Seit Jahrzehnten soll das Viertel Italien in Düdelingen saniert werden. Das fordern nicht nur lokale Initiativen, auch die Politik hatte sich dazu verpflichtet. Doch Gemeinde und Fonds du Logement ziehen jetzt das Siedlungsprojekt „Schmelz“ vor.
Düdelingen, Gare Usines, Sonntagnachmittag. Es herrscht Ruhe im Quartier Italien. Nur oben, am Fußballplatz, am Ende des Viertels hin zum Frankelach, sind zahlreiche Autos geparkt. Wohl ist ein Spiel im Gange. Und von der Skateboardpiste gegenüber, jenseits der Gleise, dringt Musik.
Der kurze Spaziergang durch die zwei, drei Straßen, die das Viertel ausmachen, ergibt nichts Auffälliges. Das Viertel besteht aus kleinen, aneinander geklebten Arbeiterhäusern, viele sind renoviert. Eine Frau schüttet einen Eimer Putzwasser auf dem Bürgersteig aus und wischt es in den Gulli. An einer Ecke stehen Jugendliche. Jemand wäscht sein Auto.
Doch das Viertel Italien gehört zu jenen, die 2002 per großherzogliches Reglement als so genannte Sanierungszone in das achte „Programme de construction d’ensembles de logements subventionnés“ aufgenommen wurden – und damit also implizit als sanierungsbedürftig erklärt wurden.
Das Reglement konkretisierte eine im Gesetz von 1979 über die Wohnungshilfe vorgesehene Maßnahme: Durch die gemeinsame finanzielle Investition von Staat und Gemeinde sollte die Renovierung ganzer Viertel in einer einheitlichen Aktion ermöglicht werden, mit dem Ziel, den vorhandenen Wohnraum zu erweitern und qualitativ zu verbessern. Seit 1979 war dieses Instrument aber nur in zwei Fällen angewandt worden: im Stadtgrund in der Hauptstadt und in Al-Esch in der Minette-Metropole. Auch nach dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen von 2002 ist es weder im Viertel Italien noch anderswo zu einer dynamischeren Umsetzung des Gesetzes gekommen.
Die Gründe hierfür werden an diesem Sonntagnachmittag Mitte Juli bei einem Rundtischgespräch in der Gare Usines diskutiert. Eingeladen hat das im Bahnhof ansässige „Centre de documentation sur les migrations humaines“ (CDMH). Nachdem das zehnjährige Bestehen der im Viertel gelegenen Kindertagesstätte „Diddelfamill“ in den Tagen davor bereits gefeiert worden war, soll nun eine kritischere Bilanz zur Entwicklung des Viertels gezogen werden.
„Das Risiko ist groß, dass Italien zu einem Ghetto wird.“
Die fällt von Seiten des CDMH-Vertreters Mars Lorenzini eher negativ aus. Das Zusammenleben der verschiedenen Gemeinschaften im Viertel müsse stärker gefördert werden: Im Viertel Italien nehme der Anteil der portugiesischen Bevölkerung immer stärker zu, derweil die LuxemburgerInnen immer rarer würden: „Das Risiko ist groß, dass Italien zu einem Ghetto wird.“
Der Düdelinger Bürgermeister Alex Bodry liefert zu dieser These Zahlen: Die nicht-luxemburgische Bevölkerung mache mittlerweile fast 80 Prozent aus, der Anteil der ArbeiterInnen sei doppelt so hoch wie im Rest von Düdelingen. Es gebe im Viertel auch wenig repräsentative Vereinigungen. Informationsversammlungen der Gemeinde, sogar mit Übersetzung, hätten wenig Erfolg. Ausnahme: das Verkehrsproblem im Viertel. Es sei deshalb eine „Erneuerung“ der lokalen Bevölkerung angestrebt. Das Viertel, so Bodry, sei zudem innerhalb seiner aktuellen Grenzen schon sehr dicht bebaut, so dass eine Neubelebung nur durch neue Wohnangebote im nahen Umfeld möglich sei.
„Auch im Foyer de jour ?Diddelfamill‘ sind fast hundert Prozent der Kinder ausländisch“, so Roger Faber, Direktor von Inter-Actions, dem Träger der Kindertagesstätte. Trotzdem sieht er das Problem nicht in der mangelnden „Mixität“. Er sieht vielmehr das Problem der ungenügenden kritischen Masse: „Wir bräuchten im Viertel eigentlich mehr Einwohner, um Infrastrukturen am Funktionieren zu halten. Wenn hier der Lebensmittelladen dicht macht, ist das kein Zufall.“ Mars Lorenzini weist darauf hin, dass seit 1996 vier Kneipen, zwei Lebensmittelläden und die einzige Bäckerei verschwunden sind. Alex Bodry sieht hier aber nicht die Gemeinde in der Pflicht, preisgünstigen Ladenraum zur Verfügung zu stellen: „Die Gemeinde Düdelingen kann nicht in jedem Viertel Lokale aufkaufen.“ Und ironisiert: „Wir können auch Staatsbeamten einstellen, um Würstchen zu verkaufen.“
Tatsächlich ist die Bevölkerungszahl im Viertel Italien in den letzten Jahren, bedingt auch durch modernere Wohnungsverhältnisse, beträchtlich gesunken. Deshalb fordert auch Roger Faber neuen Wohnraum: „Wenn wir mehr Kinder hier hätten, könnten wir vielleicht ein komplettes Schulangebot auf die Beine kriegen, anstatt nur den Untergrad.“
Das Dilemma, betont der Bürgermeister, besteht darin, dass das Viertel eine historische gewachsene urbane Struktur aufweist, die es zu erhalten gelte. Ein Grund, weshalb die Gemeinde das Viertel im Bebauungsplan als „zone à préserver“ eingestuft hat. Das bedeutet, dass die Gemeindeverantwortlichen bei der Vergabe von Baugenehmigungen eine recht große Handhabe darüber besitzen, dass sich neue Bauten oder Renovierungen in das Bild des Viertels einfügen. Wenn man sich im Viertel umschaut, so entsteht jedoch unweigerlich der Eindruck, dass die Gemeinde diese Karte nicht ausspielt: Zahlreiche rezente Umbauten hatten zum Ziel, das Untergeschoss der Häuser zur Garage umzufunktionieren. Für Bodry sind das „pragmatische Lösungen“: „Wenn wir das nicht zulassen, werden die Häuser nicht mehr gekauft und verkommen. Wir wollen die Initiative der Leute, ihre Häuser zu modernisieren, auch nicht total stoppen.“ Er verweist aber darauf, dass man am Rande des Viertels öffentlichen Autoparkraum zu schaffen versuche.
Roger Faber weist darauf hin, dass im Sanierungsplan bereits zwei größere öffentliche Parkings vorgesehen waren: „Wenn die da wären, bräuchten die Leute vielleicht keine Garage in ihre Küche zu setzen.“ Und Daniel Miltgen, Verantwortlicher des „Fonds du Logement“, fügt hinzu, dass im Projekt „Italien 2“ ein großes Parkgebäude für die Bevölkerung des Viertels geplant ist. Doch dieses vom Fonds du Logement geplante neue Siedlungsprojekt, das direkt an das Viertel angebunden wäre, gibt es ebenso wenig wie die Sanierung des Viertels umgesetzt wurde.
„Jahrelang standen Gelder für die Sanierung im Staatsbudget, auf die leider Gottes nie zurückgegriffen werden konnte.“
Daniel Miltgen hat „ein schlechtes Gewissen“. Im Kontrast zu den hohen Erwartungen, mit denen er vor fünfzehn Jahren an das Dossier herangegangen sei, habe der Fonds „außer zwei homöopathischen Aktionen“ im Viertel Italien nichts getan: „Es gab eine Sozialenquete, es gab ein erstes Sanierungskonzept vom Büro Zeyen-Baumann. Jahrelang standen Gelder für die Sanierung im Staatsbudget, auf die leider Gottes nie zurückgegriffen werden konnte.“ Die Tatsache, dass es im Viertel einen überaus hohen Anteil an kleinen privaten BesitzerInnen gibt, ist für Miltgen der Grund, weshalb das Sanierungsprojekt gescheitert ist.
Roger Faber hat in den Achtzigerjahren die Sanierungsaktion im Stadtgrund selbst mit erlebt. Dort seien sowohl Fonds du Logement als auch Gemeinde im Besitz zahlreicher Häuser gewesen. Und die privaten Häuser seien nur in der Hand weniger BesitzerInnen gewesen. Zudem seien für das so genannte „relogement-tiroir“ mehr Wohnungen zur sofortigen Verfügung gewesen. Sanierung bedeutet nämlich auch, dass Leute ihre Wohnungen räumen und zumindest zeitweilig eine neue Unterkunft bekommen müssen. Doch eine solche Austausch-Operation wäre auch im Fall von Italien durchaus machbar: Sowohl Faber als Miltgen betonen, die Idee sei auch stets gewesen, das geplante Bauprojekt „Italien 2“ während der Sanierungsphase des alten Viertels für solche Zwecke zu nutzen.
Faber weist aber auch darauf hin, dass die in den Neunzigerjahren von Zeyen-Baumann für die Sanierung des Viertels berechneten Kosten nicht sonderlich hoch waren: „15 Millionen alter Franken waren damals als Kosten angesetzt, die auf die Gemeinde zukommen würden, um 101 Häuser in Angriff zu nehmen. Es wäre also machbar gewesen, aber das Gesetz von 1979 über die Sanierungszonen hat keine richtige Chance erhalten.“ Daniel Miltgen bestätigt: „Es war nie eine Frage des Geldes, es war eine Frage der Organisation. Und da kann der Gesetzgeber keine Hilfestellung geben.“
Tatsächlich hat die Gemeinde Düdelingen – nach einer Absichtserklärung des Schöffenrates – die Prozedur zur „zone d’assainissement“ nie konkret in die Wege geleitet – unabdingbare Voraussetzung, damit staatliche Gelder locker gemacht werden können. Alex Bodry erklärt diese Inertie mit der personellen Überforderung der Gemeindeverwaltung. Das sei im normalen Ablauf vom Gemeindeteam nicht zu bewerkstelligen: „Hier sind nicht sechs und nicht dreißig, sondern ein paar Hundert Familien betroffen. Das ist eine Dimension, die wir nicht schaffen.“
Die Gemeinde Düdelingen ist kein Einzelfall. Viele Gemeinden tun sich schwer damit, eigenständig größere Bauprojekte umzusetzen. Das im Koalitionsprogramm vorgesehene Konzept einer staatlichen „Agence pour la rénovation urbaine“, welche den Gemeinden logistisch unter die Arme greift, schlummert allerdings seit Jahren in einer Regierungsschublade. Nun, so Miltgen, hat die Diskussion um die Entwicklung der „Nordstad“ dazu geführt, dass die Idee wieder Aufwind bekommt: „Neu ist, dass nicht mehr der Staat selbst diese Agentur schaffen, sondern der Fonds du Logement mit dieser Aufgabe betraut werden soll.“
Zudem bedeutet für Bürgermeister Alex Bodry eine solche von oben dekretierte Sanierung auch einen Eingriff ins Besitzrecht. Deshalb habe man es vorgezogen, in kleinen Schritten vorzugehen, und Häuser durch Aufkauf in den Besitz der Gemeinde oder des Fonds zu bringen. Doch Alex Bodry muss zugeben, dass die Gemeinde trotz ihrer Bemühungen bislang noch kein einziges Haus im Viertel erstanden hat, während der Fonds gerade mal ein Dutzend Häuser in seinem Besitz führt.
Wenn Daniel Miltgen also behauptet, der gute Wille sei da, um die Sanierungszone doch noch zu verwirklichen, ist Skepsis angebracht. Angesichts der Tatsache, dass nach Stadtgrund und Al-Esch überhaupt keine Sanierungszone mehr ausgerufen wurde, stellt sich eher die Frage, ob Gemeinde Düdelingen und Fonds du Logement nicht davor zurückschrecken, einen neuen Präzedenzfall in der Materie zu schaffen.
Weshalb aber wurde aus „Italien 2“ – 34 Hektar im Besitz der Gemeinde – ebenfalls nichts? In den Jahresberichten des Fonds du Logement steht das Projekt seit Jahren unter der Rubrik „à l’étude“. Noch im Bericht 2006 wird es als „projet de l’avenir“ bezeichnet. Miltgen: „Wir haben gemeinsam mit der Gemeinde entschieden, dieses Projekt zurückzustellen, und uns auf das Projekt auf der anderen Seite der Gleise zu konzentrieren.“
„Wenn auf Schmelz etwas passiert, bewegt sich die nächsten fünfzehn Jahre im Viertel Italien nichts mehr.“
Die „andere Seite der Gleise“, das ist das zwischen CNA und „Aciérie“ gelegene Bauprojekt „Schmelz“, an dem Bürgermeister Bodry sichtlich mehr gelegen scheint. Ob’s daran liegt, dass das Terrain für „Italien 2“ der Gemeinde gehört, und jenes im Viertel „Schmelz“ dem Fonds? Oder liegt es daran, dass hier laut Bodry Platz für 3.000 Personen ist? Auf jeden Fall soll bereits im Herbst ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben werden.
Mit dem Projekt „Schmelz“, so der Bürgermeister, werde die räumliche Trennung zwischen den Vierteln Schmelz und Italien aufgehoben, und so auch die Isolierung von Italien überwunden. Das sei nicht nur für das Viertel selbst, sondern auch für ganz Düdelingen eine große Chance. Mars Lorenzini teilt diesen Optimismus nicht. Im Gegensatz zum Projekt „Schmelz“ knüpfe „Italien 2“ direkt am alten Viertel an. Und die trennende Bahn könne man sich nicht einfach wegdenken: „Mir macht es Sorgen, dass wir nun erneut abwarten sollen, bis hier etwas passiert.“ Die teilt auch Roger Faber: „Wenn auf Schmelz etwas passiert, bewegt sich die nächsten fünfzehn Jahre im Viertel Italien nichts mehr. Und ich glaube auch nicht so richtig dran, dass die künftigen Bewohner des Projekts Schmelz für das Viertel Italien von Gewicht sein können. Die werden viel stärker vom Düdelinger Stadtzentrum angezogen sein.“
Italien riskiert aber nicht nur wohnpolitisch, weiter auf der Stelle zu treten. Der jahrelange Stillstand in Sachen Sanierung hat dazu beigetragen, dass auch die Sozialarbeit im Viertel sich nicht weiter entwickelt hat. Eine beim Familienministerium beantragte Stelle wurde nie geschaffen. Inter-Actions konzentrierte sich daraufhin auf die individuellen Beratungs- und Vermittlungsaktivitäten, die im Rahmen der Kindertagesstätte stattfinden. Roger Faber setzt seine Hoffnungen darauf, dass mit den geplanten urbanistischen Entwicklungen ein erneuter Anlauf vielleicht mehr Erfolg hat. Vor allem aber will er die Zusammenarbeit zwischen Trägern wie Inter-Actions und CDMH, aber auch lokalen Vereinen intensivieren, um die notwendige Lobby-Arbeit effizienter zu gestalten. Doch ob im Viertel Italien wie weiland im Stadtgrund ein genügender Druck entstehen wird, um Verbesserungen einzuklagen, scheint an diesem Sonntagnachmittag eher fraglich.