SCHEIDUNGSRECHT: Gehet hin in Frieden

Die langen, für viele Beteiligten traumatischen Scheidungsprozeduren sollen bald der Vergangenheit angehören. Die von der CSV-DP-Regierung vorgestellte Reform des Scheidungsrechts passt dieses endlich der Zeit an.

Gut gelaunt präsentierte Justizminister Luc Frieden am vergangenen Freitag den Gesetzentwurf zum neuen Scheidungsrecht. Kein Wunder, mit der längst überfälligen Reform kann sich der CSV-Politiker sicher sein, auf viel positive Resonanz zu stoßen. Ziel der bereits im Regierungsprogramm von 1999 angekündigten Gesetzesinitiative: Es soll endlich Schluss sein mit den langen, oft traumatischen Gerichtsprozeduren, die eine Vielzahl der Scheidungen in den vergangenen Jahren ausgemacht haben.

„Wir glauben, dass durch die Gesetzesänderung viel menschliches Leid und Streit in der Familie verhindert werden kann“, sagte Luc Frieden. Um dies zu erreichen, schafft die Regierung die Schuldfrage ab: der bisherige „divorce pour faute“ wird gestrichen, an seine Stelle tritt das Zerrüttungsprinzip, der „divorce pour rupture irrémédiable des relations conjugales des époux“. Szenen, bei denen Verwandte, FreundInnen und sogar die Kinder vor Gericht über den Zustand einer Ehe aussagen mussten, dürften damit bald vorbei sein.

„Statt subjektiver wird es endlich objektive Kriterien geben“, sagt Christine Doerner erleichtert. Die Notarin und Präsidentin des christlich-sozialen Frauenverbands befürwortet den Gesetzentwurf als eine „der ganz wichtigen gesellschaftspolitischen Reformen“. Eine Sichtweise, der sich auch die LSAP-Abgeordnete Lydie Err grundsätzlich anschließt.

„Die Streiterei über die Schuldfrage vor Gericht führte oft erst dazu, dass sich das Klima zwischen den Eheleuten dramatisch verschlechterte“, berichtet die gelernte Juristin aus ihren Erfahrungen mit dem alten Gesetz. Oft seien dabei Wunden entstanden, die noch Jahre später bei den Beteiligten schmerzten.

„Früher gab es keine Gelegenheit für die Paare sich auszusprechen. Jetzt fördert das Gericht deren Eigenverantwortung.“ Lydie Err, die bereits 1997 eine Reform des geltenden Rechts vorgeschlagen hatte, begrüßt besonders die im Projet de loi vorgesehene Möglichkeit für die Gerichte, bei zerstrittenen Eheleuten auf Versöhnung hinzuwirken. So sehen die Artikel 242 und 243 ausdrücklich zunächst Schlichtungsmöglichkeiten vor, laut Artikel 246 kann der/die RichterIn unter anderem „proposer aux époux une mesure de médiation“. Außerdem steht dem scheidungswilligen Paar bis zuletzt offen, auf die weiterhin existierende gütliche Tennung, „le divorce par consentement mutuel“, umzusteigen, sollte sich die Stimmung in der Zwischenzeit verbessert haben. Deren Prozedur wurde zudem stark gekürzt: Statt wie bisher zwei Jahre nach dem ersten Antrag, kann die Scheidung bereits nach einem Jahr ausgesprochen werden, die Altersgrenze von 23 Jahren soll zudem gestrichen werden.

Im Interesse der Kinder

NutznießerInnen solcher befriedeter Prozeduren sind aber nicht nur die Eheleute (und das Gericht), sondern auch die Kinder. Deren Interessen stehen laut Justizminister künftig im Mittelpunkt einer Scheidungsangelegenheit – ein überfälliges Zugeständnis an die von Luxemburg unterzeichnete UN-Kinderschutzkonvention aus dem Jahre 1989. So sieht der Text grundsätzlich vor, das Sorgerecht bei beiden Eltern zu belassen. Im Falle eines Konfliktes jedoch kann das Gericht einem Elternteil das alleinige Sorgerecht zusprechen (also das Gegenteil dessen, was andernorts in der Presse geschrieben stand). „Le droit de surveiller l’entretien et l’éducation de l’enfant“ aber bleibt dem anderen Elternteil ebenso erhalten wie das Recht, über die „choix importants relatifs à la vie“ des Kindes informiert zu werden und daran – soweit möglich – teilzuhaben. Damit würde in Zukunft auch veränderten Geschlechterrollen stärker entsprochen. „Beide Seiten sind gefragt, auch der Vater wird bei der Kindererziehung angesprochen“, lobt Christine Doerner den Passus.

Für viel – und kontroverse – Diskussionen dürfte eine weitere Neuigkeit sorgen: Die RichterInnen können im Interesse des Kindes künftig dem Elternteil, welches die Kinder aufzieht, für eine gewisse Zeit die häusliche Wohnung zusprechen – auch wenn diese dem anderen Elternteil gehört. Abgesehen von polemischen Äußerungen, die einem vorprogrammierten Missbrauch durch Frauen und einer neuen Benachteiligung der Männer das Wort reden (Zeitung vom 13.06.03), birgt diese Regelung nach Ansicht einiger RechtsanwältInnen tatsächlich die Gefahr, „den Streit um die Kinder erst recht anzuheizen“.

Doch es gibt auch andere Stimmen. „Ich sehe das nicht so negativ. Der Richter darf diese Maßnahme nur veranlassen, wenn das finanziell für die Betroffenen tragbar ist“, schwächt Doerner solcherlei Kritik ab. Zudem dürfte grundsätzlich fraglich sein, ob luxemburgische RichterInnen die Kann-Regelung überhaupt extensiv anwenden würden. Hinter vorgehaltener Hand wird da auch schon mal auf die überwiegend männliche Richterschaft verwiesen.

Veraltete Denkfiguren

Die ehemalige Präsidentin des Nationalen Frauenrats (CNFL) Doerner begrüßt außerdem die neuen, definierten Vorgaben bei der Bemessung des Unterhalts des Ehepartners. Neben beispielsweise Dauer der Ehe, Alter der Ehegatten und der Kinder, Qualifikation und beruflicher Situation wären erstmalig auch Pensions- respektive Rentenansprüche zu berücksichtigen. Dies käme insbesondere älteren, erwerbslosen Frauen zugute, die bislang nach einer Trennung in dieser Hinsicht leer ausgingen und im schlimmsten Fall Altersarmut riskierten. Wie aber steht es hierbei um die Förderung der Eigenverantwortung und Unabhängigkeit?

„Auf lange Sicht stellt sich die Frage, ob diese Regelung wirklich zugunsten der Frauen ist“, gibt Lydie Err gegenüber der woxx zu bedenken. Damit spielt die Sozialistin auf das auch in anderen sozialrechtlichen Regelungen eingelassene konservative Denkmuster an, wonach Frauen in erster Linie immer noch zu Hause bleiben und „unterhalten“ werden müssen.

Im Hinblick der Geschlechter stellt sich mit dem neuen Scheidungsrecht darüber hinaus eine philosophische Grundsatzfrage. Für misshandelte EhepartnerInnen und deren Kinder kann die Abschaffung des Schuldprinzips zumindest moralisch einen Nachteil bedeuten. Denn die Zerrüttungsformel enthält sich im weitesten Sinne eines parteiischen Werteurteils. Anders die Unzumutbarkeitsregelung, wie sie etwa in der Schweiz seit der Scheidungsreform von 1.1.2000 existiert. Diese verkürzt in Härtefällen die Frist der Scheidung und fällt ein klares Urteil über die Verantwortlichkeit für das Scheitern der Ehe. Für Schadensersatzforderungen von Opfern ehelicher Gewalt ist eine solche Regelung allerdings nicht zwingend nötig. Auch die luxemburgische Scheidungsreform sieht eine „demande en dommages et intérêts“ auf der Grundlage des Zivilrechts vor.

Ines Kurschat


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