ÖFFENTLICHER NAHVERKEHR: Von „soll“ und „ist“

Fast unbemerkt vollzieht sich bei den Busbetrieben der Stadt Luxemburg ein kleine Revolution. Ein zentrales Leitsystem soll demnächst dazu beitragen, das Busfahren nutzerfreundlicher zu machen. Big Brother einmal von der schönen Seite.

DFI – Dynamische Fahrgastinformation: Noch findet die Trockenübung im Saal der Leitstelle der AVL in Hollerich statt. Im Mai soll die erste Informationstafel am Park and Ride in der Rue de Bouillon in Betrieb genommen werden.

Die städtischen Busse haben es sich per TNS-Ilres Umfrage bestätigen lassen: Die KundInnen haben die vor etwas mehr als einem Jahr erfolgte Linienumstellung insgesamt positiv aufgenommen. 86 Prozent erklären sich zufrieden mit dem neuen Linienverlauf, 77 Prozent finden die Taktfrequenz der Busse in Ordnung.

Dennoch hagelt es Reklamationen und bitterböse Leserbriefe. Und noch mehr frustrierte BusnutzerInnen äußern sich nicht, sondern fressen ihre tagtäglichen Probleme mit dem städtischen Busdienst in sich hinein: Verspätungen, ausgefallene Busfahrten, Streckenänderungen oder -unterbrechungen wegen Baustellen – wer viel mit dem Bus fährt, muss ständig auf nervenzehrende Überraschungen gefasst sein.

Auch sporadische NutzerInnen haben ihre Probleme mit einem System, das sehr wenig überschaubar ist. Denn gerade die Kommunikation mit den Fahrgästen ist ein Schwachpunkt: Wo bin ich gerade, wo muss ich umsteigen, wie lange werde ich brauchen und wann kommt der nächste Bus? Wer nicht mit seinem Laptop unterwegs ist und sich drahtlos durch die einschlägigen Internetseiten hangeln kann, sieht sich einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber.

Bescheidene Versuche, hier Verbesserungen einzuführen, hatte es in der Vergangenheit zwar gegeben. So sollten Leuchttafeln in den Bussen den jeweils nächsten Halt anzeigen. Doch so richtig funktioniert hat das vielfach belächelte System in den wenigsten Fällen. Mal tat sich auf den Leuchttafeln gar nichts, mal hinkten die Anzeigen zwei Stationen hinterher oder preschten unkontrolliert voraus.

Das in dieser Woche öffentlich vorgestellte neue ITCS-Busleitsystem der städtischen Busbetriebe AVL soll hier Remedur schaffen. ITCS steht für „Intermodal Transport Control System“ und setzt sich aus Komponenten in den Fahrzeugen, in der Betriebszentrale und an den Haltestellen zusammen. Eine erste – bereits im August 2009 abgeschlossene – Phase brachte zunächst Komfortverbesserungen für das Fahrpersonal. Ein neues digitales Bündelfunksystem nach dem Tetra-Standard erlaubt es seitdem, einzelne BusfahrerInnen gezielt anzufunken und eventuelle Betriebsstörungen genauer zu erfassen. Vorbei sind somit die Zeiten, als Mitteilungen an bestimmte FahrerInnen im ganzen Netz zu hören waren und die Kommunikation nur mühsam vonstatten ging. Zu dem Paket gehört auch ein effizienteres Notrufsystem, das auf diskreten Knopfdruck einen Alarm in der Zentrale auslöst und ein Hineinhören in den Bus erlaubt, ohne dass dies dort bemerkt wird.

Während der zweiten Phase, die bis Ende März abgeschlossen sein soll, wurden beziehungweise werden die über 150 Busse der AVL und die im Auftrag der Stadt fahrenden Privatbusse auf das Leitsystem umgerüstet. Neben einem Bordrechner und zusätzlichen Komponenten für den digitalen Funkverkehr dürften die sichtbaren Teile schon manchen BusnutzerInnen aufgefallen sein: Über dem Armaturenbrett finden sich in allen Bussen kleine, mit einem Touchscreen ausgestattete Terminals, die die eigentliche Schnittstelle zwischen FahrerInnen und Gesamtsystem bilden. Die wichtigste Information haben die FahrerInnen dabei ständig vor Augen: um wieviel weicht die tatsächliche Fahrzeit von der im Fahrplan vorgesehenen ab?

Sprechende Busse

Eine andere Neuerung, die die BusnutzerInnen in dieser Phase ebenfalls zu spüren oder besser zu hören bekommen: Nach und nach beginnen die städtischen Busse zu „sprechen“ und kündigen die jeweils nächste Haltestelle auch akustisch an.

Die neuesten Busse verfügen außerdem über eine sogenannte Linienverlaufsanzeige. Diese zeigt nicht nur die nächste Haltestelle, sondern auch die drei jeweils folgenden Stationen sowie den Endhaltepunkt der Linie an. Dies stellt für die Fahrgäste wohl die sichtbarste Verbesserung dar. Denn das ITCS zeigt minutengenau die verbleibende Fahrtdauer bis zu den erwähnten Stopps an. Dabei werden nicht die im Fahrplan aufgeführten „Soll“-Zeiten angegeben, sondern die vom Computer errechneten „Ist“-Werte. Wenn sich also auch in Zukunft Verspätungen nicht vermeiden lassen, so werden die Fahrgäste doch wenigstens genau über ihre Ankunftszeit unterrichtet. Außerdem erfahren sie, welche Anschlüsse es an den jeweils angesteuerten Haltestellen gibt. Ansonsten halten sich aber die sichtbaren Vorteile des ITCS-Sytems auch in dieser zweiten Phase in Grenzen.

Erst nach der abschließenden dritten Phase dürften sich die Vorzüge des mit rund 5 Millionen Euro veranschlagten Systems allen erschließen: Von Mai bis September 2010 sollen 60 „dynamische Fahrgastinformationstafeln“ (DFI) aufgestellt werden, die an den wichtigsten Haltestellen die verbleibende Zeit bis zur Ankunft der jeweils vier nächsten Busse angeben – und zwar ebenfalls die „Ist“-Zeiten, sofern es sich um vom System erfasste Busse handelt. Die mit dem Überlandbussystem RGTR gemeinsam betriebenen Linien werden hier (noch) nicht erfasst. Diese Busse werden deshalb auf den Tafeln mit der im Fahrplan vorgegebenen Zeit aufgeführt. Hier sind freilich Missverständnisse und Ärger vorprogrammiert. Denn es kann durchaus der Fall eintreten, dass ein bestimmter Bus vom Display verschwindet, obwohl er den Halt noch gar nicht erreicht hat. An zentralen Haltepunkten mit mehreren Haltesteigen, wie dem Bahnhofsvorplatz oder dem Centre Aldringen, kommen zusätzlich 8-zeilige Displays zum Einsatz, die die Abfahrten aller Linien mit Angabe des jeweiligen Quais anzeigen. Wer etwa schnell vom Bahnhof in die Stadt kommen will, kann sich direkt zum Bus mit der nächsten Abfahrt begeben und sich so das Studieren der Abfahrtspläne sparen.

Auch in den Bussen wird es zu einer merklichen Verbesserung der Fahrgastinformation kommen. Die Leitzentrale hat direkten Einfluss auf die Peripheriegeräte in den Bussen und kann so zum Beispiel Verspätungen und deren Ursachen durch einen laufenden Text auf der Anzeigetafel oder durch eine akustische Durchsage mitteilen. Die FahrerInnen erhalten auf diesem Wege ebenfalls genauere Informationen und können so die Fahrgäste gegebenenfalls bereits beim Einstieg vorwarnen und Fragen mit mehr als dem bislang üblichen Achselzucken beantworten.

Für die Verantwortlichen, wie Laurent Hansen, Verkehrs-Ingenieur bei den städtischen Busbetrieben, und den Chef-Kontrolleur Serge Magar ist aber die Langzeitwirkung des neuen System das Entscheidende. Denn hinter dem Ganzen steht die genaue Ortung der Busse per GPS. Damit lassen sich nicht nur Probleme, extreme Verspätungen oder gar Totalausfälle in Sekundenschnelle zentral erfassen, sondern es entsteht auch die Möglichkeit, durch statistische Auswertungen über längere Zeiträume bestimmte Regelmäßigkeiten, wie etwa immer wieder auftretende Staus, in die Fahrplanberechnung mit einfließen zu lassen.

Gerade bei den hochfrequenten Linien, die alle 10 Minuten oder noch öfter zirkulieren, sind die angeschlagenen Fahrpläne eigentlich bloße Theorie. Wenn die DFI über den ganzen Stadtkern aufgestellt sind, werden die Fahrpläne für diese Linien zumindest in den Hauptverkehrszeiten kaum noch einen Sinn haben und wohl gänzlich abgeschafft werden.

Ampeln als Kumpel

Aber die Bus-Verantwortlichen wollen ja nicht tatenlos zusehen wie die Busse in den Staus stecken bleiben, sondern sie schneller durch den Berufsverkehr hindurchlotsen. Neben dem Ausbau der Busspuren im Stadtgebiet ist deshalb noch eine weitere Komponente des ITCS von Bedeutung, die zusammen mit dem „service de la circulation“ vorbereitet wird. An strategisch wichtigen Kreuzungen sollen Lichtbeeinflussungsanlagen (LSA) die Ampeln steuern und Bussen bei Bedarf Vorrang geben. Dies soll auf intelligente Wiese geschehen: Ist ein Bus zu früh dran, hat es keinen Sinn, ihn schnell über die Kreuzung zu lotsen. Hat er aber eine Verspätung eingefahren, kann er dank LSA an der entsprechenden Zahl von Kreuzungen wieder Zeit gutmachen.

Ein derart komplexes System ist natürlich anfällig für kleinere Pannen. Die laufende Testphase soll helfen, Fehler und ihre Ursachen zu erkennen. Gerade das Finetuning ist nervenzehrend. Manchmal werden die Haltestellen zu früh, manchmal zu knapp angekündigt. Die Programmierung der einzelnen Fahrten ist mühsam und bedeutet auch, dass Linien- oder Streckenführungen nicht mehr von einem Tag auf den anderen verändert werden können.

Wohl deshalb trauen sich die Verantwortlichen noch nicht so recht, alle Möglichkeiten, die das System bietet, voll auszuschöpfen. Denn die im Bus befindlichen Anzeigen könnten durchaus auch die Abfahrtszeiten der Anschlussbusse angeben und sogar Anschlusssicherungen aussprechen. Dem Fahrgast könnte so garantiert werden, dass eine bestimmte Linie mit geringer Frequenz die Ankunft eines eventuell verspäteten Busses auf jeden Fall abwartet und er deshalb seine Fahrt regulär fortsetzen kann. Diese Verbesserungen – interessant vor allem bei Linien mit geringer Frequenz, wie den City-Night-Bussen – werden aber wohl erst angegangen, wenn sich das System, hoffentlich nach kurzer Zeit, als alltagstauglich erwiesen hat.

Ein außerhalb des Kompetenzbereiches der AVL liegendes Manko wird auch nach der dritten Phase noch nicht behoben sein: Weder die RGTR-Busse noch die Züge der CFL sind in das städtische ICTS integriert. Immerhin wurde hier vorgesorgt: Das Leitsystem der Stadt ist mandantenfähig, das heißt, dass auch Dienste anderer Betreiber integriert werden können.

Transportminister Claude Wiseler hat sich schon zum Besuch bei der AVL angemeldet und will sich das System genauestens erklären lassen. Dass das in Zusammenarbeit mit der deutschen Verkehrsberaterfirma BLIC realisierte ITCS-System der Schweizer Firma Trapeze-ITS überzeugen wird, dessen ist sich Verkehrsschöffe François Bausch sicher. „Die Kosten von fünf Millionen Euro rentieren sich auf jeden Fall. Kein Vergleich mit dem erheblich teureren Leitsystem CITA auf den Autobahnen, dessen Nutzen äußerst fragwürdig ist“, so der Schöffe, der kein Verständnis dafür aufbringen kann, dass nicht zumindest die CFL schon längst über ein solches System verfügen.

Sollte sich der Erfolg wie erhofft einstellen, kann man schon den nächsten Klagen und Beschwerden entgegensehen. Denn bei insgesamt 642 Haltestellen auf dem Stadtgebiet sind die bestellten 60 Anzeigetafeln so etwas wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Für die für Ende 2011 geplanten Kommunalwahlen dürfte damit ein Wahlslogan bereits gefunden sein: „Für eine DFI-Anzeige an jeder Haltestelle!“


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