In Brüssel lungern sie zu Tausenden in den Gängen: die Lobbyisten, die sich mal für die Umwelt, mal für die Industrie engagieren. Seit Jahren wird versucht, mehr Transparenz in den Lobby-Dschungel zu bringen.
Wer wird diesmal Sieger werden? Das deutsche Automobil-Trio aus BMW, Daimler und Porsche, das erbittert um jedes Gramm Kohlendioxid kämpft, das seine Autos noch ausstoßen dürfen? Oder aber die Agentur Cabinet Stewart, der getarnte Think Tank, in dem sich engagierte Gegner des Kyoto-Protokolls zusammengefunden haben? Auch der belgische Politiker und Geschäftsmann Etienne Davignon ist im Rennen. Seine beratende Funktion im Dienste seines Landsmannes, des EU-Entwicklungskommissars Louis Michel, ist ethisch nicht ganz kompatibel mit seinem Sitz im Aufsichtsrat des Energie-Giganten Suez, der auf dem afrikanischen Kontinent expandieren möchte.
Sie alle und noch ein paar mehr (siehe Kasten), haben die Chance, bei den diesjährigen „Worst EU Lobbying Awards“ ausgezeichnet zu werden. Dabei handelt es sich um einen „Negativpreis für irreführendes, manipulatives und unethisches Lobbying“, der seit drei Jahren von vier NGO, darunter LobbyControl und Friends of the Earth, vergeben wird. „Die Preisanwärter dieses Jahr zeigen wieder einmal“, so Olivier Hoedemann vom Corporate Europe Observatory (CEO), „dass Lobbyisten plumpe und irreführende Taktiken nutzen, wenn ihr Kerngeschäft auf dem Spiel steht.“ Notwendig sei eine „öffentliche Kontrolle von Lobbying, effektive Transparenzregeln“. „Die Öffentlichkeit, sowie die Entscheidungsträger müssen deutlich sehen können, für wen und in wessen Interesse Lobbyismus betrieben wird und wer dafür bezahlt.“
Der tägliche Kampf um Änderungsanträge
Dieser Meinung sind inzwischen auch einige EU-Parlamentarier und Kommissionsmitglieder. „Die Art und Weise, wie die europäische Gesetzgebung von der Lobby beeinflusst wird, ist nicht mehr tragbar“, regt sich etwa die Luxemburger Europa-Abgeordnete Erna Hennicot-Schoepges auf. Die Christdemokratin pocht auf die Eigenständigkeit des Parlaments: „Wir dürfen kein Klub werden, der die Summe aller Lobbys ist.“ Jüngst konnte sie die Methoden der Überzeugungsarbeit der Industrievertreter erleben, als sie für ihre Fraktion die Verhandlungen um eine neue Pestizid-Verordnung führte (siehe woxx 925). „Ich habe sogar einige Lobbyisten aus den Sitzungsräumen verwiesen.“
Auch der grüne Abgeordnete Claude Turmes kann ein Lied vom Lobbyismus singen. Als „Judas des Klimaschutzes“ bezeichnete er vor zwei Wochen den britischen Kollegen Chris Davies. Der Liberale hatte die Verhandlungen um seinen Bericht über anvisierte CO2-Emissionsgrenzen für die Automobilindustrie eher industriefreundlich geführt. „Das ist unverantwortlich“, so Turmes, „diese Haltung des Parlaments schwächt die Position des Umweltkommissars und könnte den Klimaschutz um Jahre zurückwerfen.“ Davies seinerseits spricht zwar von „massiven Lobbying der Autoindustrie“. „We are where we are“, stellte der Brite jedoch auf einer Pressekonferenz in Straßburg fest und meinte damit, mehr sei von der Industrie nun einmal nicht zu erwarten. Es sei daher angebracht, realistische Vorschläge zu machen. Das nahm Davies dann selbst in die Hand: Flugs reichte er einen Änderungsantrag ein, welcher den Herstellern deutlich längere Fristen einräumt als dies der Ausschuss des Parlaments und die Kommission vorgeschlagen hatten.
Beim Abstimmungsmarathon um die Hunderte von Änderungsanträgen, die mit diesem umstrittenen Bericht verbunden waren, spielte sich im Plenum ein Krimi ab, wie die Straßburger Runde deren schon viele erlebt hat. Laut Liste hätten die Abgeordneten vor Davies Antrag zunächst über einen Vorschlag des deutschen Christdemokraten und allgemein als Freund der Automobilindustrie bekannten Karl-Heinz Florenz abstimmen müssen. Hätte dieser eine Mehrheit bekommen, wäre jener des Briten obsolet geworden – Tücke der komplizierten Votumsregeln. Dass jedoch nun Davies Antrag der industriefreundlichere war, hatten einige Lobbyisten der Automobilindustrie, die auf den Zuschauerrängen im Hémicycle Platz genommen hatten, fix erkannt und zückten sofort ihr Handy. Kurz danach zog Karl-Heinz-Florenz seinen Antrag zurück. Am Ende gab es bei den Lobbyisten Grund zum Jubeln: Davies Antrag ging durch, was konkret bedeutet, dass das Parlament der Automobilbranche drei Jahre länger Zeit gewähren will, ihren CO2-Ausstoß zu verringern. „Ich wäre in der CO2-Debatte fast unter die Räder geraten“, erklärte danach Florenz lachend seine Verspätung auf einer Pressekonferenz, auf der er sich für ein allgemeines Rauchverbot in der EU einsetzte. „Ich weiß, dass dies die Tabakindustrie nicht erfreuen wird“, witzelte Florenz weiter, „doch man kann nicht überall Freunde haben.“
Auf rund 15.000 Personen wird die Zahl derer geschätzt, die in Brüssel für „Consultings“, „Think Tanks“ oder andere Lobby-Träger arbeiten. Kommissar Sim Kallas startete vor einem Jahr eine Transparenz-Initiative. Lobbying habe in einem demokratischen System durchaus seine Berechtigung, allerdings müsse „für die Öffentlichkeit klar erkennbar sein, welchen Beitrag Lobbygruppen den europäischen Organen und Einrichtungen liefern“, so die Kommission in einem Pressekommunique. In Kürze will nun Sim Kallas ein Register einführen, das zunächst allerdings auf freiwilliger Basis funktionieren soll.
Gefragt: der gläserne Lobbyist
Bereits seit 1996 gibt es im Parlament ein solches Lobbyisten-Register, das ebenfalls freiwillig ist und das den Akkreditierten einen vereinfachten Zugang zu den Parlamentsgebäuden gewährt. Aktuell sind dort 4.570 Personen akkreditiert. Doch wie soll man Druck auf sie ausüben? „Wir können ihnen den Zugang entziehen“, sagt Claude Turmes. Nach Ansicht von Turmes sollten zudem alle Lobbyisten ihre Konten offen legen. „Es sollte deutlich werden, wer wie viel Geld in die Arbeit steckt, die im Zusammenhang mit einem bestimmten Gesetzesvorhaben steht.“ Doch darüber herrscht keine Einigkeit im Parlament. Das zeigte sich unter anderem Anfang Oktober, als der Ausschuss für Verfassungsfragen einen Workshop zum Thema Lobbying veranstaltete.
Die Kombination einer freiwilligen Registrierung und Finanztransparenz würde zu einer Wettbewerbsverzerrung unter den Beratungsfirmen führen, sagt José Laloum, der einen der Dachverbände der Lobbyisten, die „European Affairs Consultancies Association“ (EPACA) vertritt. Sein Verband werde seinen Mitgliedern den Eintrag in ein Register daher nicht empfehlen.
Solche und andere Äußerungen brachten die EPACA auf die Liste der Kandidaten für die diesjährigen „Worst EU-Lobbying Awards“. Die Lobbyisten zeigen sich bislang wenig beeindruckt von der Initiative der NGO. Der Einladung, ihre Auszeichnung in Brüssel persönlich entgegenzunehmen, kamen die Preisgekrönten bisher nicht nach. So auch Simon Gentry, der vor zwei Jahren als Leiter der „Campaign for Creativity“ ausgezeichnet wurde. Die Kampagne setzte sich im Namen von Vertretern so genannter „kreativer Berufe“ für Software-Patente ein, Geld dafür spendeten laut CEO unter anderem Microsoft und SAP.
Seinen Preis hätte er gerne der NGO „Plan International“ gewidmet, so Gentry sarkastisch in einem Schreiben an die Preisverleiher. „Sie verschwenden keine Ressourcen, in dem sie Tausende von Kilometern fliegen, um außerhalb von WTO-Gipfeln leere Phrasen zu rufen, sie fokussieren ihre Kräfte darauf, das Leben von Kindern zu verbessern.“ Die Arbeit seiner Kampagne jedoch konzentrierte sich unter anderem darauf, den Abgeordneten gratis Computermäuse und Eiscreme zu verteilen und die Straßburger Kanäle mit einer Yacht zu durchkreuzen, um für die Notwendigkeit von Softwarepatenten zu werben. Der Streit darüber, ob diese Form der Ressourcen-Nutzung nun sinnvoller ist als die der globalisierungskritischen WTO-Gegner, dürfte endlos sein.
Worst EU-Lobbying Awards
Seit 15. Oktober läuft im Internet (www.worstlobby.eu) die Abstimmung für die „Worst EU Lobbying“ Awards 2007. Wer möchte, kann dort noch bis zum 24. November einem der fünf ausgewählten Kandidaten seine Stimme geben. Neben dem Automobiltrio BMW, Daimler und Porsche, der Lobby-Agentur Cabinet Stewart oder dem belgischen Berater Etienne Davignon ist es die „European Public Affairs Consultancies Association“ EPACA, die mit dem Preis ausgezeichnet werden könnte. Als einer der Dachverbände der Lobbyisten führt sie zurzeit eine „großangelegte Kampagne gegen die Pläne der EU-Kommission für ein Lobbyisten-Transparenz-Register“. Mit von der Partie ist außerdem das Chemie-Unternehmen „Repsol“, dem die Verzerrung des EU-Forschungsprogramms zu Biokraftstoffen vorgeworfen wird. Am 4. Dezember wird der schlimmste EU-Lobbyist dann in Brüssel gekürt.