BEFREIUNG VON INGRID BETANCOURT: Soziale Frage bleibt ungelöst

Nach mehr als sechs Jahren Geiselhaft wurde Ingrid Betancourt befreit ? und die „spektakuläre Aktion“ von den Militärs und Kolumbiens Präsident Uribe medientechnisch ausgeschlachtet. Ob damit aber auch eine Beruhigung der Lage in Kolumbien einhergeht, ist zweifelhaft.

Die Glückwünsche an die Adresse der kolumbianischen Regierung für die gewaltlose Befreiung Ingrid Betancourts und 14 Mitgefangener reißen nicht ab. Die einen betonen ihre Freude über den Erfolg einer harten, unnachgiebigen Haltung gegenüber der Guerillaorganisation FARC, die anderen feiern das Ende eines sechsjährigen Martyriums einer politisch engagierten Frau.

Natürlich muss man darüber erleichtert sein, dass es nach den vergeblichen Versuchen, die schwer erkrankte Ingrid Betancourt Ende 2007 auszutauschen und nach der mit amerikanischer Hilfe betrieben Tötung des FARC-Chef-Unterhändlers Raul Reyes, jetzt doch noch zu einer gewaltlosen Befreiung gekommen ist.

Wenn Uribes harte Haltung bislang ohnehin einen großen Rückhalt in der Bevölkerung genoss, so besteht jetzt die Gefahr, dass die Kritiker im eigenen Land, die auf eine Lösung der schwerwiegenden sozialen Probleme drängen, noch isolierter dastehen. Denn eines ist gewiss: Uribes Härte war vor allem gegen die linken Bewegungen gerichtet, die rechten Paramilitärs wurden hingegen geschont. Zwar wurden in den letzten Jahren 30.000 der so genannten „Paras“ demobilisiert, doch wird nur gegen ein Zehntel von ihnen wegen begangener Straftaten ermittelt.

Dabei ist die Bilanz des rechten Terrors schrecklich genug: 200 extralegale Hinrichtungen werden in Kolumbien im Schnitt jedes Jahr von Sicherheitskräften durchgeführt. Laut Amnesty International (AI) wurden in 15 Jahren 2.245 Gewerkschaftsaktivisten getötet. Und 2006, im letzten Jahr des Berichtszeitraumes, wurden 72 gewaltsame Tötungen verzeichnet. Über 100 Gewerkschafter wurden im selben Jahr verschleppt und tauchten nie wieder auf. Noch höher sind die Opferzahlen unter den indigenen Gemeinschaften, Kleinbauern oder Afro-Kolumbianern: Laut AI wurden 2006 aus diesen Kreisen 770 Zivilpersonen getötet oder sind „verschwunden“ – mehr als 219.000 Personen wurden im gleichen Jahr aus ihren Heimatorten vertrieben.

Dass es Uribe und den Militärs gelungen ist, die 15 Geiseln ohne Blutvergießen zu befreien, wird von der Öffentlichkeit vielfach als Sieg einer neuen gewaltlosen Strategie dargestellt. Und als Signal an die FARC, dies als Friedensangebot zu verstehen.

Ob Uribe, der als Gouverneur von Antioquia selber am Aufbau paramilitärischer Truppen beteiligt war und seine politische Karriere als Berater des Medellin-Kartell-Führers Pablo Escobar begann, tatsächlich an einer friedlichen Lösung der sozialen Konflikte in seinem Land interessiert ist, dürfte wohl auch davon abhängen, ob der internationale Druck, der während der langjährigen Gefangenschaft von Ingrid Betancourt aufgebaut werden konnte, aufrechterhalten bleibt. Dass nach beendeten Geiselnahmen mitunter umso mehr eine Politik der starken Hand auf der Tagesordnung steht, sollte seit den Vorgängen in Tschetschenien in bester Erinnerung sein. Dort folgte auf die militärischen Befreiungsaktionen nicht nur eine Verschärfung der Krise und des Elends, sondern noch schlimmere Menschenrechtsverletzungen als zuvor.


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