EUTHANASIE: „Letzte Freiheit“ per Gesetz

In Luxemburg ist aktive Sterbehilfe nach wie vor verboten: Zwar ist sie nicht mehr für jeden Kritiker ein Rückfall in vorchristliche Barbarei, birgt aber neue Gefahren. Für die Befürworter stellt sie die konsequente Selbstbestimmung des Einzelnen dar.

Ist den LuxemburgerInnen gar nichts mehr heilig? Da wagten es doch im Februar die beiden Chamber-Abgeordneten Lydie Err und Jean Huss, einen Gesetzesvorschlag zur Regelung der Euthanasie vorzulegen – und dies im erzkatholischen Großherzogtum, dem Bollwerk gegen den „leichten Tod“, so die deutsche Übersetzung des griechischen Wortes. Während in den beiden anderen Benelux-Staaten bahnbrechende Gesetze zur Legalisierung der Euthanasie in Kraft traten, ist sie ÄrztInnen in Luxemburg bis heute verboten – auch bei ausdrücklichem Wunsch der PatientInnen.

In dem Entwurf, der sich an dem vor kurzem in Kraft getretenen belgischen Euthanasiegesetz orientiert, geht es nach Lydie Errs Worten vor allem darum, „unter gewissen Umständen den Ärzten Straffreiheit zu gewähren, wenn sie einem Todkranken auf dessen eigenen Wunsch beim Sterben oder beim Freitod helfen“. Denn das Recht auf ein würdiges Sterben sei eine Frage der Selbstbestimmung des Menschen, so die LSAP-Politikerin am Dienstag bei einer Podiumsdiskussion. Jeder solle sein Lebensende so gestalten, wie er das möchte, betont Err.

Was für die Euthanasie-GegnerInnen einen Rückfall in vorchristliche Barbarei darstellt, ist für die BefürworterInnen nur eine Konsequenz des zu Ende gedachten Konzepts der individuellen Autonomie über das eigene Leben. Andere befürchten, dass jemand ohne sein Einverständnis ins Jenseits befördert wird, wie das bereits in den Niederlanden vorgekommen ist. Im Gesetzentwurf ist aber auch für diesen Fall vorgesorgt, sieht er doch ein so genanntes Sterbetestament vor, in dem die PatientInnen ihren Todeswunsch äußern können. Die InitiatorInnen des Gesetzesprojekts betonen, dass es ihnen weniger um eine Legalisierung der Euthanasie als vielmehr um deren gesetzliche Regelung geht. Sterbehilfe finde längst auch in Luxemburg statt, allerdings „unter dem Siegel der Verschwiegenheit“, merkt Lydie Err an. Ein Gesetz könnte den Weg aus jener juristischen Grauzone weisen, in der sich sowohl Arzt als auch Patient zurzeit noch befänden.

Widerstand gegen ein solches Gesetz kommt vor allem aus kirchennahen, konservativen Kreisen, die eine Legalisierung der Euthanasie kategorisch ablehnen. Oberstes Gebot der Gesellschaft sei es, den Schutz des Lebens zu garantieren, konstatiert der Moraltheologe Erny Gillen. Die Maxime der Kirche laute: „Was von Gottes Hand geschaffen, sollte nicht von Menschenhand zerstört werden.“ Zudem würde ein Euthanasie-Gesetz Druck auf diejenigen erzeugen, die nicht sterbewillig sind, so Gillen. Kritik an der Sterbehilfe kommt auch von Ärztevertretern. Bernard Thill – im Escher Spital Leiter der Palliativstation – weist auf moderne Heilungstherapien hin. Seiner Ansicht nach müsste statt der Euthanasie die Palliativmedizin „staatlich institutionalisiert“ werden.

Niederländische Vorreiter

Eine Vorreiterrolle in der aktiven Sterbehilfe – Tötung auf Verlangen – spielten die Niederlande. Dort hatte bereits vor zwei Jahren das Parlament ein Euthanasiegesetz beschlossen – mit einer breiten Akzeptanz in der Bevölkerung. Das Gesetz schreibt strenge Regeln vor: Die PatientInnen müssen unheilbar krank sein und den Todeswunsch wiederholt angemeldet haben. Was als unerträgliches Leiden gelten soll, bestimmen die ÄrztInnen. Ob sie gesetzeskonform handeln, entscheidet eine Kommission aus JuristInnen, MedizinerInnen und EthikerInnen.

Belgien folgte vor wenigen Monaten dem Nachbarland und gab sich ein Gesetz, das die Tötung auf Verlangen für unheilbar kranke PatientInnen und Menschen mit einem dauerhaften psychischen Leiden erlaubt. Die belgische Regelung geht über das niederländische Sterbehilfegesetz hinaus. Allerdings wurde zusammen mit dem Sterbehilfegesetz auch ein Gesetz zur verbesserten Pflege todkranker PatientInnen verabschiedet.

In anderen europäischen Ländern wird zumindest offiziell ein restriktiverer Kurs gefahren. So verbietet der französische Code pénal sowohl die aktive als auch die passive Sterbehilfe, also auch das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen wie künstliche Ernährung, Bluttransfusion oder Beatmung. Die aktive Sterbehilfe gilt in Frankreich als Mord, die passive als unterlassene Hilfeleistung. Allerdings gab es Fälle, in denen Gerichte ÄrztInnen freisprachen, die lebensverlängernde Maßnahmen abgebrochen hatten. Wie in Frankreich ist auch in Deutschland die Sterbehilfe gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Von PolitikerInnen und Verbänden wird die aktive Form abgelehnt, während die passive weitgehend akzeptiert ist. Wenn die PatientInnen ausdrücklich verlangen, eine Behandlung einzustellen oder gar nicht erst zu beginnen, dann müssen die ÄrztInnen diesem Willen folgen. Bei der so genannten indirekten Sterbehilfe werden Schmerzmittel verabreicht, die den Eintritt des Todes beschleunigen können. Da der Vorsatz der ÄrztInnen nur schwer zu ermitteln ist, verschwimmen oft die Grenzen zwischen der erlaubten indirekten Sterbehilfe und der verbotenen aktiven Tötung.

Letzterer hätte sich nach britischem Gesetz auch der Ehemann der Diane Pretty strafbar gemacht, wenn er dem Wunsch seiner Frau nach Sterbehilfe, die an einer schweren fortschreitenden Behinderung litt, nachgekommen wäre. Die Britin wollte sich das Recht auf einen selbstbestimmten Tod am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erstreiten. Ihre Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, das Recht auf Leben schließe nicht das Recht ein, mit Hilfe eines Dritten zu sterben.

Das Recht auf Selbstbestimmung des Menschen gilt nach heutigem Verständnis als zentrales Element der menschlichen Würde. Nach Nietzsches Diktum „Gott ist tot“ scheinen der Autonomie des Subjekts in der Tat keine Grenzen mehr gesetzt – wenn nicht durch ein Gesetz. „Sterbehilfe lässt sich nicht in Paragrafen fassen“, entgegnet der Zeit-Journalist Robert Leicht. Doch soll sie in die Hände menschlicher Willkür gelegt werden? Die Freiheit des Einzelnen, auch seine „letzte Freiheit“ (François de Closets), kann sich nur zu leicht in ihr Gegenteil wenden, wenn sie nicht in einer gesellschaftlichen Übereinkunft geregelt ist.

Die Frage der menschlichen Würde bleibt hingegen dem Gewissen überlassen. Zu ihr gehört nicht zuletzt auch die seelsorgerische Betreuung der Sterbenden. Denn die „euthanasia exterior“ ist nicht ohne „euthanasia interior“, die Sterbeerleichterung nicht ohne die Sterbebetreuung, zu verstehen, wie es der englische Renaissancephilosoph Francis Bacon bereits vor vier Jahrhunderten formulierte. Das bedeutet, und das wollen auch die InitiatorInnen des luxemburgischen Gesetzentwurfes, dass Euthanasie und Palliativmedizin nicht konträr, sondern komplementär zueinander stehen.

Stefan Kunzmann


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