ENTWICKLUNGSHILFE: Die Pranke beißen

Indem sie die Rolle Luxemburgs bei der Steuerflucht aus Entwicklungsländern anprangern, haben NGOs einen Tabubruch begangen.

Eine Welle der Entrüstung hat die in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie „Zur Debatte um Steueroasen – Der Fall Luxemburg – Fragen aus entwicklungspolitischer Sicht“ ausgelöst. Sie sei „ein schlampig recherchiertes Machwerk, das vor allem die Vorurteile seines Autors und seiner Auftraggeber dokumentiert“, konnte man im Luxemburger Wort lesen. Und bei Gelegenheit der Regierungserklärung kritisierte der Premierminister, die Glaubwürdigkeit der luxemburgischen Entwicklungshilfe werde erschüttert durch „primäre und primitive Studien“.

Diese negativen Reaktionen sind zwar nicht verwunderlich, aber ungerechtfertigt angesichts der durchaus nuancierten Darstellung, durch die sich besagte Studie auszeichnet (woxx 1016). Zwar beruht die Aussage, der Finanzplatz koste die Dritte Welt mehr, als die Entwicklungshilfe einbringe, in der Tat auf einer groben Schätzung: Wenn Luxemburgs Banken 7,5 Prozent der Fluchtgelder aus dem Süden verwalten, sind das 250 Milliarden Dollar, die jedes Jahr etwa 2,5 Milliarden Quellensteuern einbringen könnten, so die Rechnung. Dass die Studie keine zuverlässigen Zahlen nennen kann, ist jedoch keine „Schlamperei“, sondern Folge der weltweit, und insbesondere in Luxemburg, geübten „Diskretion“, wenn es um diese Art von Finanzflüssen geht.

Man mag bemängeln, dass etwas als Studie ausgegeben wird, was mit 26 Seiten eigentlich nichts weiter als eine Einführung in das Thema sein kann. Doch gerade in der Finanzwelt ist man eigentlich viel oberflächlichere „Studien“ gewohnt – nur dass dort die Inhalte weniger unangenehm sind. Die Autoren der Studie hätten „keine Ahnung“, wird der Bänkervertreter Jean-Jacques Rommes vom Tageblatt zitiert: „Wir interessieren uns für die Golfstaaten, in Afrika vermarkten wir den Finanzplatz nicht mal.“ Erstaunlich nur, was in einer der größten aufgedeckten Fluchtgeld-Affären zu Tage kam: Der nigerianische Diktator Sani Abacha hatte über 500 Millionen Dollar in Luxemburg hinterlegt, fast so viel wie in der Schweiz. Nur ein Zufall?

Doch Finanzwelt und Politik begnügen sich nicht mit Kritik an der Studie, sie schlagen auch zurück. Jean-Claude Junckers Regierungserklärung enthielt eine kaum verhüllte Drohung: „Wir werden absolut nicht zulassen, dass diese kollektive nationale Anstrengung [die Entwicklungshilfe] unglaubwürdig gemacht wird durch primäre und primitive Studien, die ausgerechnet von den Entwicklungs-NGOs angeregt wurden.“ Mit anderen Worten, diese NGOs sollen die Hand nicht beißen, die sie füttert.

Junckers Aufregung ist verständlich, denn zum ersten Mal wird in diesem Papier der Widerspruch zwischen dem Geschäftsmodell eines Finanzplatzes und den Zielen der Entwicklungspolitik in Luxemburg so deutlich thematisiert. Doch in Ländern wie der Schweiz und Österreich ist diese Debatte längst Normalität, und nur rechtsnationale PolitikerInnen fordern eine „Bestrafung“ der auf diesem Feld aktiven NGOs.

Anderseits werden die luxemburgischen NGOs im Ausland manchmal für die finanziellen Möglichkeiten, die mit einer konsequenten staatlichen Entwicklungshilfe einhergehen, beneidet. Am Streit um diese Studie wird sich zeigen, ob diese finanziellen Möglichkeiten nicht ein goldenes Gitter sind, das die Zivilgesellschaft daran hindern soll, grundsätzliche Kritik zu üben. Oder ob auch unangenehmen Fragen wie diese Teil der „Sträitkultur“ sind, die Juncker selber vor Jahren herbeigewünscht hatte.


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