EPICERIE SOCIALE: Du bist, was du isst

Almosenpolitik oder Solidargemein-schaft? Die Sozial-Läden wollen in Armut geratenen Menschen Lebens- und Hygienemittel günstig zur Verfügung stellen.

Der Sozial-Laden funktioniert nur, wenn auch genügend gespendet wird.

In der „Epicerie sociale“ kostet 1 kg Luxemburger Weizenmehl 0,30 Euro. Das 300gr-Glas Honig „Imker-Auslese“ ist für 1,40 Euro zu haben, und eine Schachtel OB mit 40 Tampons kostet gerade mal 1,80 Euro. Auch die Restbestände an Süßigkeitstüten vom Nikolaustag, die sorgfältig auf den Holzregalen im Sozialladen gestapelt liegen, sind schon für 1,50 Euro zu haben. Der „Caritas-Buttek“ in Esch (Rue Dicks) und der „Croix-Rouge Buttek“ in Differdingen (Grand-rue) wollen Geschäfte wie alle andern sein – mit dem Unterschied, dass hier Lebensmittelwaren, Reinigungsmittel und Hygieneartikel gegen eine finanzielle Beteiligung von etwa einem Drittel des Marktpreises ausgegeben werden. Die Kunden sind Alleinerziehende, Arbeitslose, Rentner und Lohnempfänger, die an der Armutsgrenze leben, jedoch über eine eigene Wohnung und eine Kochgelegenheit verfügen. Was sie verbindet, ist der Besitz der persönlichen Zugangskarte zu den Läden von Caritas und Rotem Kreuz. Diese wurde ihnen vom Sozialamt (office social) oder einem staatlich anerkannten Sozialdienst nach Prüfung ihrer Bedürftigkeit für maximal sechs Monate zugeteilt. Seit fast einem Monat gibt es nun schon den Sozial-Laden in Esch. Ein zweiter wurde in der vergangenen Woche in Differdange eröffnet; weitere sind geplant.

In diesem Zusammenhang fand in der letzten Woche ein Rundtischgespräch zum Thema „Précarité et Alimentation“ statt, bei dem Vertreter des Familienministeriums, der städtischen Sozialbüros sowie der beiden Trägerorganisationen anwesend waren.

„Ein Sozial-Laden ist notwendig als Konzept gegen die Armut und als Alternative zur Verschwendung“, so Marco Hoffmann, Koordinator der „Epicerie sociale“ bei der Caritas. Rund 13,4 Prozent der Luxemburger Bevölkerung lebten am Existenzminimum. Die Wirtschaftskrise habe die Arbeitslosenzahlen noch erhöht. „Die Situation ist dramatisch“, meint auch Vera Spautz, LSAP-Abgeordnete und Schöffin der Stadt Esch. Binnen eines Jahres hätten rund ein Drittel mehr Menschen das lokale Sozialbüro aufgesucht. Hauptsächliche Gründe: Kurze Arbeitsverträge bei Interimsfirmen seien abgelaufen, Firmen in die Insolvenz geraten. „Ein weiteres Problem sind die teuren Wohnungen“, so Spautz. Zwar verfüge die Gemeinde Esch über rund 400 Sozialwohnungen, doch die Warteliste sei lang und Einrichtungen wie das „Foyer de nuit“ platzten aus allen Nähten. Bedenklich sei weiter, dass Armut zunehmend auch die Mittelschicht treffe: gut bezahlte Angestellte, die plötzlich arbeitslos werden und überschuldet sind. Auch Jean-Paul Reuter, Verantwortlicher der Sozialabteilung in Differdingen, kennt die Probleme; die Rate der RMG-Empfänger ist in seinem Zuständigkeitsbereich mittlerweile doppelt so hoch wie im Rest des Landes. Die zuständigen Sozialbüros sind zunehmend überfordert: „Wir haben das Gefühl, die Menschen nur noch finanziell zu versorgen, ohne wirkliche Sozialarbeit zu leisten“, stellt Reuter verbittert fest.

Aus all diesen Gründen ist die „Epicerie sociale“, an deren Betrieb sich engagierte Ehrenamtliche und Nachbarn beteiligen, eine wichtige Einrichtung. Stärker als normale Geschäfte sollen die Sozial-Läden Orte der Begegnung und auch der Information und der Gesundheitsberatung sein. In einer späteren Phase ist für den Sozial-Laden von Differdingen auch eine Küche geplant. In Kochkursen mit Freiwilligen soll das sparsame Kochen, aber auch eine gesunde Ernährungsweise propagiert werden. Wie allerdings das Letztere bei dem derzeitigen Angebot der „Epicerie sociale“ realisiert werden soll, ist schwer zu erkennen; hier klaffen Wunschvorstellung und Realität doch stark auseinander. Zeigen die Broschüren der Sozial-Läden lächelnde Konsumenten mit prall gefülltem Einkaufskorb vor einem bunten Supermarktsortiment, so sieht das tatsächliche Angebot eher trist aus. Die vertretenen Lebensmittelmarken sind überwiegend solche des unteren Segments, und ob man mit Mehl, Öl, Essig, Dosengemüse und Cornflaces ein Gericht ? gar ein gesundheitlich wertvolles – kochen kann, muss wohl dahingestellt bleiben. Es mangelt an Gemüse und Obst, an Milchprodukten und auch an Fleisch und Fisch. Es fehlen Babyprodukte, wie etwa günstige Windeln. Alles eigentlich unverständlich angesichts des auch in unserer Gesellschaft täglich anfallenden Überschusses. Genussmittel sind gar nicht vorhanden, Zigaretten und Alkohol sind tabu. Obwohl Auflagen einen Missbrauch einschränken könnten.

Kaum Sozialarbeit möglich

„Das Angebot schafft die Nachfrage“, argumentieren die Verantwortlichen. Das Projekt sei erst in der Anfangsphase. Es stimmt – die Warenzentrale „Spëndchen asbl“, ein Zusammenschluss aus Caritas, dem Roten Kreuz und der „Aarbechtshëllef“ hat den logistischen Betrieb erst vor kurzem aufgenommen. Sie akquiriert Waren, die in einem zentralen Lager in Bartringen gelagert werden, bevor sie an die verschiedenen Sozial-Läden verteilt werden. Die Waren für die „Spëndchen“ kommen aus mehreren Quellen: „Wir sind auf Spenden, Überproduktionen und Geschäftsauflösungen sowie den Überschuss von großen Supermärkten angewiesen“, erläutert Marco Hoffmann. Daneben gibt es die Produktpatenschaften. Sie bestehen darin, dass Banken oder sonstige Händler ein Jahr lang gewisse Produkte sponsern. Dies ist insbesondere bei Produkten hilfreich, deren normales Aufkommen gering ist. „Wir nehmen alle Waren, die wir bekommen, sofern sie eine gute Qualität haben“, betont Hoffmann. Abgelaufene Produkte würden generell nicht angeboten. Man sei uneingeschränkt an die gesetzlichen Auflagen für die Aufbewahrung von Lebensmitteln gebunden – was viel Logistik und apparativen Aufwand, etwa Kühlschränke, nötig mache. Ziel sei insgesamt, eine Produktpalette von mindestens 80 verschiedenen Waren anzubieten. „Wir kaufen selbst auch Waren hinzu“, erklärt Hoffmann das Verfahren, das bisher noch verlustträchtig ist. Deshalb bemühe man sich auch, Ehrenamtliche zu gewinnen oder Helfer einzustellen, die über eine „mesure pour l’emploi“ entlohnt werden. „Die Sozialläden sind keine Patentlösungen. Wir erheben nicht den Anspruch, mit diesem Konzept alle Bedürfnisse abzudecken“, betont Marc Crochet, Verantwortlicher des Roten Kreuzes.

Im französischen Grenzgebiet hat man eine differenziertere Sicht auf die Dinge gewonnen. „Die Betroffenen kommen nicht in die Sozialläden, weil sie Hunger haben. Sondern weil ihnen das Geld fehlt, den kaputten Auspuff des Autos zu reparieren“, meint Geneviève Avoundogba, Vorsitzende des „Centre communal d’action sociale“ (CCAS) von Florange. Seit 13 Jahren funktioniert hier der lokale Sozialladen unter der Vormundschaft der Gemeinde mit zwei Angestellten und vielen Ehrenamtlichen. Waren es hier 2008 noch 185 Haushalte, die den Sozialladen beanspruchten, so ist diese Zahl infolge der Wirtschaftskrise um 50 Prozent gestiegen. Zu den Betroffenen gehören arbeitslos gewordene und überschuldete Grenzgänger. Sinkende Gehälter und erhöhte Abgaben bringen viele Familien in Schwierigkeiten. Nicht wenige müssen vom „Salaire minimum interprofessionnel de croissance“ leben. Das sind 1.000 Euro netto pro Monat. „Wenn hier der Auspuff des Autos kaputtgeht, das für die Fahrt zur Arbeit benötigt wird, dann geht gar nichts mehr“, so Avoundogba. Deshalb helfe der Sozialladen Kosten zu sparen ? mehr nicht. Eine „Conseillère en économie sociale et familiale“ vermittelt Spar- und Verbrauchertricks zu vermitteln.

Keine Patentlösungen

Damit die Betroffenen für die Zeit nach dem Sozial-Laden gewappnet sind, wird ihnen auch weiterhin der Marktwert der gekauften Waren mitgeteilt: „An der Kasse bekommen Betroffene den realen Wert ihres Warenkorbes mitgeteilt. Auch wenn sie letztlich nur 10 Prozent dieses Preises bezahlen müssen“, so Avoundogba. Gratis seien dagegen Produkte mit kurzem Haltbarkeitsdatum, aber auch Frischprodukte, die im Gegensatz zu Luxemburg hier keine Mangelwaren sind. „Wir haben viel Obst und Gemüse dadurch, dass wir über eigene Gärten und Gewächshäuser verfügen“, erklärt Avoundogba. Bearbeitet würden diese von den eigenen Hilfsempfängern über befristete Arbeitsverträge.

„Die Sozial-Läden betreiben Almosenpolitik“, meint Vera Spautz. Das eigentliche Problem sei die Politik, die es versäume grundlegender auf strukturelle Missstände zu reagieren. Die Sozial-Läden hätten den Nachteil, dass sie ihre Kunden stigmatisieren. Der Konsumentenschutz existiert hier nicht, Betroffene müssten sich überwinden und ihre Armut erst einmal vor dem Sozialamt eingestehen. Neben den Sozial-Läden, die sicher ein ausbaubares Potential haben, seien somit auch andere Konzepte durchaus interessant. „Esch hat eine Anfrage vom Objectiv plein emploi vorliegen. Sie wollen eine Hilfsmaßnahme anbieten, die Bedürftige ebenso wie Nichtbedürftige in Anspruch nehmen können“, erläutert Spautz. Eine weitere Initiative ist der „Cent-Buttek“, der zurzeit mit der Stadt Luxemburg verhandelt. Diese Initiative funktioniert wie die „Tafel“ in Deutschland: Gegen einen geringen Obolus erhält man eine Kiste mit gespendeten Lebensmitteln.

Welche Hilfe letztlich am besten ankommt, wird die Zeit zeigen. Ingesamt jedoch ist die Ausgabe von Lebensmitteln und Waren allein nicht geeignet, die individuellen oder auch strukturellen Ursachen von Armut zu bekämpfen. Eine Trägerschaft bedeutet somit gleichzeitig die Übernahme der Verantwortung, für Bedingungen einzutreten, die den Befähigungsgedanken in den Mittelpunkt stellen.

Siehe: www.buttek.lu


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