BOMMELEEËR: Kavaliersdelikt

War die Bombenleger-Story schon Mitte der Achtzigerjahre kabarettreif, so schickt sich deren Aufklärung an, das dabei erreichte Niveau noch zu übertreffen.

Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende: Staatsanwalt Robert Biever war sichtlich erleichtert, als er am Sonntag der Presse „en détail“ einen ersten Fahndungserfolg in Sachen „Bommeleeër“ vorlegen konnte – zwei Jahrzehnte nach den Geschehnissen.
Foto: woxx)

„So lange am Stück arbeiten ja nur Magistraten!“ Dieser von Staatsanwalt Robert Biever formulierte Nebensatz war vielleicht nicht der wichtigste, den er in seinem über eine Stunde dauernden Statement am Sonntag der Presse gegenüber zum Besten gab. Aber er war, wie die ganze Veranstaltung in Sachen „Bommeleeër“, wohl durchdacht und gut platziert: Zwar wurde in dieser Affäre auch vom Justizapparat gesündigt. Doch bestimmt nicht, weil die einzelnen Akteure den lieben langen Tag lang vor sich hin dösen und drei Monate im Jahr von den Gerichtsferien profitieren.

Im Gegenteil: Die Untersuchungsrichterin Doris Woltz opferte sogar den gesamten Samstag und verhörte von 8.45 bis 23.45 Uhr die beiden Polizeibeamten Jos Wilmes und Marc Scheer, denen vorgeworfen wird, an den 18 Bombenattentaten, die zwischen 1984 und 1986 Luxemburg „erschütterten“, beteiligt gewesen zu sein.

Dass selbst die Journalisten am nächsten Morgen, dem „Tag des Herrn“, für den Bombenleger ihre Ohren und Bleistifte spitzen mussten, war Biever immerhin eine Entschuldigung wert: „Es tut mir leid, wenn ich die einen von ihnen vom Messgang und die anderen vom sonntäglichen Lauf durch den Wald abgehalten habe.“

In der Folge setzte der Staatsanwalt den Anwesenden detailliert auseinander, weshalb er die Ermittlungen schließlich schweren Herzens in Richtung Polizei habe lenken müssen – denn das Thema „wir über uns“ sei nun mal ein ziemlich heikles. Außerdem machte Biever einen fast unüberwindbaren Konflikt zwischen dem Prinzip der „présomption d’innoncence“ der Verdächtigen und dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Aufklärung aus: Deshalb gab er zwar die Tatsache bekannt, dass zwei Polizeibeamte verhört worden sind und ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet wurde, er vermied es aber, deren Namen zu nennen.

Dennoch war es nur eine Frageder Zeit, bis die Namen in den Medien kursierten. So hatte der Investigateur-Herausgeber Jean Nicolas auf seiner Website unmittelbar nach der Pressekonferenz angekündigt, er werde Ende der Woche in zwei seiner Blätter Namen nennen. Letztendlich kam ihm jedoch das Gratisblatt „Point24“ zuvor, während wort.lu – wohl um dem neuen Massenblatt den Scoop nicht zu vermasseln – lediglich Vornamen, Initialen und Alter der Tatverdächtigen nannte.

Aufrüstung herbeigebombt

Für einmal hat die Gewaltenteilung also funktioniert: Biever hat seinem Prinzip der Unschuldsvermutung Rechnung getragen, aber genug Details durchsickern lassen, damit andere, in diesem Fall die Presse, die Identität der Verdächtigen feststellen konnten.

Dass die so hoch gehaltene Unschuldsvermutung sogar dazu beitrug, die genannten Beamten weder in Haft zu nehmen, noch dafür zu sorgen, dass sie vom Dienst suspendiert wurden, ist hingegen kaum nachvollziehbar. Auch wenn die Entscheidung, keine Untersuchungshaft anzuberaumen, bei der Untersuchungsrichterin liegt, zeigte Biever für deren Beschluss vollstes Verständnis. „Gott sei Dank sind die damals entstandenen Schäden nicht einmal vergleichbar mit denen eines mittelschweren Straßenunfalls“, hieß es aus dem Mund des Staatsanwaltes. Der Vergleich ist natürlich unhaltbar, denn ein Autounfall ist in der Regel kein bewusst durchgeführter krimineller Akt.

Streckenweise hörten sich die Ausführungen des Staatsanwaltes an, als handele es sich um eine Art Kavaliersdelikt. Etwa nach dem Motto, die Akteure hätten zwar verwerfliche Methoden angewandt, aber doch eigentlich ein edles Ziel verfolgt, nämlich auf die Unzulänglichkeiten des damaligen Polizeiapparates hinzuweisen. Und: „Sie hatten culot“, denn sie operierten unmittelbar in der Nähe der Sicherheitskräfte.

Dass die Attentate darauf ausgerichtet gewesen sein sollen, Gelder zu erpressen, war eine Geschichte, die schon in den Achtzigerjahren niemand so recht glauben wollte. Die in schlechtem Englisch verfassten Erpresserbriefe („we have space and time“), die James-Bond-mäßig inszenierten, aber immer wieder gescheiterten Geldübergaben – im Nachhinein betrachtet wird deutlich: Es ging eigentlich nur darum, den diensttuenden Polizeibeamten zu zeigen, dass es da jemanden gab, der ihnen immer einen Schritt voraus war.

Symbolisch auch der Schluss der Attentatsserie: Während alle damit rechnen, dass es in und um den „Neien Theater“ kracht, weil dort die „Lëtzebuerger Revue“ ihr Programm „Knuppefreed“ inszeniert, haben die Attentäter das Wohnhaus des pensionierten Gendarmerie-Chefs Jean-Pierre Wagner im Visier.

„Es waren schwierige Zeiten für Sicherheitskräfte damals“, argumentiert Biever. Zwar sei Wagner niemals öffentlich angegriffen worden. Doch intern wurde Kritik laut, Wagner setze sich zu wenig für seine Leute ein. Zahlreiche Banküberfälle – vor allem jene der „Waldbillig“-Bande, die auch einen Beamten das Leben kosteten -, ein international sehr unsicheres Umfeld und eine chronische Unterbesetzung der Sicherheitsorgane hätten damals die Stimmung sehr belastet.

Die beiden jetzt Verdächtigen waren zu jener Zeit Mitglieder der Elite-Einheit „Brigade mobile de la Gendarmerie“ (BMG), die ähnlich der GSG9 in Deutschland in der Folge der Attentate bei den olympischen Spielen in München 1972 ins Leben gerufen worden war und die Luxemburg gegen terroristische Angriffe verteidigen sollte. Nachdem der Leiter der Truppe, Ben Geiben, seinen Dienst bei der Gendarmerie quittiert hatte, übernahm der heutige Generaldirektor der Polizei, Pierre Reuland, das Kommando. Wenig später, Anfang 1984, begann dann die Attentatsserie mit Einbrüchen im Gipsstollen in Helmsingen, wo für seismographische Zwecke Luxite-Sprengstoff gelagert war.

Da Geiben zwar nicht „im Streit“, aber durchaus enttäuscht die Gendarmerie verlassen hatte, lag der Verdacht nahe, er könne etwas mit den Attentaten zu tun haben. Für Robert Biever sind in dieser Hinsicht mittlerweile alle Verdachtsmomente aus der Welt geräumt. Schlimmer noch: Beschattungen Geibens, die der „Spëtzeldengscht“ durchgeführt hatte, seien den Justizbehörden und der Spezialuntersuchungskommission erst 2004 bekannt geworden, als auf Geheiß Bievers die Sûreté-Büros durchsucht worden waren. Wären die Ergebnisse der seinerzeit erfolglosen Bespitzelungen Geibens den Ermittlungsbehörden nicht vorenthalten worden, hätte zumindest vermieden werden können, die Untersuchung unnötig lange auf einer erwiesenermaßen falschen Fährte weiterzuführen.

Mit all diesen merkwürdigen Vorkommnissen wird sich die zuständige parlamentarische Kommission nächste Woche befassen, wenn sie mit Robert Biever zusammentrifft. Die Grünen wollen indes auch den damaligen Premierminister und Sûreté-Vorgesetzten Jacques Santer dazu hören.

Suspendierung überfällig

Eine Sondersitzung der Kommission hatte es bereits diese Woche gegeben, wobei vor allem die Reaktion des damaligen BMG-Chefs und heutigen Polizeigeneraldirektors Pierre Reuland zur Debatte stand. In einem zwar nicht öffentlichen, aber an seine Untergebenen gerichteten Intranet-Text hatte er sich für die beiden inkriminierten Beamten eingesetzt. Die Vorwürfe gegen sie „werden unhaltbar sein“ und „beide sind nicht suspendiert und werden ihren Dienst weiter wahrnehmen“, hatte Reuland geschrieben.

Auch der für die Sicherheitskräfte und die Justiz zuständige Minister Luc Frieden hatte in einer ersten Stellungnahme am Sonntag auf die Unschuldsvermutung hingewiesen und keinerlei Andeutungen gemacht, dass die beiden Beamten suspendiert würden. Eine Fehlentscheidung, wie nach dem Treffen mit der Chamberkommission deutlich wurde: Frieden ruderte – wenn auch nur mit halber Kraft – zurück und gab an, den Vorfall sowie die prozeduralen Zusammenhänge zu prüfen und bis Ende der Woche eine Entscheidung zu fällen.

Er distanzierte sich auch vom Polizeichef, dessen Schreiben er als „nicht glücklich und nicht opportun“ bezeichnete. Doch eigentlich war es Frieden, der dem hohen Beamten ein Bein gestellt hatte: Hätte der Polizeiminister am Sonntag die einzigen sich aufdrängenden Konsequenzen gezogen und die Beamten sofort suspendiert – eine provisorische Maßnahme, die jederzeit aufgehoben werden kann – hätte der Polizeidirektor gewusst, woran er mit seinem Chef ist.

Spätestens, wenn Frieden in den nächsten Tagen die Suspendierung nachreicht, wird die Farce komplett sein: Wie Staatsanwalt Biever mehrfach betonte, hat es mindestens vier Attentäter gegeben. Sollten die bisher nicht ermittelten „Kollegen“ ebenfalls diensttuende Beamten sein, dann hatten sie alle Zeit der Welt, sich ungestört mit den Tatverdächtigen zu unterhalten und abzustimmen. Wie meinte doch Robert Biever: Jeder weitere Tag macht die Ermittlungen in der Bombenlegeraffäre komplizierter.


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