigt Stewart und seine Freunde sogar des Mordes. Stewarts Frau Claire (gespielt von der sehr glaubwürdigen Laura Linney) erfährt als Letzte von dem Fund und ist zutiefst erschüttert über den Eigennutz ihres Mannes. Ob er die Leiche eines Jungen, oder gar seines eigenen Sohnes ebenso den Wasseregeln überlassen hätte? Hatte sein Handeln mit der Hautfarbe des Mädchens zu tun? Klare Antworten erhält sie von Stewart keine, und um zu verstehen, was genau am Fluss passiert ist, jagt Claire wie besessen den Fakten hinterher. Bei den verzweifelten Versuchen, alles wieder gut zu machen, richtet sich die ungehaltene Mutter sowohl gegen ihre eigene Familie als auch gegen die des Opfers.
Ray Lawrence fand die Inspiration für Jindabyne in Raymond Carvers Erzählung „So much Water So Close to Home“. Carver veröffentlichte neben unzähligen Kurzgeschichten auch Gedichte, die alle auf mehr oder weniger minimalistische Art den Alltag schildern. Auch Jindabyne passt nicht in die Thriller-Schublade: Der Mörder wird nämlich schon in ersten Szene gezeigt, die schreckliche Tat dient lediglich als Ausgangspunkt. Carver beschreibt, wie ein solches Drama Diskussionen über Moral und Ethik zwischen Menschen auslöst, die jahrelang miteinander gelebt haben und sich bisher blind vertrauten. Dabei enthüllt er auf subtile Art und Weise alte Geheimnisse der Einwohner und lässt vergessen geglaubte Konflikte wieder aufflammen.
Die ruhige Kameraführung und die atemberaubende Kulisse verleiten einen anfangs dazu, das Unbehagliche an der eigentlichen Geschichte zu übersehen. So ertappt sich wohl manch einer dabei, wie er das Grauen vor Augen zwar kurz registriert, sich dann jedoch schnell wieder von der Ruhe und Schönheit der Wildnis betäuben lässt – genau wie die Männer im Film. Bei 123 Minuten Spieldauer und melancholischer Musik befällt die bedrückende Grundstimmung allerdings jeden noch so begeisterten Naturfreund. Der Film schafft es, ohne Gewaltszenen und komplizierte Storyline eine Spannung aufzubauen, die am etwas seichten Ende des Films kaum gelockert wird. Sich Jindabyne anzusehen ist, passend zum diesjährigen Sommer, eine unbehagliche, aber erfrischende Erfahrung.
Jindabyne, im Utopia