SOZIALWAHLEN 2008: Status quo

Zwei zu eins: Das Stimmverhältnis der beiden national repräsentativen Gewerkschaften OGBL und LCGB bleibt unverändert. Zumindest auf Ebene der Betriebsräte.

140.000 Wahlzettel sind im Arbeitsministerium eingetroffen. Einen verbindlichen Termin zur Bekanntgabe der Resultate will dort niemand nennen.

Der Trend, wie er sich in den ersten Stunden nach Schließung der Wahllokale in den verschiedenen Betrieben angekündigt hatte (siehe woxx 980), scheint sich eine Woche später weitgehend zu bestätigen. Dennoch ist es nach wie vor nicht möglich, auf eine zentrale, aktualisierte Datenbank zurückzugreifen, um eine Bewertung der Resultate in den rund 2.800 Betrieben mit Arbeitnehmervertretung vorzunehmen. Die „Inspection du Travail et des Mines“ (ITM) sammelt zwar alle Resultate, ist aber, verglichen mit den Gewerkschaftszentralen, im Hintertreffen. Registriert werden nämlich nur die offiziell gemeldeten Resultate. Doch längst nicht alle Betriebe haben ihre Zahlen an die zentrale Erfassungsstelle weitergeleitet. Außerdem wurde in gut einem Zehntel der Betriebe mit mehr als 15 MitarbeiterInnen überhaupt nicht gewählt. Das Gesetz sieht vor, dass dort die Personaldelegation durch das Arbeitsministerium eingesetzt wird. Da es sich hier vor allem um kleinere Betriebe handelt, wird die Gesamtstatistik davon allerdings nur marginal beeinflusst werden.

Frei nach dem Motto „Trau‘ nur der Statistik, die du selber gefälscht hast“, bleibt demnach nur der Rückgriff auf die Zahlen der Gewerkschaftszentralen. Und die notieren die Ergebnisse nur dann, wenn sie selber Listen oder KandidatInnen in einem bestimmten Betrieb aufgestellt haben. Da aber auch die größte Gewerkschaft des Landes, der OGBL, nicht in sämtlichen Betrieben kandidierte, bleiben bei den gewerkschaftseigenen Zahlentabellen vor allem die so genannten „Unabhängigen“ unterrepräsentiert. Das hat nichts mit bösem Willen zu tun: es ist auch für die Gewerkschaften quasi unmöglich, an verlässliche Zahlen aus jenen Betrieben zu gelangen, in denen sie faktisch nicht präsent sind.

Eine unvorsichtige Lesart der Tabellen des OGBL könnte Glauben machen, dass diese Gewerkschaft über eine absolute Mehrheit der Personalvertreter verfügt. So hieß es am vergangenen Montag, die Gewerkschaft habe 1.991 Mandate erreicht, gegenüber 594 Mandaten für den christlichen Gewerkschaftsbund LCGB, 120 für die Banken- und Versicherungsgewerkschaft Aleba, 24 für die kleineren Gewerkschaften und 501 für die „anderen“, also vor allem unabhängigen KandidatInnen. Dass zum gleichen Zeitpunkt der LCGB für sich rund 1.100 Delegierte beanspruchte, zeigt vor allem eines: In einer ganzen Reihe von Betrieben haben LCGB und OGBL nicht gegeneinander kandidiert. Deshalb ist es auch sehr schwer, das Kräftemessen der beiden national repräsentativen Gewerkschaften anhand der Betriebsresultate zu analysieren.

Immerhin hat OGBL-Präsident Jean-Claude Reding versucht, das Zahlenmaterial aus seinem Hause und die Tabellen des Konkurrenten abzugleichen. So konnten von den rund 5.100 KandidatInnen des OGBL etwa 39 Prozent einen Delegiertensitz erkämpfen, beim LCGB, der von sich behauptet, 3.800 KandidatInnen mobilisiert zu haben, haben rund 28 Prozent ein effektives Mandat erreicht. Noch schöner wird die Erfolgsquote, wenn auch die Ersatzdelegierten hinzugerechnet werden: 73 Prozent der OGBL-KandidatInnen haben eine Chance, in den nächsten fünf Jahren in die Rolle eines Personaldelegierten zu schlüpfen. Der LCGB erreichte hier eine Quote von rund 55 Prozent.

Es bleibt spannend zu erfahren, inwiefern diese Einheitslisten am Ende eine repräsentative Arbeitnehmerkammer ergeben.

Auch wenn die ITM dem Endresultat hoffnungslos hinterherhinkt, ist sie dennoch die einzige verlässliche Quelle zur Bestimmung des Gewichts der „Neutralen“. Am Mittwochabend verfügte die zentrale Erfassungsstelle über die Resultate von rund 1.600 Betriebsdelegationen. Davon sind 410 in Großbetrieben angesiedelt, in denen nach dem Prinzip der Wahllisten im Proporzverfahren gewählt wird. 1152 der erfassten Betriebe hingegen wählten nach dem Majorzverfahren. Dort gab es eine Liste, in der sämtliche KandidatInnen aufgeführt waren, aus denen eine genannte Zahl an VertreterInnen zu bestimmen war. Es fehlen demnach noch rund 700 Betriebe, was auch erklärt, weshalb der OGBL laut ITM bislang „nur“ 1.686 Mandate erringen konnte – statt der vom OGBL veranschlagten inzwischen knapp über 2.000 Mandate. Und auch der LCGB kommt in der offiziellen Statistik auf lediglich 897 Mandate, obwohl er vorgibt, die Tausender-Schwelle übersprungen zu haben. Laut ITM entfallen auf den OGBL 29,6 Prozent der Sitze, während der LCGB 25,8 der bis dahin ausgezählten Mandate für sich verbuchen kann. Die „Neutralen“ erreichen 2.644 Mandate – das wären rund 46 Prozent. Der Rest verteilt sich auf kleinere Gewerkschaften. Darunter der NGL-SNEP, der mit 32 Mandaten in die Bedeutungslosigkeit abrutscht und in keinem Betrieb mehr federführend vertreten ist.

In den kleinen Betrieben mit Majorzsystem sind zwei von drei Delegierten als „unabhängig“ eingetragen, in den Großbetrieben fällt dieser Anteil auf unter 30 Prozent zurück. Allerdings verbirgt sich hinter der Etikette „neutral“ ein Sammelsurium an KandidatInnen und Listen, die untereinander schlichtweg nichts miteinander zu tun haben. Welches Gewicht die etablierten Gewerkschaften tatsächlich aufweisen, lässt sich demnach über die Delegationswahlen nur bedingt bestimmen. Jedenfalls schält sich einmal mehr das Verhältnis Zwei zu Eins zwischen dem OGBL und dem LCGB heraus. Doch würden beide zusammen laut dieser Lesart nicht einmal die Hälfte der Arbeitnehmerschaft repräsentieren. Dies allerdings als Absage an die Gewerkschaften zu interpretieren, wäre sicherlich falsch. In vielen Betrieben ist es auch für gestandene Gewerkschafter manchmal schwierig, unter der Etikette einer Gewerkschaft zu kandidieren. In zumindest einem Fall lässt der OGBL sogar prüfen, ob eine Entlassung nicht mit der Kandidatur des Betroffenen unter dem OGBL-Label zu erklären ist. Solche Einschüchterungsversuche haben dazu geführt, dass eine ganze Reihe von OGBL- und LCGB-KandidatInnen als „neutral“ kandidiert haben. „Wenn es später allerdings darum geht, mit den Betriebsführungen zu verhandeln, dann stellt sich schnell heraus, dass eine starke Gewerkschaft im Rücken durchaus hilfreich sein kann“, sagt dazu der OGBL-Vorsitzende Jean-Claude Reding.

Auch wenn aus Gewerkschaftssicht unabhängige Listen wenig begrüßenswert sind, vermutet Jean-Claude Reding nicht unbedingt hinter jeder neutralen Liste sofort eine „Patrons“-Gewerkschaft. Es habe zwar in einigen Betrieben den Versuch gegeben, die Gewerkschaftslisten durch von Patronatsseite gesteuerte „neutrale“ Listen zu schwächen, doch seien diese Vorhaben von wenig Erfolg gekrönt gewesen. Und auch die Angst, die erstmals einheitlichen Wahlen, bei denen nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden wurde, könnten dem OGBL als Nachfolgeorganisation der „Lëtzebuerger Arbechterverband“ schaden, war unbegründet.

Angesichts der unterschiedlichen Situationen in den einzelnen Betrieben und in den Wirtschaftssektoren merkt man allerdings allen Beteiligten an, dass der vorgetragene Optimismus von einer Portion Frust begleitet wird. Der teils mit harten Bandagen geführte Wahlkampf ist zwar vorbei, die Plakate sind aus den Bushäuschen und von den Wänden verschwunden. Doch solange die Zusammensetzung der Salariatskammer nicht bekannt ist, darf der „relative“ Gewinner der Delegationswahlen, nämlich der OGBL, noch nicht den Anspruch erheben, auch auf nationaler Ebene federführend zu sein. Die „Neutralen“ spielen bei dieser Wahl keine Rolle und somit reduziert sich das Feld vor allem auf die drei großen Listen: den OGBL, den LCGB und die ALEBA. Letztere muss allerdings noch darum bangen, in ihrem Sektor die 50 Prozent-Hürde zu überschreiten, um auch in Zukunft allein Kollektivverträge aushandeln zu können.

Ohne die Resultate der Salariatskammer lässt sich zudem nur schwer abschätzen, inwiefern das Einheitsstatut die Aufstellung der Gewerkschaften in Zukunft beeinflussen wird. Zwar haben alle Verbände auch schon früher den Anspruch erhoben, alle Berufskategorien repräsentieren zu wollen, doch boten die jetzt abgehaltenen Wahlen erstmals die Gelegenheit, einheitliche Listen aufzustellen. Es war also den Gewerkschaften überlassen, die Anzahl der KandidatInnen nach Sparten und Kategorien zu gewichten. Unabhängig vom Resultat der einzelnen Gewerkschaften bleibt es spannend zu erfahren, inwiefern diese Einheitslisten am Ende eine repräsentative Arbeitnehmerkammer ergeben. Aus den Abgeordnetenwahlen ist ja etwa bekannt, dass untere Chargen und Frauen das Nachsehen haben.

Umso bedauerlicher, dass seitens des Arbeitsministeriums nicht die nötigen technischen und menschlichen Ressourcen bereitgestellt wurden, um diese historisch bedeutsamen Wahlen in einem annehmbaren Zeitraum abschließen zu können. Auch wenn die neue Kammer ihre Arbeit erst im Januar aufnimmt, wäre eine zeitgleiche Publikation der Betriebsresultate mit denen der Kammerwahlen sicherlich von Vorteil gewesen. Besonders in Krisenzeiten.


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