KRIEG UND KRISE: Dünne Luft am Arbeitsmarkt

Die Arbeitslosenzahlen sind so hoch wie lange nicht mehr. Die Gewerkschaften rechnen gar mit einem weiteren Anstieg – die Kriegsfolgen nicht mit eingerechnet.

Nach der ersten Euphorie tiefe Talsohlen? Die Auswirkungen des Irakkrieges sind noch völlig ungewiss.

„Die Folgen des Irakkrieges für die Wirtschaft sind überhaupt nicht absehbar“, sagt Ali Kaes. Der beigeordnete Generalsekretär des LCGB ist besorgt, bisher haben er und seine KollegInnen keine Anzeichen feststellen können, dass sich die wirtschaftliche Situation in Europa verbessern wird. Eher könnte das Gegenteil der Fall sein: Bereits in den vergangenen Wochen und Monaten wurden in vielen EU-Mitgliedstaaten – Frankreich, Schweiz, Österreich und Deutschland – die Wirtschaftsprognosen nach unten korrigiert, hält der Krieg an, befürchten ExpertInnen gar eine weltweite Rezession. Ein negativer Trend, von dem auch Luxemburg nicht verschont geblieben ist – und deren Folgen vor allem die ArbeitnehmerInnen zu tragen haben.

„Wir rechnen klar mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit noch in diesem Jahr“, erklärt der Gewerkschafter gegenüber der woxx.

Neuesten Angaben aus dem Konjunkturkomitee zufolge ist die Zahl der Arbeitslosen Ende Februar nur um acht Personen auf nunmehr 7.545 gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat, als Luxemburgs Wirtschaft noch mit traumhaften Wachstumsraten aufwarten konnte, sind dies allerdings fast 31 Prozent mehr Arbeitslose. Eine drastische Entwicklung, die nach Meinung der beiden großen Gewerkschaften LCGB und OGBL nicht unterschätzt werden darf, zumal die Daten unvollständig sind: Rechnet man die rund 3.880 Beschäftigten hinzu, die sich zurzeit in so genannten Beschäftigungsinitiativen oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen befinden, erhöht sich die Gesamtzahl der Arbeitslosen auf über 11.000 Personen.

Und das sind noch nicht alle, denn die luxemburgische Arbeitslosenstatistik des Arbeitsamtes ADEM gibt – zumindest in der Arbeitslosenrate von aktuell 3,8 Prozent – keinen Aufschluss über die Zahl der arbeitslos gewordenen GrenzgängerInnen. Belgische, deutsche oder französische PendlerInnen, die in Luxemburg ihre Arbeit verlieren, erhalten finanzielle Unterstützung in ihrem Wohnland und werden folglich hierzulande nicht erfasst.

Unbekannte Größe GrenzgängerInnen

Auch an ihren Wohnorten werden Frontaliers kaum wahrgenommen. „Arbeitslose Grenzgänger werden bei uns nicht extra erfasst“, sagt Jasmin Metzdorf, Sachbearbeiterin der Abteilung „Information & Controlling“ des Trierer Arbeitsamtes. Eindeutige Aussagen über die Entwicklung des Frontaliers-Aufkommens gestalten sich vor diesem Hintergrund als extrem schwierig.

Eine Annäherung ermöglichen lediglich die E-301-Formulare der ADEM, die arbeitslose GrenzgängerInnen brauchen, um im Heimatland Arbeitslosengeld beantragen zu können. Zwischen 600 und 1.200 monatlich werden ausgehändigt, allerdings sind auch diese Ziffern mit Vorsicht zu genießen. „In Belgien ist die Vorlage des Formulars nicht obligatorisch“, weiß Ali Kaes zu berichten.

Mit dem Datenmanko bei den GrenzgängerInnen wird ausgerechnet eine für den hiesigen Arbeitsmarkt entscheidende Gruppe vernachlässigt: Nicht nur, dass über 38 Prozent der ArbeitnehmerInnen im Großherzogtum täglich aus dem Ausland gereist kommen. Viele von ihnen haben zudem Stellen, die in Krisenplätzen anfälliger sind als andere.

„Im Grunde haben Grenzgängerinnen oft die unsichersten Arbeitsplätze“, sagt Frank Jost von der Arbeitslosenorganisation ACC (Agir contre le chômage). Tatsächlich werden viele Arbeitsstellen im sicheren öffentlichen Dienst eher von LuxemburgerInnen besetzt – eine Folge der Sprachanforderungen, die AusländerInnen vergleichsweise seltener erfüllen.

Archillesferse Finanzplatz

Viele Frontaliers arbeiten im Bankensektor. Doch gerade dieser Bereich erweist sich im Zuge der anhaltenden Wirtschaftsflaute und der Umstrukturierungen im Bankenwesen als besonders unsicher – hier rächt sich die von ACC und Gewerkschaften oft kritisierte monolithische Ausrichtung der luxemburgischen Wirtschaft auf das Bankgewerbe.

„Es gibt einige, die Angst davor haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren“, berichtet Armand Drews. Der Präsident des Syndikat Banken und Versicherungen des OGBL kann vorläufig zwar keine Gefahr eines drastischen Stellenabbaus erkennen und appelliert an die ArbeitnehmerInnen, die Ruhe zu bewahren, doch wirklich sicher ist er sich nicht. „Ich gehe eher davon aus, dass der Abbau schleichend passiert.“

In der Tat sind – trotz Sozialpläne, Einstellungsstopps und Alarmstimmung – Massenentlassungen, wie sie etwa die deutschen Mutterhäuser der Hypo-Vereinsbank und der Dresdner Bank für dieses Jahr angekündigt haben, hierzulande bisher ausgeblieben. Die Luxemburger Zentralbank BCL schreibt in ihrem jüngsten Bericht von rund 600 MitarbeiterInnen, die im vergangenen Jahr entlassen wurden.

„Oft werden befristete Verträge einfach nicht verlängert, Leute in den vorzeitigen Ruhestand, in Weiterbildung oder in den Congé parental geschickt“, erklärt Jean Hoffmann verschiedene Strategien von Unternehmen, um die Krise abzufedern. Doch diese funktionieren nur zeitlich begrenzt, „dann kommt es zu gravierenden Umstrukturierungen“, befürchtet der leitende Beamte der ADEM.

In Deutschland, wo Banken und Versicherungen in einer tief greifenden Krise stecken, hat der massive Stellenabbau schon längst begonnen.

Dabei warnen Branchenkenner durchaus vor voreiligen Stelleneinsparungen. Laut Wirtschaftsexperte Alfred Kiesler, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, wird von Unternehmen in Europa zunehmend das so genannte Downsizing betrieben. Ohne flankierende Maßnahmen aber habe das Verschlanken von Unternehmen – das belegen Studien aus dem Herkunftsland des Downsizing, den USA – meist nicht den gewünschten Effekt. Eher das Gegenteil sei der Fall: Die Einsparungen von Personalkosten, die durch die Entlassungen niederer und mittleren Angestellter entstehen, werden oft durch den gleichzeitigen Ausbau des mittleren Managements – um ArbeitnehmerInnen besser zu kontrollieren – wieder aufgefressen. Eine Gefahr, die luxemburgischen Banken offenbar erkannt haben: Die Dexia Bill etwa versucht, verstärkt in die Weiterbildung ihrer Angestellten zu investieren, in der Hoffnung auf bessere Zeiten.

Doch was geschieht, wenn künftig immer mehr ArbeitnehmerInnen ihren Arbeitsplatz verlieren? Die Beschäftigungsinitiativen, das betonen Gewerkschaften und ACC, können nur begrenzt Personen aufnehmen. Zudem scheint noch völlig unklar, inwieweit auch die anderen bestehenden Strukturen einen massiven Stellenabbau wirklich auffangen können. Die Zahl der offenen Stellen in Luxemburg, aber auch in der Grenzregion, ist schon seit Monaten rückläufig. Der Rückgang ist so gravierend, dass ansässige Arbeitszeitfirmen wie die Adecco mittlerweile erste Kapazitäten abbauen. Denn wo keine Stellen sind, gibt es nichts zu vermitteln. Die Zeichen stehen also schlecht: Luxemburg wird sich wohl auf weiter steigende Arbeitslosenzahlen einstellen müssen.

Ines Kurschat


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