TRANSGENDER: Alles hetero oder was?

Das Gay Mat-Festival in Esch war in der öffentlichen Wahrnehmung vor allen Dingen ein Schwulenfest, bei dem für die Homo-Ehe gestritten wurde. Doch dank Transgender Luxemburg wurde auch intensiv über Geschlechterrollen diskutiert. Wie viel Vielfalt akzeptiert das Großherzogtum?

(K)ein Raum für alternative Identitätskonzepte? Abweichende Identitäten zu pathologisieren, ist eine verbreitete Form der Diskriminierung.

Ganz im Zeichen der geplanten Gesetzesreform zur gleichgeschlechtlichen Ehe stand das diesjährige „Gay Mat op Esch“-Festival, an dem homosexuelle, transsexuelle und transidente Menschen teilnahmen und für ihre Rechte und gegen Diskriminierung eintraten. Natürlich ging es auch um Selbstdarstellung und Partyspaß, aber wer schon einmal einen CSD etwa in Köln erlebt hat, der war positiv überrascht, wie sehr in Esch auch Inhalte und (Selbst-)Reflektion ihren Platz hatten. Rosa Lëtzebuerg, CIGALE, das Centre d`information gay et lesbien, Transgender Luxemburg und das Centre pour l`égalite standen für Auskünfte und für Aufklärung über ihre Arbeit bereit. Viele waren gekommen, und selbst Staatsminister Biltgen gab sich für fünf Minuten die Ehre ? vielleicht ein Zeichen dafür, dass die Zeit der Ignoranz und brüsken Ablehnung der Homosexualität auch hierzulande vorbei ist.

Details über das ausstehende Gesetzespaket zur Homo-Ehe wollte Biltgen nicht verraten, er beließ es bei dem wohlfeilen Bekenntnis, Gleichbehandlung habe für ihn „hohe Priorität“. Das Gesetz wird zurzeit vom parlamentarischen Justizausschuss bearbeitet. Gemäß dem aktuellen Entwurf ist die Homo-Ehe an verschiedene restriktive Auflagen geknüpft. Vor allen Dingen mit der Kindeserziehung tun sich die Konservativen aller Richtungen schwer, und zwar besonders bei den männlichen Paaren, wo keine „Frau“ im Spiel ist, die ihre angeblich biologisch bedingte Kompetenz für diese Aufgabe einbringt. Was die „Transidenten“ betrifft, das heißt die Menschen, die ihre bisherige, erzwungene Festlegung auf ein Geschlecht verändern wollen, so kündigte Biltgen an, dass ihnen in Zukunft die Änderung des Zivilstandes ermöglicht werden soll. Ein Zugeständnis an Transgender Luxemburg? Mit der Gründung des Vereins vor knapp einem Jahr ist ein Netzwerk entstanden, das auch den Anliegen transidenter Menschen Rechnung trägt.

Transidentität, als medizinisch bestimm- und behandelbare Erkrankung zu deuten, zeigt, wie starr die binäre Norm das Geschlechter-Weltbild strukturiert.

Ziel des dem Festival vorangegangenen Kolloquiums von Transgender Luxemburg war es, starre Vorstellungen von Geschlecht, Geschlechtsidentität und sozialer Rolle kritisch zu hinterfragen. Im Vordergrund stand das Aufbrechen hetero-normativ bestimmter Bilder, herrscht doch bei den meisten Leuten noch die Annahme vor, dass Geschlecht und Geschlechtsrolle „natürlich“ seien und damit eine zuverlässige Übereinstimmung zwischen biologischem Geschlecht, Geschlechtsidentität und Lebensform bestehe. Wenn die klassischen Geschlechtsrollen männlich/weiblich auch ein wenig von ihrem Zwangscharakter verloren haben mögen, so zeigt doch der nach wie vor vorhandene Drang, Transidentität als „pathologisch“, als medizinisch bestimm- und behandelbare Erkrankung zu deuten, wie starr die binäre Norm das Geschlechter-Weltbild strukturiert. Transidente Menschen werden daher gezwungen, bestimmte Prozeduren auf sich zu nehmen, sich etwa für „psychisch krank“ erklären zu lassen oder sich sogar einer Operation zu unterziehen, um den Zivilstand zu ändern oder eine Namensänderung zu erwirken. Wer sich diesem Druck entzieht, verharre in rechtlicher Inexistenz, so Stéphanie Nicot, Mitbegründerin von Transaide Frankreich. Transidente Menschen hätten so den Status „nationaler Papierloser, die sich quasi bei jedem Behördengang outen“. Vorsichtige Kritik an der Situation in Luxemburg äußerte auf dem Kolloquium auch Patrick de Rond, Präsident des Gleichstellungszentrums (Centre pour l’égalite de traitement). Er verwies auf die seit Jahren geltenden europäischen Gleichbehandlungsgrundsätze und Richtlinien und ihre mangelhafte nationale Umsetzung und sah einen besonderen Missstand darin, dass weder Transsexuelle noch Transidente bisher Erwähnung in den nationalen Gesetzen finden.

Erik Schneider, Mitbegründer von Transgender Luxembourg, legte bei der Diskussion um die Wahrnehmung der Kategorie „Geschlecht“ besonderen Wert auf die Differenzierung von Begriffen, da diese das Risiko bergen, selbst identitäre Zwangsvorstellungen zu fördern. Ihm zufolge sind Anatomie und anatomisches Geschlecht nicht zu trennen von der kulturellen Prägung, die das Individuum erfährt. „Kulturelle Vorstellungen von Körpermerkmalen und Zuschreibungen werden klassischerweise als männlich/weiblich zugeschrieben, woran Handlungsaufforderungen geknüpft werden, die sich in der sozialen Rolle manifestieren“, so Schneider (woxx 1066). Entschieden sprach er sich gegen chirurgische Eingriffe aus, die nicht auf Selbstbestimmung beruhen; diese seien als grober Eingriff in die Persönlichkeitsrechte zu bewerten.

Noch bis vor kurzem wurden abweichende Formen der gelebten Sexualität offiziell pathologisiert. So galt etwa Homosexualität bis 1990 der Weltgesundheitsorganisation als psychische Krankheit, und Transsexualität befindet sich nach wie vor auf der WHO-Liste. In seinem Kolloquiumsbeitrag forderte Schneider daher einen Perspektivenwechsel vor allem in der Medizin. Auch heute habe man es noch mit einer Situation zu tun, in der die Geschlechterbinarität um jeden Preis durchgesetzt werde. Letztlich liege auch Vorschlägen, wie der vereinfachten Personenstandsänderung, eine binär kodierte Geschlechtsvorstellung zu Grunde. Immerhin wird die Wahrnehmung von Transsexualität als Krankheit zunehmend in Frage gestellt. So hat die französische Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homophobie, die Gesundheitsbehörde ihres Landes dazu aufgerufen, die Einstufung von Transsexualität als psychische Krankheit aufzuheben. Vor kurzem hat sich das spanische Parlament dafür ausgesprochen, Transsexualität nicht länger als Geisteskrankheit anzusehen.

„Wenn sie eine Frau werden wollen, wird ihnen niemand gratulieren, es gibt einen gesellschaftlichen Sexismus.“

Evelyne Peyre, Anthropologin und Forschungsbeauftragte beim Centre national de la recherche scientifique (CNRS), vertiefte in ihrem Diskussionsbeitrag die Überlegungen zu den unhinterfragten Grundannahmen der medizinischen Anthropologie, speziell dem Bild der Frau als eines „unvollständigen Mannes“, und führte Beispiele an. Als 1758 in Frankreich zum ersten Mal zwei Skelette – ein männliches und ein weibliches ? gezeigt wurden, war das der Frau etwa 20 cm kleiner. Ein kleineres Gehirn wurde Frauen lange Zeit zugeschrieben, oblag ihnen doch „nur“ die Aufgabe der Reproduktion. Der Mann wurde als weltgewandt verstanden, mit aufrechter Körperhaltung und ins Weite gerichtetem Blick, die Frau hatte einen durch das Tragen des Korsetts gepressten Brustkorb. Wie fest verankert solche Vorstellungen in den Köpfen noch heute sind, machte ein Zuhörer durch seinen Einwand klar, er könne doch Frauen auf der Straße an ihren breiten Becken erkennen. Peyres Antwort fiel knapp aus: „Das ist eine Frage der Ernährung und des sozialen Status.“ Kurz gesagt, Peyre gab hier einen Einblick in die international weit entwickelte Geschlechterforschung am Beispiel der Anthropologie, wie man/frau ihn sich auch für andere Wissenschaftszweige wünschen würde. Bedauerlich, dass hierfür in Luxemburg – etwa an der Uni ? noch wenig getan wird.

„In einem hetero-patriarchalen Universum werden andere Entwürfe nicht akzeptiert“, fasste Stéphanie Nicot den noch geltenden Status Quo zusammen. Sie äußerte sich auch zu der Frage, ob eine Geschlechtsumwandlung tatsächlich eine Verbesserung in Status und Akzeptanz mit sich bringt oder ob sie nicht gerade, infolge der Abwertung der Frau, die ja auch in der Schwulenbewegung hier und da zu beobachten ist, zur Diskriminierung führt. In der Tat bringe eine Umwandlung nicht selten eine Verbesserung für Trans-Männer, hingegen eine Verschlechterung für Trans-Frauen mit sich. „Wenn sie eine Frau werden wollen, wird ihnen niemand gratulieren“, so Nicot: „Es gibt einen gesellschaftlichen Sexismus.“


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