REGIERUNGSBILDUNG: Streng geheim!

Nahezu einstimmig haben die Delegierten der CSV und LSAP einem Regierungsprogramm zugestimmt, dessen genauer Inhalt ihnen bis dato unbekannt ist.

Die Zeiten wo die Sozialisten auf gleicher Augenhöhe mit der CSV diskutieren konnten, sie sind eindeutig vorbei.

Wie seinen Augapfel hütete Marc Colas, Generalsekretär der Regierung, am vergangenen Montagvormittag im viel zu kleinen Pressesaal des Arbeitsministeriums den mit dem Aufkleber „Accord de Coalition 2009“ versehenen dicken DIN A4 Ordner. Kurz zuvor hatten Jean Claude Juncker als „Formateur“ sowie Jean Asselborn und François Biltgen als Leiter der LSAP- beziehungsweise CSV-Verhandlungsdelegation ihre Unterschrift auf das Deckblatt des Ordners gesetzt und damit feierlich das Ende der Koalitionsverhandlungen verkündet. Doch über den Inhalt schwiegen sie sich, wie schon in den Wochen zuvor, weitgehend aus. Zuerst sollten die zuständigen Gremien der beiden Koalitionspartner Kenntnis von dem Koalitionsprogramm bekommen, um dem Ergebnis dann zustimmen zu können – was dann auch noch am selben Abend auf zwei getrennt tagenden Kongressen geschah.

Ohne Gegenstimme bei der CSV und mit nur drei Enthaltungen und drei Gegenstimmen bei der LSAP fand dann die Prozedur ihr offizielles Ende. Während die CSV-Delegierten mit völlig leeren Händen der Rede des Verhandlungsführers und Parteipräsidenten zuhörten, bevor es an die Abstimmung ging, fanden die Vertreter der LSAP immerhin ein 18-seitiges Resümee der Koalitionsvereinbarungen in ihrer Kongressmappe vor. „Ich mache mir weniger Sorgen um das, was in dem Dokument steht, als um das, was nicht drin steht“ so der Süd-Delegierte und Bürgermeister von Monnerich, Dan Kersch. Mit dieser Formel brachte er auf den Punkt, was viele an der Basis empfanden: Wenn dieses Abkommen tatsächlich so großartig ist, wie die Verhandlungsführer beteuern, dann sollte es doch kein Problem sein, den Mitgliedern – und damit der Öffentlichkeit – den genauen Wortlaut des Textes zugänglich zu machen. Aber Kersch anerkannte das Problem der Verhandlungsdelegation: Die LSAP habe in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Anhängerschaft verloren – im Gegensatz zur CSV. Anlässlich der Koalitionsverhandlungen in den achtziger Jahren hätte man noch auf gleicher Augenhöhe mit den Christsozialen verhandeln können.

Umso erstaunlicher, dass am Ende nur sechs LSAP-Delegierte dem Papier ihre Zustimmung verweigerten. Beim letzten Koalitionsabkommen hatten sich deutlich mehr Genossen und Genossinnen gegen eine Koalitionsbeteiligung ausgesprochen. Doch diesmal scheint die Parteidisziplin stärker gewesen zu sein. Es galt, der durch das schlechte Wahlergebnis geschwächten LSAP nicht durch ein schlechtes Abstimmungsergebnis noch in den Rücken zu fallen. Immerhin hatte Jean-Claude Juncker mehrfach in aller Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass es nicht darum gehe, die LSAP über den Tisch zu ziehen. Deshalb werde auch bei der Mandatsverteilung innerhalb der Regierung der Verteilungsschlüssel „neun Ministerposten für die CSV und sechs für die LSAP“ beibehalten werden – obwohl die CSV nach dem Wahlgang vom 7. Juni über doppelt so viele Abgeordnete verfügt wie die LSAP.

Freilich deutete Juncker auf dem CSV-Kongress die Formel für die Mandatsverteilung etwas um: Von 33 Kompetenzbereichen innerhalb der Regierung fallen 23 an die CSV und zehn an die LSAP. Auch wenn hier sehr unterschiedliche Bereiche in einen Topf geworfen werden, so fällt doch auf, dass die CSV-Minister – im Gegensatz zu ihren LSAP-KollegInnen – in der Regel mehreren „großen“ Ministerien vorstehen. Zwischen den beiden Koalitionspartnern gewechselt haben vor allem die Ressorts der ausscheidenden Minister. Die Sozialisten geben die Umwelt und den Transport ab und erben dafür Landwirtschaft und Arbeit. Ein Tausch, der im Endeffekt dazu führt, dass der CSV jene Ministerien zufallen, „mit denen die Zukunft gestaltet werden kann, während die LSAP vor allem das Elend verwalten darf“ – so jedenfalls charakterisierte der Fraktionschef der Grünen die Sache bei einer ersten Auswertung des Koalitionsabkommens.

Dass die Sozialisten das Arbeitsministerium übernehmen würden, war zwar schon länger durchgesickert. Nicht wenige LSAP-Delegierte, wie etwa Vera Spautz, brachten ihre Sorge zum Ausdruck, dass die LSAP sich hier eine blutige Nase holen könnte. Und auch wenn Jean-Claude Juncker auf dem CSV-Kongress fast unter Tränen erklärte, wie weh es ihm tue „sein Lieblingsministerium“ an den Koalitionspartner abzugeben, so fällt es doch schwer zu glauben, dieser Tausch sei ein von den Sozialisten gewünschter gewesen. Das Resümee des Koalitionsprogrammes bietet nur Andeutungen bezüglich der Prioritätenstellung, die sich die Regierung in den von der LSAP zu verantwortenden Sozialdossiers geben will, und eine Vokabel wie „selectivité sociale“ – solange sie nicht klar definiert ist – lässt Böses ahnen (siehe dazu auch das Editorial dieser Ausgabe).

Zwei Minister in einem Superministerium

Die eigentliche Innovation dieser Regierungsbildung dürfte die Schaffung eines „Superministeriums“ für nachhaltige Entwicklung sein: Neben den öffentlichen Bauten werden Transport, Umwelt und Landesplanung zusammengeführt. Die Leitung übernimmt Claude Wiseler, ihm zuarbeiten soll Marc Schank. Eine Konstellation, die nur vordergründig den Wünschen der Umweltverbände entgegenkommt. Denn dem Superministerium fehlt jenes Schlüsselressort, welches in Zusammenhang mit der Nachverhandlung des Kioto-Abkommens von höchster Bedeutung ist: die Energieversorgung. Der Mouvement Ecologique hatte sich im Vorfeld der Wahlen für ein Zukunftsministerium mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklung, Klima, Energie und Umwelt“ stark gemacht. Damit war eine Aufwertung des jetzigen Umweltministeriums gemeint. „Statt eines eigenständigen gestärkten Umweltministeriums wurde die Umwelt nun einem anderen Ministerium mit vielfältigen Kompetenzen einverleibt“, moniert die Umweltgewerkschaft. Dies berge die Gefahr, dass die Stimme der Umwelt an Kraft und Durchsetzungsvermögen verliere, denn „das Landesplanungsministerium hat zum Beispiel darüber hinaus per se die Funktion, eine Interessenabwägung zwischen Raumplanung, ökonomischen Belangen und auch der Umwelt zu leisten“. „Kann der Minister und sein delegierter Minister hier eine starke Stimme für die Umwelt sein und gleichzeitig Mittler zwischen den Sektoren?“, fragen sich die UmweltschützerInnen.

Die genannte Zusammenlegung der Kompetenzen bietet für den Méco trotzdem Chancen. Mit einem starken Nachhaltigkeitsministerium dürfte gewährleistet sein, dass sowohl auf der Ebene der Landes- als auch der Mobilitätsplanung langfristige Interessen Vorrang haben. So müssten zum Beispiel Straßenbauprojekte zurückgestellt werden und dem öffentlichen Transport eine klare Priorität zuerkannt werden – mit der Realisierung der Stadtbahn als dem dringlichsten Vorhaben. Eine Bündelung von Landesplanung, Mobilität und Bautenverwaltung könnte es erlauben, die Prioritäten neu zu definieren. Zeigen die beiden Minister in diesem Sinne genügend Stärke, könnten auch innerhalb der Regierung die Belange der nachhaltigen Entwicklung an Gewicht gewinnen.

Doch neben der Kompetenzverteilung und der Personalkonstellation innerhalb der Regierung dürfte entscheidend sein, wie weit sich die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung im gesamten Koalitionsabkommen wiederfinden. Der Méco begrüßt zwar Ansätze wie die Steigerung der Energieeffizienz, den Ausbau der Umwelttechnologien, die Förderung der erneuerbaren Energien, die Steigerung des Biolandbaus… Doch plagen die Umweltschützer die gleichen Probleme wie die gesamte Luxemburger Öffentlichkeit: Die Ausführungen im Koalitions-Resümee sind derart vage gehalten, dass eine klare Orientierung oder gar eine Zielsetzung kaum zu erkennen ist.

In die gleiche Kerbe hauen die Grünen, die vor allem Ansätze einer nachhaltigen Steuerreform vermissen. Weil aber zudem das ganze Koalitionsprogramm unter dem Damoklesschwert des Finanzierungsvorbehalts stehe, sei nicht erkennbar, welche der skizzierten Vorhaben denn nun tatsächlich in den nächsten fünf Jahren realisiert werden könnten. Zwar haben LSAP-Verhandlungsführer Jean Asselborn und Parteichef Alex Bodry während des Sonderkongresses sämtliche Bedenken, dass der Regierung hier ein Blankoscheck ausgestellt werde, für unbegründet erklärt, und auch die Basis hat erneut die Kröte geschluckt. Doch hätte eine Offenlegung des gesamten Abkommens den Aussagen der Parteispitze sicherlich mehr Glaubwürdigkeit verschafft.


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