TRANSFRONTALIERS: Den Löwen juckt der Pelz

Am heutigen Freitag steigt in der Stadt das Grenzgängerfest. Ein Insider hat sich für die woxx umgehört, ob es für die Betroffenen tatsächlich so viel zu feiern gibt.

Na das wird heute Abend ein Fest! Frust ablassen, sich etwas wehleidig im gemeinsamen Schicksal suhlen oder aber neu Hinzugekommene trösten und aufmuntern. Ein Fest mit Musik, im Herzen der Stadt, in der sich die meisten immer noch als Teil einer Randgruppe fühlen. Die zwar nicht ausgegrenzt werden, aber nicht wirklich dazu gehören.

Von wem die Rede ist? Von denen, die hier tagsüber die Mittagsmenüs servieren, die auf den Baustellen am Kirchberg schuften oder an Banktresen stehen. Die sich nach Feierabend allerdings nicht in einen netten Vorort Luxemburgs zurückziehen – das können oder wollen sie sich nicht leisten – sondern in ein anderes Land. Auch ich gehöre zu ihnen. Wir Grenzpendler sind eine eigene Spezies. Die hiesigen Jobchancen zu nutzen, verschafft uns eine eigene Identität. Ansonsten teilen wir viele ärgerliche ungelöste Probleme wie Mehrsprachigkeit, soziale Sicherung und Wohnraummangel, die das Verbleiben im Pendlerzustand erzwingen. Am alltäglichsten sind wohl die Verkehrsprobleme. Auch die einen uns.

Die hiesige Politik blieb bislang – vielleicht weil wir kein Stimmrecht haben – der alten Mentalität des „Kommt Zeit, kommt Rat“ verhaftet, fühlte sich für uns nicht wirklich zuständig. Unsere Regierungen daheim übrigens ebenfalls nicht. Claude Gengler, Geograph und Direktor der luxemburgischen Stiftung „Forum Europa“, analysiert, dass sich die Regierung trotz steigender Beschäftigtenzahlen nie für eines der beiden möglichen Entwicklungsszenarien entschieden habe: Das eine zielt – durch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum – auf ein stetiges Bevölkerungswachstum ab, das andere auf die Erhöhung der Zahl der Grenzgänger. Da man sich lange nicht entschieden hat, entwickelten sich beide Szenarien zugleich: Die Zahl der Einwohner wie auch die der Grenzgänger sei laut Gengler seit 2002 um über 40.000 gestiegen. Mangels einer grenzüberschreitenden gemeinsamen Raum- und Verkehrsplanung reguliere bisher allein der Markt, „um nicht zu sagen, das Gesetz des Dschungels“.

Seit einiger Zeit aber tut sich etwas. Plötzlich werden unsere Themen debattiert – Busspuren auf Autobahnen, die Wiedereinführung der Tram, eine bessere Verknüpfung der Verkehrsträger oder einheitliche Tickets für Transfrontaliers. Wohl weil wir schon 138.000 an der Zahl sind, die ungewollt jeden Morgen die Staus verursachen, die auch die Vorortpendler quälen, die Abkürzungen durch Wohngebiete suchen und sich in Züge und Busse quetschen. Das nervt alle. Dem Lëtzebuerger Löwen juckt allmählich der Pelz. Das freut uns.

Am Montag ging die „Europäische Woche der Mobilität“ zu Ende, die zu einer Änderung der Fortbewegungs-Gewohnheiten anspornen sollte. Man wollte den Individualverkehr in Frage stellen und Autojunkies Alternativen nahe bringen. Viele Wege führen zur Arbeit. Im Wesentlichen aber gibt es zwei Varianten. Eine scheinbar bequeme, die mit der Illusion verbunden ist, schneller zu sein: Im Idealfall steigt man zuhause ins Auto und in der Firmengarage wieder aus. Und eine scheinbar umständliche, die auch noch zeitaufwändiger scheint: In unterschiedlichsten Kombinationen und Abfolgen Zug, Bus, Auto, Rad oder die eigenen Beine benutzen.

Ganz normale Pendlermorgen

Die erste Variante, einer Umfrage zufolge von 94 Prozent der Grenzpendler genutzt, geht so: Schnelles Frühstück und gestresstes Loseilen, um noch vor sieben Uhr an diesem und vor 7 Uhr 30 an jenem Nadelöhr vorbeizuflitzen, an dem sich der Verkehr bereits fünf Minuten später so schlimm staut, dass man eine halbe Stunde zu spät zur Arbeit kommt.

Auch falls dieses Manöver gelingt: es ist wenig entspannend. Erst recht nicht, wenn man am Arbeitsplatz noch einen Parkplatz suchen muss, weiß Ragnhild. Die Soziologin arbeitet seit August am Uni-Campus in Walferdange, wohnt aber weiter in Saarbrücken, weil sie keine preiswerte Wohnung findet. Sie erzählt von anstrengenden täglichen Autofahrten von je 90 bis 120 Minuten Dauer. „Ich komme meist richtig geladen an“, sagt sie. Von dem Direktbus der CFL, mit dem ich seit drei Monaten fahre, hat Ragnhild schon gehört. „Aber da fährt der Letzte viel zu früh zurück.“

Die zweite Variante beginnt ähnlich: Schnelles Frühstück und gestresstes loslaufen oder radeln, um den Bus oder den Zug zu erwischen. Dann kommt dieses so entspannende Gefühl hoch, es mal wieder geschafft zu haben. Jetzt kann man sich zurücklehnen und ein Nickerchen halten oder in Ruhe Zeitung lesen. Trotzdem ist es schön, wenn in Bonnevoie das Bahnhofshochhaus in Sicht kommt.

Über den Bahnhofsplatz strömen vor 8 Uhr 45 hunderte Menschen. Fast wie am Times Square in New York. Viele Pendler wechseln hier das Verkehrsmittel, stehen in vollen Bussen bis Hamilius oder Kirchberg, dann pilgern sie in Büros und Geschäfte. Ab 16 Uhr 30 dasselbe noch einmal – in die entgegengesetzte Richtung. Dennoch: Eigentlich sollten hier noch viel mehr Menschen unterwegs sein. Nur sechs Prozent der Grenzpendler nutzen den öffentlichen Transport. Alle anderen fahren mit dem Privatauto, obwohl die meisten über Stress klagen. Wie kann das sein? Und wie wird sich das entwickeln, bei steigenden Benzinpreisen und Pendlerzahlen? Werden in der Großregion Gespräche geführt, wie man die Transport-Infrastruktur und die Anbindung einzelner Verkehrsträger aneinander verbessern kann? Es scheint so. Nun wurde mit dem Bau einer Zugverbindung vom Bahnhof zum Kirchberg begonnen. Doch die ist frühestens 2012 fertig. Bis dahin bleibt die neue City noch das Ziel endloser Autokarawanen.

Für Pendler aus Trier gibt es sehr gute Zug- und Busverbindungen nach Luxemburg-Stadt. Chris arbeitet beim „Klimabündnis“ im Quartier Gare. Sie nimmt den 118er-Bus, der Grenzpendler aus Trier in 50 Minuten direkt zum Kirchberg sowie über Hamilius zu den Kliniken bringt. Der Takt sei im Februar stark verbessert worden, erzählt sie. Statt je zwei Bussen fahren nun morgens und abends jeweils neun. Chris steigt am Hamilius um und sitzt nach 75 Minuten am Schreibtisch. Unterwegs hält der Bus an einem „Park and Ride“ -Parkplatz am Grenzübergang. Da steigen viele Anzugträger zu – eine gute, aber noch ausbaufähige Anschlussmöglichkeit für Dorfbewohner.

In Richtung Minette-Region geht dagegen nichts ohne Auto. Silvia aus Trier arbeitet dort seit 1989 und fährt – nach einigen Versuchen mit Zug und Fahrgemeinschaften seit langem alleine im Pkw. Die Fahrgemeinschaften funktionierten wegen der unterschiedlichen Arbeitsschichten der KollegInnen nicht. Per Zug und Bus zu fahren würde mangels einer Direktverbindung ein dreimaliges Umsteigen erfordern. Bis Ende der Neunzigerjahre gab es noch keine direkte Verbindung per Autobahn, so brauchte Silvia 1,5 Stunden. Heute umfährt die Pädagogin die Hauptstadt und ist nach 50 bis 60 Minuten am Ziel. Sie erinnert sich: „In den frühen Achtzigerjahren haben wir gegen den Bau der Autobahn demonstriert, weil sie mitten durch den Trierer Stadtwald gelegt wurde. Jetzt bin ich froh darum.“

Ähnlich sieht es für Pendler aus belgischen und lothringischen Städten aus. Céline, die bei einer NGO arbeitet und in Metz wohnt, nimmt die Bahn. Sie kann zwischen zehn Zügen wählen, die zwischen 5 Uhr 38 und 8 Uhr in 50 Minuten nach Luxemburg fahren. Zurück gibt es zwischen 16 und 19 Uhr sogar 15 Züge. Ein sehr guter Takt und relativ kurze Fahrtzeiten – falls man nahe der Start- und Zielbahnhöfe wohnt und arbeitet. Auf diese optimierten Zugstrecken geht wohl die Steigerung der Passagierzahlen um 53 Prozent von 2004 bis 2007 zurück, die in einer TNS ILRES- Studie für das Umweltministerium kürzlich genannt wurden.

Martine lebt in einem Dorf bei Thionville. 15 Jahre lang ist sie als selbstständige Floristin mit dem Auto gefahren. „Es war eine echte Katastrophe, ich war immer im Stress, ständig im Stau. Aber ich hatte wegen flexibler Anfangszeiten keine Alternative.“ Seit 2007 ist sie als Bürokauffrau angestellt und hat feste Arbeitszeiten. „Ich fahre jetzt nur noch bis Mondorf zum Park and Ride-Parkplatz“. Hier halten alle halbe Stunde Busse der Linien 175 und 177, die in 50 Minuten von Remich über Mondorf in die Stadt fahren. So benötigt Martine nur noch eine Stunde. „Mit dem Auto würde ich wegen der Staus mindestens eine halbe Stunde länger brauchen“, sagt sie. Der Bus fährt auf einer eigenen Spur daran vorbei. „Der Parkplatz wird aber immer voller, so dass viele auf der Hauptstraße parken“, erzählt Martine. „Bald ist der Ort zugeparkt“. Sie hat auch den Zug getestet: „Der ist zwar schneller, aber ich brauche vorher lange zum Bahnhof und finde dort keinen Parkplatz.“

Viele Wünsche offen

Die nationalen Verkehrssysteme enden größtenteils noch immer an der Grenze. Ob der geplante Verkehrsverbund die Anschlüsse deutlich verbessern wird und es mehr Direktverbindungen aus größerer Entfernung gibt? Dafür müsste beiderseits der Grenzen in größerem Maßstab gedacht und geplant werden. Saarbrücker Grenzpendlern wie Edgar oder Michael stehen zwischen 4 Uhr 34 und 6 Uhr 25 nur vier Züge zur Verfügung, mit denen sie – nach beinahe 2,5 Stunden Fahrtzeit – rechtzeitig auf der Arbeit wären. Das ist indiskutabel.

Gut, dass es den bequemen Reisebus um 7 Uhr 15 gibt. In nur 75 Minuten fahren sie nonstop zum Bahnhof Luxemburg. Obwohl sie in Bahnhofsnähe wohnen und arbeiten, sind sie unzufrieden: „Sehr nervig ist, dass man die Tickets nicht am Automaten kaufen kann, sondern jeden Montag um sieben Uhr am Schalter steht, um sich zehn Tickets für die Woche ausstellen zu lassen“ Auch der Fahrpreis ist ärgerlich: 14 Euro am Tag, egal ob man wegen eines Abendtermins nur die Hinfahrt nutzt und abends für weitere 19 Euro den Zug nehmen muss. Der Bus fährt in jede Richtung nur vier Mal täglich, zuletzt ab Luxemburg um 17 Uhr 15. Es fehlt also ein Monatsabonnement und eine weitere Abendverbindung.

Zum heutigen Grenzgängerfest jedenfalls kommt keiner von uns „Da kann ich jetzt nicht mehr hin“, sagt Ragnhild. „Da fährt doch kein Bus zurück.“ Ein etwas gequältes Lachen ? auch das teilen wir.

Das Grenzgängerfest findet am Freitag, den 26. September ab 17 Uhr vor allem auf der Place d’armes und im Kulturzentrum Abtei Neumünster statt. Weitere Informationen zum Thema: www.grenzgaenger.lu und www.mobiliteit.lu


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